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Jan Nepomnjaschtschi verabschiedet Maxime Vachier-Lagrave. Jetzt wartet der Endgegner: Magnus Carlsen.

Foto: Reuters/Ootes

Jekaterinburg – Am Ende ging alles sehr schnell. In einem ausgesprochen spannenden Kandidatenturnier, in dem auch der Niederländer Anish Giri mit großartigen Partien begeisterte, war Jan Nepomnjaschtschi mit einem bedeutenden Vorteil in die am Montag ausgetragene Vorschlussrunde gegangen.

Nicht nur lag der Russe zu diesem Zeitpunkt einen halben Punkt vor seinem engsten Verfolger. Er wusste auch das bessere Tiebreak auf seiner Seite: Da Nepomnjaschtschi das direkte Duell gegen Giri für sich entschieden hatte, würde dem Führenden auch ein Punktegleichstand im Endklassement genügen, um den Turniersieg für sich zu beanspruchen.

Vorzeitiger Triumph

Allein solche Feinheiten hatte "Nepo", wie der Mann mit dem für unsereins nicht ganz leicht auszusprechenden Nachnamen gern verkürzend genannt wird, dann gar nicht mehr nötig. Mit Weiß spielend, parierte er recht locker alle Gewinnversuche des drittplatzierten Franzosen Maxime Vachier-Lagrave, der ihn mit einem hypermodernen Doppelfianchetto in tiefe Gewässer zu locken versuchte.

Großmeister Markus Ragger analysiert unter anderem Jan Nepomnjaschtschi vs. Maxime Vachier-Lagrave.
Österreichischer Schachbund

Zwischenzeitlich stand Nepomnjaschtschi mit einem Mehrbauern wohl auf Gewinn. Aus guten turniertaktischen Gründen vermied er jedoch jedes Risiko und steuerte die Partie mit ruhiger Hand in den Remishafen. Da sein erster Verfolger Anish Giri, parallel zum Siegen verdammt, strauchelte und eine Niederlage quittieren musste, erwies sich Nepos Vorgehen als den Umständen perfekt angemessen: Mit einem vollen Punkt Vorsprung vor der Schlussrunde war der 30-Jährige nicht mehr einzuholen – und konnte sich mental schon einmal mit dem WM-Match gegen Magnus Carlsen auseinandersetzen, das seinen Siegespreis darstellt.

Ein zu langes Turnier

Der im russischen Brjansk geborene Nepomnjaschtschi wird der bereits vierte Herausforderer sein, der dem norwegischen Champ seit dessen Titelgewinn 2013 in einem Zweikampf gegenübersitzt. Das eigentlich für 2020 avisierte aber wegen der Pandemie um ein Jahr nach hinten verschobene WM-Finale soll von 24. November bis 16. Dezember in Dubai als Teil der Expo 2021 über die Bühne gehen. "Es ist natürlich ein Riesenmeilenstein in meiner Karriere und vielleicht auch in meinem Leben", sagte der WM-Kandidat in einer ersten Reaktion und fügte hinzu: "Ich bin extrem müde. Ich glaube, ich möchte lieber kein Turnier mehr spielen, das länger als ein Jahr dauert."

Die Corona-bedingte Unterbrechung genau zur Halbzeit Ende März 2020 hatte das Kandidatenturnier zu einer in der Geschichte des Schachsports einzigartigen Hängepartie gemacht. Dass Nepomnjaschtschi sich letztlich souverän durchsetzte, zeigt, dass die in der Vergangenheit oft wenig konstant agierende Nummer drei der Weltrangliste (aktuelle Elo: 2.796) inzwischen die nötige Turnierhärte besitzt. Und die wird gefragt sein, um Weltmeister Carlsen Ende des Jahres in dem Arabischen Emirat in einem fast einen Monat andauernden Match zum Schwitzen bringen zu können.

Der Schnellsten einer

Immerhin hat Nepomnjaschtschi die Statistik auf seiner Seite: Einer Niederlage und sechs Remis stehen ganze vier Siege Nepos gegen Carlsen in Partien mit klassischer Bedenkzeit gegenüber – der beste Score aller Spitzenspieler gegen den Champ. Zwar geht der 30-jährige Weltmeister, der das Schach in den vergangenen zehn Jahren fast nach Belieben dominiert hat, dennoch als Favorit in seine vierte Titelverteidigung. Der oft für sein hervorragendes Stellungsgefühl gelobte Nepomnjaschtschi, der nach eigener Aussage heute sehr viel härter an seinem Schach arbeitet als noch vor fünf oder zehn Jahren, ist aber definitiv nicht chancenlos.

Großmeister Markus Ragger analysiert unter anderem Jan Nepomnjaschtschi vs. Wang Hao.
Österreichischer Schachbund

Zumal Magnus Carlsen das Zweikampfformat bekanntermaßen nicht besonders schätzt: Seine letzten beiden Titelverteidigungen gelangen der unangefochtenen Nummer eins der Weltrangliste (aktuelle Elo: 2.847) – 2016 gegen Sergei Karjakin, 2018 gegen Fabiano Caruana – jeweils erst im Schnellschach-Tiebreak. Auf ein solches wird er sich gegen seinen gleichaltrigen Herausforderer vielleicht lieber nicht verlassen wollen: Jan Nepomnjaschtschi gilt nämlich als einer der schnellsten Spitzenspieler überhaupt, der seine Bedenkzeitreserve mitunter kaum antastet.

Zum Abschluss des Kandidatenturniers verlor Nepomnjaschtschi gegen Ding Liren, der sich nach einer verpatzten ersten Turnierhälfte noch auf Platz fünf vorarbeitete. Mit einem Sieg gegen den anderen chinesischen Teilnehmer Wang Hao schob sich Vachier-Lagrave auf Platz zwei vor. Giri verlor auch seine letzte Partie und fiel auf Platz drei zurück, den er sich mit Caruana teilt. (Anatol Vitouch, 27.4.2021)