Das große Fernsehinterview in der ORF-"Pressestunde" lief wohl anders als geplant. Die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hätte wohl gerne eine Stunde lang über das neue EU-Klimaziel und den EU-Aufbaufonds gesprochen. Schließlich wurde die Ministerin aber vor allem zu einem Thema befragt: dem Entwurf des neuen Klimaschutzgesetzes. Über diesen hatten am Sonntag fünf Stunden vor ihrem Auftritt mehrere Zeitungen berichtet – darunter auch DER STANDARD.

In der Regierung sorgen die Veröffentlichungen für Verstimmung. Die Koalitionspartner schieben einander die Schuld fürs Bekanntwerden des Gesetzesvorhabens zu. Die Grünen vermuten die ÖVP hinter dem Leak. Die Ministerin wurde im ORF konkret zum Artikel in der "Kronen Zeitung" befragt, der genau jenen Teilaspekt aus dem Klimaschutzgesetz herausgepickt hatte, der besonders in der türkisen Wählerschaft umstritten ist: "Klimaziel erreichen – oder das Tanken wird teurer", lautete der Titel. Gewessler selbst stellte in der "Pressestunde" recht unverblümt klar, dass sie nicht verwundert sei, dass genau dieser Punkt publik wurde: "Genau so macht man es, wenn man etwas verhindern will."

Der "Krone"-Artikel bezieht sich auf eine Art Notfallsmechanismus, der allerdings nur dann in Kraft treten soll, wenn die Regierung im Falle einer möglichen Klimazielverfehlung nicht ausreichend Sofortmaßnahmen beschließt. Dann sollen bestehende Steuern auf fossile Energieträger um 50 Prozent erhöht werden.

Auch DER STANDARD hat über den Entwurf berichtet, allerdings über sämtliche Aspekte des geplanten Gesetzes, das sich nun in der Endabstimmung zwischen Grünen und ÖVP befindet.

Zwischen ÖVP und Grünen dürfte kaum Einigkeit bestehen, wie Klimaschutz aussehen soll.
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Scharfe Kritik

Die Reaktion auf die Berichte kam prompt am Sonntagabend: ÖVP-Nationalratsabgeordneter Karlheinz Kopf machte kein Hehl daraus, was er von dem Vorstoß hält. Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer nannte den Notfallsmechanismus eine "ideologiegetriebene Bestrafungsfantasie".

ORF

Der Inhalt des Entwurfs war in den vergangenen Monaten jedenfalls ein gut behütetes Geheimnis. Dabei ist das Papier laut STANDARD-Informationen in seinen Grundzügen schon seit längerem weit fortgeschritten.

Am Montag erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Rande einer Pressekonferenz jedenfalls, dass er diese Art der automatischen Steuererhöhung ablehne. Zudem wird in der ÖVP vehement abgestritten, dass man für die Berichterstattung im Vorfeld des Fernsehauftritts verantwortlich sei.

ÖVP und Grüne schieben die Verantwortung für den Leak einander zu.
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Die Vermutung in türkisen Kreisen: Das Ressort der Umweltministerin habe den Gesetzesentwurf selbst an Medien gespielt – und schlicht nicht bedacht, dass der Steuererhöhungsmechanismus herausgeklaubt und kontrovers diskutiert werden könnte. Wobei in der ÖVP auch betont wird: So ein Entwurf gehe durch viele Hände, es gebe dutzende Möglichkeiten, wie er an die Öffentlichkeit dringen kann. Wie zu hören ist, soll das Papier vergangene Woche in den meisten Ministerien aufgeschlagen sein.

Insgesamt wird in der Koalition betont, dass sich die Stimmung abseits dieses Vorfalls eigentlich wieder beruhigt habe – oder wie es eine Grüne formuliert: "Die Nervosität bei der ÖVP hat sich wieder gelegt, seit keine neuen Chats mehr im Umlauf sind." In der SPÖ fühlen sich manche hingegen inzwischen an die "schlimmsten Zeiten unter Rot-Schwarz" erinnert, was den Umgang zwischen Türkis und Grün betrifft.

Türkis-blaue Leaks

Ärger über "Leaks" durch den Koalitionspartner gab es übrigens schon unter Türkis-Blau. Das zeigen Chats, die dem Ibiza-Ausschuss vorgelegt wurden. Für einen besonders großen Wickel sorgte im April 2019 ein Artikel über ein im Ressort von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck entwickeltes Wohnbaupapier. "Es wird von euch einfach vorab rausgespielt mit dem Spin: Schramböck zwar zuständig, aber Papier trägt die Handschrift der FPÖ – Ich finde das wirklich extrem unkollegial und echt schade", warf Kurz seinem damaligen Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) vor. Der war überrascht: "Was ist los? Verstehe nicht, um was es geht? Bin auf der Alm in Salzburg. ORF-Interviews mit Schramböck und mir wurden letzte Woche aufgezeichnet und Zitate von uns für Medien mit Sperrfrist fixiert."

Die ÖVP hatte jedoch einen Verdächtigen: Der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus habe die Infos "an Medien gespielt", behauptete Kurz. Strache versprach, mit Gudenus zu reden. "Die Papiere wurden leider vom Büro Schramböck den Medien zugespielt! (...) Trotzdem gesegnete Ostern euch allen. LG".

Kurz ließ nicht locker: "So bringt das wirklich nix. Wieso sollte sie es ausspielen? Sie hat ja den Lead in der Kommunikation gehabt. (...) Was hätte sie davon? (...) Es ausspielen ist das eine. Aber bitte verkauf mich nicht für total deppert!" Strache: "Die Medien haben offensichtlich die Papiere über Mitarbeiter bekommen … Und dann nachgerufen … da hat aber keiner etwas gesagt". Was einander Türkise und Grüne in den vergangenen Tagen schrieben, ist noch nicht bekannt. (Nora Laufer, Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid,
27.4.2021)