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Woher nimmt man die Kraft, sich aufzuraffen, wenn eigentlich schon alles wehtut? Die wissenschaftliche Vorstellung von Willenskraft hat sich im letzten Jahrzehnt gewandelt.

Foto: Getty Images / filadendron / Todor Tsvetkov

Immer zu Hause, Stress mit Kinderbetreuung, Beziehungsleben und Videokonferenzen, kein Urlaub, keine Abwechslung: Die Corona-Pandemie drängt uns einen Lebensstil auf, der für viele zur psychischen Belastung wird.

Motivation dauerhaft aufzubringen ist wichtig, um diese Zeit durchzustehen. Das gelingt manchen Menschen besser, manchen weniger gut. Doch wovon hängt das ab? Ist Motivation eine Größe, die sich mit der Anstrengung verbraucht? Oder können wir uns immer wieder aufraffen und gegen Widerstände durchsetzen – allein weil wir das wollen?

In der Psychologie beschäftigen sich Forschende seit langem mit der Frage, wie die menschliche Willenskraft wirkt. Veronika Job, die nach Stationen an der Universität Zürich, der Stanford University und der TU Dresden seit Februar dieses Jahres eine Professur für Motivationspsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien innehat, hat in diesem Forschungsbereich ihren Schwerpunkt gefunden. Ihre bisherigen Arbeiten haben zu einem Paradigmenwechsel in der Art, wie die Wissenschaft Willenskraft begreift, geführt.

Fähigkeit zur Selbstkontrolle

Die traditionelle Betrachtungsweise, die bis vor gut zehn Jahren wenig infrage gestellt wurde, umschreibt das sogenannte Ego-Depletion- oder Selbsterschöpfungsmodell. Es besagt, dass die Fähigkeit zur Selbstkontrolle eine Ressource ist, die verbraucht wird. Bedarf also eine erste Aufgabe ein gewisses Maß an Willenskraft, würde für eine folgende Aufgabe entsprechend weniger zur Verfügung stehen – sofern es keine Erholung dazwischen gibt, die die Reserven wieder auffüllt.

Erprobt wurde dieser Ansatz anhand von Studien, bei denen Probanden zwei aufeinanderfolgende Tätigkeiten, die Willenskraft erfordern, absolvieren mussten – vom Widerstehen bei Süßigkeiten bis zur Beschäftigung mit unlösbaren Rätseln.

Job – damals an der Stanford University – zeigte in einer Studie, dass das Abnehmen der Willenskraft durch ihren Gebrauch längst keine Konstante ist. "Wir konnten zeigen, dass die Fähigkeit zur Selbstkontrolle etwas ist, was vom Menschen selbst im hohen Maße beeinflusst werden kann", sagt Job. "Dabei ist vor allem die Frage wichtig, welche Erwartungen wir an uns selbst stellen." Für die Wissenschafterin ist die Vorstellung der Willenskraft als endliche Ressource eine selbsterfüllende Prophezeiung. Sie stimmt nur dann, wenn man daran glaubt.

Die renommierte Motivationspsychologin Veronika Job, seit kurzem an der Uni Wien, entwickelte an der Stanford University neue Forschungsansätze.
Foto: privat

In der Studie zeigten Job und Kollegen, dass sie die Fähigkeit zur Selbstkontrolle von Probanden durch subtile Manipulationen verändern konnten – etwa durch bestimmte Formulierungen in den Fragestellungen. Legte man den Probanden nahe, dass man sich auch im erschöpften Zustand noch gut konzentrieren kann, zeigte sich das auch in ihren Leistungen.

Suggerierte man eine große Anstrengung, nach der man eine Pause brauchen würde, fühlten sich die Probanden tatsächlich erschöpfter. Zum Teil seien diese Sichtweisen, die die Verfügbarkeit von Willenskraft bestimmen, Persönlichkeitskomponenten, die in der Kindheit vorgeprägt wurden, vermutet Job. Es gebe aber auch situative Aspekte, die man im Moment bewusst verändern kann.

Erwartungshaltung als Schlüssel

Die Studie gab die Basis für vielfältige Forschungsarbeiten, in denen man sich auf neue Art dem Thema Motivation nähert. Job selbst stellte, gemeinsam mit Forschungspartnern in Saarbrücken, im Rahmen einer Metastudie die Frage, ob man Willenskraft – wie einen Muskel – trainieren könne. "Die Analyse legt nahe, dass es hier zumindest kleine Effekte gibt, die ebenfalls durch die Erwartungshaltung vermittelt werden", erklärt die Wissenschafterin. "Der Gedanke, dass die Willenskraft wachsen könnte, ist selbst schon ein Werkzeug, das hilft."

Dass die gängigen Vorstellungen zur Selbstkontrolle bereits in der Kindheit fixiert werden, zeigt auch das bekannte Marshmallow-Experiment, bei dem es darum geht, ob Kinder bereit sind, eine Belohnung gegen eine noch größere Belohnung einzutauschen, auf die sie aber länger warten müssen.

Eine Langzeitstudie, an der Job beteiligt war, zeigte aber, dass auch später, in der Jugendzeit, wichtige Weichen gestellt werden, die die Vorstellung von Willenskraft und damit das künftige Arbeits- und Beziehungsleben mitprägen. "Auch hier gibt es noch einen Persönlichkeitsteil, der veränderbar ist. Wenn Jugendliche öfter Situationen ausgesetzt sind, die ihnen Selbstvertrauen vermitteln und in denen sie Selbstkontrolle einüben können – etwa im Sport –, wirkt sich das positiv auf ihr weiteres Leben aus", resümiert Job.

Einfluss auf Beziehungen

Die Vorstellung, die die Menschen von ihrer Willenskraft haben – aufbrauchbar oder nicht –, hat auch Auswirkungen darauf, wie sie in Beziehungen agieren. "Wir projizieren die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die wir für uns selbst annehmen, auch auf andere", sagt Job. "Geht man von einer limitierten Ressource aus, dann zeigt man auch mehr Verständnis für die mangelnde Selbstkontrolle des Partners." Im Endeffekt hängt auch die Bereitschaft zu Unterstützungsleistungen davon ab, welches Konzept von Willenskraft man in sich trägt.

Außerdem legt die einschlägige Forschung nahe, dass die Vorstellung von Willenskraft auch kulturelle Aspekte hat. Eine Studie zeigt, dass man in den USA viel eher glaubt, dass Selbstkontrolle eine sich erschöpfende Ressource ist. In Indien ist dagegen die Vorstellung verbreitet, dass man Willenskraft durch eine mentale Anstrengung noch steigern kann. "Es könnte sein, dass diese Vorstellungen auch eine Rolle dabei spielen, wie östliche und westliche Gesellschaften auf die Herausforderungen der Corona-Krise reagieren", mutmaßt Job.

Positive Kommunikation

Was soll man also jemandem sagen, der angesichts der lang anhaltenden Pandemie an einem Motivationsdefizit leidet? Job: "Diesem Menschen würde ich gerne Folgendes mitgeben: Es muss nicht so sein. Jene Narrative, die wir einander kommunizieren, verstärken unsere Vorstellungen der Willenskraft und können direkt Einfluss darauf haben, wie wir uns fühlen.

Man kann jammern, dass wir alle so erschöpft sind und nicht mehr können. Man kann aber auch darauf hinweisen, wie weit wir schon gekommen sind und wie gut viele von uns gelernt haben, mit der schwierigen Situation umzugehen." (Alois Pumhösel, 3.5.2021)