Das Sozialministerium ortet eine "klaffende Lücke" im Sozialhilfegesetz, für deren Beseitigung man die ÖVP brauche – doch der türkise Klubchef August Wöginger scheint kein Interesse daran zu haben.

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Normalerweise freuen sich Asylwerberinnen und Asylwerber, wenn ihnen humanitäres Bleiberecht zugesprochen wird. Nicht aber in Niederösterreich und Salzburg: Dort werden diese Menschen dadurch obdach- und mittellos, haben aber auch keine Chance auf einen Job, weil Drittstaatsangehörige dafür eine Sondergenehmigung und einen engagierten Arbeitgeber brauchten. Der Grund dafür ist die Umsetzung des Sozialhilfegesetzes in diesen Bundesländern: Menschen mit Bleiberecht erhalten seit dem Jahreswechsel keine Grundversorgung mehr, haben aber auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe, wie DER STANDARD berichtete.

In Salzburg war davon etwa eine alleinerziehende Frau mit fünf Kindern betroffen. Sie wurde als Härtefall vorübergehend weiter unterstützt. Bei der Landtagssitzung am Mittwoch soll in Salzburg nun diese Lücke geschlossen werden. Die Grünen bringen einen Initiativantrag ein, um derartige Fälle zu vermeiden. Ab erstem Mai sollen dann Menschen mit einem humanitären Aufenthaltstitel ebenso wie Asylwerber die vom Land bezahlte Grundversorgung erhalten.

Reform in Salzburg

Auch die ÖVP soll am Mittwoch dem Antrag zustimmen. Die ÖVP-Abgeordneten zu überzeugen sei nicht schwer gewesen, sagt Soziallandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne). Sie hätten die soziale Notlage erkannt. Betroffen sind im Land Salzburg rund 30 Personen. Derartige Regelungen, um diese Härtefälle in der Grundversorgung unterzubringen, gibt es bereits in Oberösterreich und Vorarlberg.

Eine Flüchtlingshelferin aus Kottingbrunn in Niederösterreich berichtet dem STANDARD von einer iranischen Frau mit zwei Kindern, die dank ihres neuen Aufenthaltstitels nun vor dem Nichts steht. Eine Härtefalllösung für die wenigen, aber drastischen Fälle im Land kam im niederösterreichischen Landtag nicht zustande – ein entsprechender Antrag der Grünen wurde abgelehnt. Auch die Neos fordern eine dauerhafte Lösung: "In meinem Verständnis soll die ‚Sozialhilfe Neu‘ soziale Härtefälle auffangen und nicht – wie es durch den Alleingang in Niederösterreich der Fall ist – neue erschaffen", sagt die pinke Landessprecherin Indra Collini.

Sozialministerium will Reparatur

In Salzburg hält der Sozialreferent das Land sehr wohl für zuständig. "Die Länder sind auch für das Armenwesen zuständig – so heißt es in der Bundesverfassung", betont Schellhorn. Die Länder hätten unter der derzeitigen Vorsitzenden der Sozialreferenten, Katharina Wiesflecker (Grüne) aus Vorarlberg, auch schon den Bund um Reparatur des Sozialhilfegesetzes gebeten. Zwischen Rudolf Anschober und August Wöginger (ÖVP) hätte es dazu auch schon Verhandlungen auf Bundesebene gegeben. Dem müsse sich nun der neue Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) annehmen, sagt Schellhorn.

In dessen Ministerium weiß man von der Notlage – ihre Beseitigung scheitert aber offenbar am türkisen Koalitionspartner. Ursache des Problems sei die Sozialhilfereform von Ex-Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), heißt es aus dem Ministerium. Dass Menschen mit humanitärem Bleiberecht "nicht mehr durch Sozialhilfe unterstützt werden können und damit auch nicht mehr krankenversichert sind, ist die klaffendste Lücke dieses Systems". Man sehe "klaren Reformbedarf". Aber: "Für diese Gesetzesreparatur brauchen wir eine parlamentarische Mehrheit."

Desinteresse der Türkisen

Doch die ÖVP dürfte – auf Bundesebene – keinerlei Interesse an einer dauerhaften Lösung des Problems haben. Eine Sprecherin von Klubobmann und Sozialsprecher August Wöginger verweist auf einen Corona-Hilfstopf für "vulnerable Gruppen" von 25 Millionen Euro, der für Betroffene eingesetzt werden könne – doch laut dem Sozialministerium ersetzt das keine gesetzliche Änderung. Wann wird also die Lücke im Gesetz geschlossen? Auf diese Frage verweist die VP-Sprecherin darauf, dass noch nicht einmal alle Bundesländer das Sozialhilfegesetz umgesetzt haben. Ob das bedeute, dass man darauf warte, um die gesetzliche Armutsfalle für Menschen mit Bleiberecht zu beseitigen? "Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen." (Sebastian Fellner, Stefanie Ruep, 27.4.2021)