Die größten Auswirkungen würden Verhaltensänderungen in der Mobilität, der Ernährung und dem Wohnen haben, heißt es in der Studie.

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Wien – Um das EU-Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 zu erreichen, sind definitiv strukturelle Veränderungen notwendig. Doch auch Änderungen im Lebensstil seien entscheidend dafür und könnten dazu beitragen, die EU schon 2040 – und damit zehn Jahre früher als geplant – klimaneutral zu machen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam, darunter Hannes Warmuth von der ÖGUT, in einer im Fachjournal "Environmental Research Letters" veröffentlichten Arbeit.

Die Wissenschafter um Luis Costa vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) haben für ihre Berechnungen den "EU Calculator" verwendet. Dieses im Vorjahr vorgestellte Simulationsmodell zu Europas CO2-Ausstoß wurde von einem Forscherteam aus neun europäischen Ländern, darunter die Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik, in drei Jahren entwickelt.

20 Prozent der Treibhausgasreduktion

Die Conclusio der Forscher: "Wenn man sowohl beim Lifestyle als auch bei der Technologie im Klimamodellrechner an den Stellschrauben ambitioniert – aber durchaus machbar – dreht, dann ist das Erreichen des Klimaziels sogar bis 2040 machbar. Andernfalls nicht."

Verhaltensänderungen würden demnach sogar rund 20 Prozent der gesamten erforderlichen Reduktion der Treibhausgasrmissionen ausmachen – "durchaus ein erheblicher Beitrag", erklärt Warmuth. Daraus ergebe sich auch der Vorteil, auf den Einsatz von teuren und riskanteren Technologien wie CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) oder Atomkraft weitestgehend verzichten zu können, um eine Netto-Null bei den Emissionen zu erreichen.

Mobilität, Wohnen, Ernährung

Den stärksten Einfluss unter den klimafreundlichen Verhaltensänderungen hat dem Wissenschafter zufolge die Mobilität, "vor allem, wie wir uns fortbewegen" – also etwa Fahrgemeinschaften im Auto, der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad bei kurzen Distanzen sowie weniger Fernreisen. Aber auch der Umstieg auf E-Autos, Gebäudesanierungen, ein angepasster Ernährungsplan mit weniger Fleischkonsum oder eine klimafreundliche Landwirtschaft mit weniger Einsatz von Pestiziden und synthetischem Dünger sind nur ein paar von zahlreichen Beispielen für Änderungen im Lebensstil – ein Bereich, der laut Warmuth bei der Modellierung von Klimaszenarien lange Zeit vernachlässigt worden sei.

Jedenfalls würden die Bewältigung der Energie- und Klimaprobleme mehr Wissen über das Verhalten und darüber erfordern, wie menschliche und Verhaltensaspekte in die Politik integriert werden können. Bürger und Gemeinden müssten eine wichtige Rolle in Plänen und Strategien von Regierungen spielen, um die Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Entscheidungsträger müssten auch die Voraussetzungen für Verhaltensänderungen schaffen, etwa ein ausreichend dichtes Netz von Ladestationen für den Umstieg auf E-Autos.

Kulturelle Unterschiede

In der Arbeit wurden die Berechnungen für die EU, Großbritannien und die Schweiz durchgeführt. Warmuth betont allerdings, dass es keine Einheitslösung gibt: Bürger seien keine einheitliche Gruppe, sondern heterogen. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildung würden Einstellungen und Verhalten beeinflussen und müssten bei der Gestaltung von Richtlinien berücksichtigt werden. Erkenntnisse aus einem Land seien nicht immer auf andere übertragbar, und auch kulturelle Unterschiede seien wichtig.

Das ist ein Grund, dass die Wissenschafter nun an einer Erweiterung des "EU Calculator" arbeiten: In einem soeben gestarteten Projekt wird gemeinsam mit rund zehn europäischen Kommunen an einem Städterechner gearbeitet.

Große Mehrheit der Österreicher für Pfandsystem

Was den Konsum von Plastik betrifft, wären Österreich für eine Änderung bereit, die in anderen Ländern schon umgesetzt ist. Einer Umfrage von Marketagent im Auftrag von Greenpeace zufolge haben ein Pfandsystem und verpflichtende Mehrwegquoten in Österreich eine hohe Zustimmung. 87 Prozent der Befragten forderten, dass der Großteil der Getränke bis 2030 in wiederverwendbaren Mehrweg- statt Einwegflaschen abgefüllt ist, hieß es in einer Greenpeace-Aussendung.

91 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Mehrwegflaschen (Glas oder PET) kaufen würden, sobald diese verstärkt angeboten werden. "Österreich muss bis Juli 2021 die EU-Einwegplastikrichtlinie umsetzen. Doch seit Monaten blockieren WKO und Handelsketten die Zustimmung der ÖVP zu den vom Umweltministerium vorgeschlagenen Maßnahmen im neuen Abfallwirtschaftsgesetz", kritisierte Lisa Panhuber, Konsumexpertin bei Greenpeace Österreich. Sie fordert ein starkes Abfallwirtschaftsgesetz mit einem flächendeckenden Pfandsystem und Mehrwegquoten, "an die sich alle Supermärkte halten müssen". Für die Umfrage wurden online 500 Personen in einem Alter von 14 bis 75 Jahren befragt. Der Zeitraum war 8. bis 15 Februar. (APA, red, 27.4.2021)