Noch heute ist die Strahlung in Österreich nachweisbar. Besonders anfällig sind Wildschweine, die den Waldboden durchwühlen.

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Am 26. April 1986 explodierte der Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Die Wucht der Detonation setzte radioaktive Stoffe frei, die von Winden auch ins 1.000 Kilometer entfernte Österreich getragen wurden. Das Salzkammergut, die Welser Heide und die Hohen Tauern zählten aufgrund der Wetterbedingungen zu den am stärksten betroffenen Regionen Mitteleuropas. Die Regierung setzte Maßnahmen: Milch, Spinat und Salat durften im Sommer und Herbst 1986 phasenweise nicht verkauft werden. Außerdem wurde vorübergehend ein Abschussverbot für Wildtiere erlassen.

Zwei Jäger fühlten sich geschädigt und brachten am Landesgericht Wien eine Klage auf Schadenersatz gegen die Sowjetunion ein. Der Oberste Gerichtshof (OGH) verneinte letztlich die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Das Problem: Die Vollstreckung des Urteils gegenüber der UdSSR war praktisch unmöglich. Laut Höchstgericht sei es nicht Sache der Justiz, ein kostspieliges Verfahren zu führen, wenn das Ergebnis "nur ein wertloses Schriftstück" sei. (OGH 13.1.1988, 3 Nd 511/87)

Klage in der UdSSR "unzumutbar"

Die beiden Jäger aus Wien waren gemeinsame Eigentümer und Berechtigte eines Jagdgebiets. Wegen des Abschussverbots, das aufgrund der Zunahme der radioaktiven Strahlung erlassen worden war, tätigten sie Aufwendungen, um Wildschäden zu reduzieren. Außerdem entging ihnen der Abschuss einiger Rehe.

Sie klagten daher auf Zahlung von 38.380 Schilling (rund 2.800 Euro) und begehrten die gerichtliche Feststellung, dass die UdSSR auch für künftige Schäden aus dem Reaktorunfall haften solle. Die Sowjetunion habe ihre Aufsichtspflicht bei der Errichtung des Atomkraftwerks und bei der späteren Kontrolle verletzt. Die örtliche Zuständigkeit der österreichischen Gerichte begründeten die Jäger damit, dass die Sowjetunion auch Vermögen in Österreich habe, auf das zugegriffen werden könne. Außerdem sei eine Klage in der UdSSR "nicht zumutbar", denn "alle dortigen Gerichtsorgane seien befangen".

Urteil "wertloses Papier"

Die Entscheidung, ob die österreichischen Gerichte zuständig sind, wurde zur Chefsache: Der Oberste Gerichtshof wies den Antrag aber ab. Ein österreichisches Urteil könne in der Sowjetunion voraussichtlich nicht vollstreckt werden. Auch besitze die UdSSR in Österreich kein Vermögen, auf das zugegriffen werden könne.

Ein Prozess in Österreich würde nur zur Schaffung eines "praktisch wertlosen Urteilspapiers, nicht aber zur wirklichen Rechtsdurchsetzung führen". Es könne daher "nicht Sache der österreichischen Justiz sein, ein umfangreiches, langwieriges und kostspieliges Verfahren zu führen, wenn fast alles dafürspricht, dass das Ergebnis nur ein wertloses Schriftstück sein kann".

Der Hinweis, dass alle Richter der Sowjetunion befangen seien und auf jeden Fall gegen die Kläger entscheiden würden, sei als bloße Unterstellung nicht zielführend. Der "mühsame Versuch einer Rechtsdurchsetzung in der UdSSR ist daher immer noch sinnvoller als eine praktisch wertlose Prozessführung in Österreich", erklärte das Höchstgericht.

Wildschweine besonders anfällig

Laut Ages sind die Nachwirkungen der Reaktorkatastrophe immer noch messbar. Von Bedeutung ist hierzulande allerdings nur noch das langlebige Cäsium-137. Der radioaktive Stoff werde in Acker- und Wiesenflächen in tiefere Schichten gespült oder eingearbeitet. Im Waldboden verbleibe Cäsium-137 allerdings an der Oberfläche.

Wildtiere, insbesondere Wildschweine, nehmen es beim Durchwühlen des Bodens auf. Bei einer Untersuchung im Jahr 2016 wurde bei 15 von 16 Wildschweinproben eine Überschreitung der Grenzwerte festgestellt. Das Risiko sei laut Ages zwar niedrig, jede Belastung sollte dennoch so gering wie möglich gehalten werden. Die Strahlenexposition durch den Verzehr von Wildfleisch lasse sich durch das individuelle Ernährungsverhalten reduzieren. (Jakob Pflügl, 26.4.2021)