Als Sieglinde nach ihrem Ohnmachtsanfall aufwachte, sah sie ihn in seinem weißen Kittel über sich gebeugt. Er hielt sie fest aber behutsam in seinen Armen. “Geht es Ihnen gut?“, fragte er mit sanftem, bestimmtem Tonfall. “Ja, Herr Doktor“, entfuhr es ihr mit zittriger Stimme. Sieglinde konnte nur erahnen, dass er ähnlich gefühlvoll auch mit seinem Stethoskop umgehen konnte. Sieglinde drohte erneut das Bewusstsein zu verlieren. “Herr Doktor wissen Sie nun was mir fehlt?“, fragte Sieglinde. “Ja“, erwiderte er bestimmt. Seine Diagnose lautete "Aurora Polaris". Endlich hatte sie Gewissheit.

Verzeihen Sie den nicht ganz so ernst gemeinten Einstieg in die Thematik, aber bei einem derart schwerwiegenden Thema wie der aktuellen Krise und deren Bewältigung, ist ein klein wenig Abstand oft einmal nicht schlecht. Da der neue Minister betont locker und lässig auftritt, wird er den bemüht-laienhaft humoristischen Einstieg wohl nicht übel nehmen und schließlich gibt es als Beleg, dass Ärzte ebenfalls Spaß verstehen, die berühmten Clowndoktoren. Eines steht aber jedenfalls fest nämlich, dass ein neuer Player am politischen Spielfeld in sanften Sneakers aufgetaucht ist, der das Potenzial hat für die Türkise ÖVP zum ernsthaften Konkurrenten in Sachen Beliebtheit und Sympathie zu werden. Dazu muss man nicht unbedingt einen Arztroman als Referenz hernehmen.

Mückstein gegen Kurz: Trapper John, M.D. versus Dallas

Es ist durchaus möglich, dass die Wähler nach dem Politschwiegersohn der Herzen bereit wären für einen neuen Narrativ, welcher sie als Gott in Weiß aus der psychisch herausfordernden Situation retten kann. Gelingt es dem neuen Gesundheitsminister diese Rolle zu erfüllen, dann steht einem Spitzenplatz als Primus im Ranking der Demoskopen nicht viel im Weg. Die ersten Gehversuche hat der studierte Mediziner mit mehr oder minder großem Erfolg schon hinter sich. Vom “Sneakergate“ bis zur Performance mit Maske bei seiner ersten Rede im Nationalrat hat er in kürzester Zeit gewollt oder ungewollt schon auf der Medienorgel gespielt. Wenn er jetzt noch mit weißem Kittel und Stethoskop in Erscheinung tritt, dann kann der Medienkanzler nur noch schwer mithalten.

Das neue Gesicht in der Regierung.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

#AllesDichtmachen: Soziale Kompetenz des Ministers

Von seinen Parteikollegen wird dem Medikus soziale Kompetenz attestiert. Diese wird er jetzt in einer gehörigen messbaren Ausprägung benötigen. Nachdem die Medizin über ein Jahr die Dominante war, werden in der Zeit nach Corona die sozialen und wirtschaftlichen Folgewirkungen in den Vordergrund rücken. Hier wird der Sozialminister in Mückstein über kurz oder lang mehr gefordert sein als der Gesundheitsminister. Denn dann wird er die Forderung “Her mit dem Zaster, her mit der Marie“ in Richtung des Koalitionspartners richten müssen. Durchaus angenehm am neuen Politiker ist bis dato seine Vorsicht und der Versuch zur Selbstreflexion. Scheinbar noch keine Anzeichen von der durch Politberater induzierten "Wie Sie wissen bin ich Ärztin"-Krankheit. Hoffentlich bleibt das so und der praktische Arzt behält weiterhin seinen Respekt vor allen Menschen, egal welcher Gesinnung sie angehören.

Gerade die “AllesDichtmachen“-Kampagne ist ein Lackmustest und Indikator für eine mehr als ungute Nebenwirkung der Corona-Maßnahmen, nämlich die noch stärkere Spaltung der Gesellschaft. Die Aktion trifft - ironisch oder nicht - den Nerv von vielen, die sich durch die Maßnahmen in ihrer Existenz bedroht fühlen oder es real sind. Das muss nichts mit Coronaleugnertum zu tun haben. Doch sind die Schauspieler jetzt Opfer von Hass im Netz oder ihrer eigenen schlechten Inszenierung? Ist die Kritik berechtigt? Sind andere Perspektiven erlaubt oder sind diese nur pietätlos bezogen auf die Opfer der Pandemie? Darf man die Maßnahmen hinterfragen, kritisieren oder sich über die Sinnhaftigkeit dieser lustig machen? Bei diesen Polaritäten wird der neue Minister seine Soziale Intelligenz demonstrieren müssen. Mehr noch, es Bedarf eines "Hochbegabten" in dieser psychometrischen Persönlichkeitsdimension.

allesdichtmachen

(Daniel Witzeling, 4.5.2021)

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