Demonstranten vor dem türkischen Konsulat zum Jahrestag des Völkermords an den Armeniern.

Foto: AFP/Patrick T. Fallon

Es war ein abgefederter Schlag, den US-Präsident Joe Biden am Samstag seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan versetzte: Den längst im Raum stehenden US-Schritt, die Armenien-Massaker von 1915 als "Genozid" zu bezeichnen, teilte Biden Erdoğan in einem Telefonat am Tag zuvor mit. Und er sprach explizit vom armenischen Genozid in der "osmanischen Ära", hob also hervor, dass sich nicht die heutige Türkei der Verbrechen schuldig gemacht habe.

Gegen ein ganzes Volk

Das ist historisch richtig, und der Genozid an den Armeniern, den mindestens dreißig andere Staaten, darunter Österreich, so benennen, war natürlich auch in einen historischen Kontext eingebettet: die Furcht, dass armenische Kräfte mit dem damaligen Erzfeind Russland kollaborieren, der Ambitionen hatte, sich Teile des brüchigen Reiches unter den Nagel zu reißen. Der folgende Vernichtungswahn traf jedoch alle Armenier: Er richtete sich gegen ein ganzes Volk.

Schlechte Beziehungen

Die USA sind nicht das erste Nato-Land, in dem die Bezeichnung Genozid auch offiziell für die damaligen Ereignisse verwendet wird. Die US-türkischen Beziehungen sind jedoch schlecht wie selten zuvor, wobei Washington sich über Erdoğans Rüstungskäufe in Moskau ärgert – ihn aber als Partner in der Ukraine anerkennen muss. Nicht nur deshalb dürften beide Seiten darauf achten, die Sache nicht größer zu machen, als sie ist: Symbolpolitik. Der Nato-Gipfel mit dem Treffen Biden/Erdoğan im Juni wird trotzdem spannend. (Gudrun Harrer, 25.4.2021)