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Die bunten Socken signalisieren Unangepasstheit.

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Es ist jedes Mal dasselbe. Nach 24 Stunden Trennung folgt das große Drama. Wer einmal zehn Paar schwarze Socken miteinander in die Waschmaschine gesteckt hat, kennt das. Die Partnersuche nach dem Trocknen? Eine delikate Angelegenheit.

Gleich und gleich zusammenzusuchen ist nämlich schwieriger, als es sich anhört. Schwarze Socke ist schließlich nicht gleich schwarze Socke. Wer gehört hier bloß zu wem? Es folgen Minuten des Abwägens. Das eine Exemplar ist für das andere zu lang, das nächste zu fusselig und das dritte so löchrig, dass für einen Moment der Gedanke an Sterbehilfe im Raum steht.

Ein Happy End ist nach dem Zusammenfinden der ersten Paare nicht in Sicht. Das neunte Knäuel ist gerade in der Lade gelandet, und erst jetzt wird klar: Eine Socke fehlt! Nun geht die Sucherei erst richtig los. Wurde der vermisste Strumpf von der Wäschetrommel verschluckt? Hat er sich aus purer Verzweiflung vom Wäscheständer gestürzt? Oder ist mal wieder die Katze schuld?

Es empfiehlt sich ein Kontrollgang durch die Wohnung, auch unter dem Sofa mit dem Besen herumzustochern kann nicht schaden. Meist endet die Suche erfolglos, entnervt wird der Single-Socken in die Lade geworfen: Auch schon wurscht!

Partnertauschbörse

Langfristig rächt sich diese Nachlässigkeit natürlich. Denn bei diesem einen Verlust bleibt es meist nicht: 1,3 Strümpfe verliert jeder Mensch im Monat, hat eine britische Studie einmal festgestellt. Und wer glaubt, die Wäschetrommel sei für Socken die ideale Partnertauschbörse, sollte sich die neuen Konstellationen einmal genauer anschauen. Die meisten zusammengeknäulten Sockenpaare sehen eher aus wie Zufallsbekanntschaften.

Der Fusselige wird von Wäsche zu Wäsche grauer und steckt jetzt mit dem schönen gerippten Modell zusammen: Ob das wohl gutgeht bis zum nächsten Waschgang? Wem eine solche Psychologisierung der Sockenlade zu weit geht, sollte es wie Justin Trudeau halten.

Der kanadische Premier geht schwarzen Socken tunlichst aus dem Weg. Er wählt Exemplare, die selbst Frühaufsteher auseinanderhalten können, ohne das Licht einschalten zu müssen: heute Modelle mit Star Wars-Motiv, morgen welche mit Enten-Print.

Unangepasstheit

Mit ihnen lässt sich Aufmerksamkeit erregen, die bunten Socken signalisieren Unangepasstheit, auch wenn die nur bis zu den Waden reicht. Aber Obacht! Jene gemusterten Strümpfe stehen mindestens so gerne im Mittelpunkt wie ihre Träger. (Kein Wunder, dass sie sich unter Anzugträgern solcher Beliebtheit erfreuen.)

Sie sind die Diven der Sockenschublade, ihr Ego nimmt Raum für zwei ein: Ich bin eine limitierte Sonderedition! Ich wurde von einem Künstler gestaltet! Das plötzliche Verschwinden eines jener ach so individuellen Modelle gestaltet sich also um einiges dramatischer als das des Kollegen in Schwarz.

Dem Träger bleiben nur zwei Möglichkeiten, über den Verlust hinwegzukommen: Entweder treibt er seine Unangepasstheit auf die Spitze und kombiniert den Restposten mit einem anderen schrägen Single-Strumpf. (Ob das erst gutgeht?) Oder aber er zeigt sich von seiner großzügigen Seite, schiebt die Socke unters Sofa und macht so der Katze ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 17.5.2021)