Im Gastkommentar wundert sich Lehrer und Dozent Georg Cavallar über diverse Corona-Maßnahmen im Schulbereich und fragt nach deren Sinnhaftigkeit.

Es war eine Maßnahme, die endgültig für viele Betroffene nicht mehr nachvollziehbar war: Die Abschlussklassen "durften" zwei Wochen früher in die Schule. Warum nicht die Zehn- oder Elfjährigen, die mit dem Distance-Learning viel schlechter zurande kommen als etwa die achtzehnjährige Maturantin? Warum wurde einfach ignoriert, wenn die Betroffenen (etwa die Schülerinnen und Schüler) einen Online-Unterricht bevorzugten? Warum kam hier nicht die berühmte Schulautonomie zum Tragen, die – nach drei Jahrzehnten – nur noch zu einer bloßen Phrase verkommen ist?

Wie geht es an den Schulen weiter? Nächste große Öffnungsschritte sind einmal für Mitte Mai geplant.
Foto: Christian Fischer

Viel zu häufig verlangte das Bildungsministerium in den letzten Wochen und Monaten Änderungen in der Organisation, die viel Energie kosten, belastend sind und verunsichern. Offensichtlich herrscht im Ministerium die Auffassung, dass nur zentralistisch Lösungen gefunden werden können, die für rund 6000 Schulen in ganz Österreich passen sollen. Warum gibt es hier nicht mehr Mut zu echter Autonomie innerhalb eines vorgegebenen Rahmens und einen Vertrauensvorschuss, dass die Schulen "vor Ort" die richtigen Maßnahmen setzen werden?

So entsteht der Eindruck, dass von Schulautonomie vor allem dann die Rede ist, wenn die Schulen unangenehme Maßnahmen – etwa Sparmaßnahmen – umsetzen dürfen. Sie ist dann unerwünscht, wenn diese Schulautonomie nicht den Interessen des Ministeriums entspricht.

Ohne politische Lobby

Nun fordert der Bundesverband der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen (BEV) das Ende des Schichtbetriebs an Schulen, der am Montag – wieder einmal – begonnen hat. Die Forderungen der Eltern nach einem Ende des Schichtbetriebs sind berechtigt. Aus psychologischen und sozialen Gründen, wegen der Lernrückstände, wegen der massiven Belastungen für Schülerschaft und Eltern.

Vieles, was derzeit rund um das Thema Schule geschieht, versetzt in Staunen. Auffallend ist, wie sehr schulische Themen (und damit auch das Thema Schulöffnung) in den Hintergrund getreten sind, verglichen etwa mit den Debatten um die Öffnung von Lokalen, Geschäften oder dem Sommerurlaub. Kinder und Jugendliche sind ohne politische Lobby, sind im Grunde genommen mit ihren psychosozialen Problemen und massiven Lernrückständen als Kollateralschaden in Kauf genommen worden.

Nicht alles ist schlecht, es wird auch einiges getan, etwa die Planung der Sommerschule 2021. Es gibt mehr Förderstunden bis zu den Sommerferien, kostenlose Lernhilfestunden und angeblich 20 Prozent mehr schulpsychologische Betreuung – Ausgangpunkt ist allerdings ein sehr niedriges Niveau. Trotzdem bleiben zu viele Fragen offen. Warum war es nicht möglich, dafür zu sorgen, dass durch regelmäßige Testungen alle Schulen viel früher ganz geöffnet wurden? Lehrervertretungen, Expertinnen und Experten fordern seit Jahren mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen und Beratungslehrkräfte an Schulen. Warum wurde das nie umgesetzt? Jetzt, wo die psychosoziale Belastung für Kinder und Jugendliche noch größer geworden ist und die Meldungen immer alarmierender werden, fehlen sie.

Welche Vorbereitungen gibt es für den Herbst? Von einem Ministerium muss strategisches Denken gefordert werden. Das "Weiterwursteln" von einer Woche auf die nächste, von einem Erlass zum nächsten wirkt wenig "professionell" (auch so ein Zauberwort wie "Schulautonomie").

Dafür dürfen bereits jetzt alle Schularten das neue Qualitätsmanagement Schule (abgekürzt QMS) vorbereiten, das ab Herbst gelten soll. Sind die Verantwortlichen im Bildungsministerium mittlerweile so weit von der Schulrealität entfernt, dass sie gar nicht merken, dass an den Schulen momentan ganz andere Themen und Probleme dominieren und Vorrang haben müssen? Qualitätsmanagement sollte nicht prinzipiell abgelehnt werden, aber es wirkt etwas skurril, es zu diesem Zeitpunkt einführen zu wollen.

Schlechtes Timing

Nicht anders verhält es sich wohl mit der sogenannten Informellen Kompetenzmessung (IKM), die seit Montag an allen dritten Klassen der Volksschulen durchgeführt werden soll. Die Lehrkräfte erfahren dann Ende Mai die Ergebnisse, die nicht in die Note einfließen sollen. Gegebenenfalls können dann – die Messung erfolgt in den Bereichen Deutsch/Lesen und Mathematik – Fördermaßnahmen erfolgen. Ende Mai ist das Schuljahr allerdings praktisch "gelaufen". Auch hier gilt: Eine externe, verpflichtende Erhebung ist wie bei den BildungsStandards durchaus sinnvoll, aber der Zeitpunkt ist ungünstig gewählt. Gerade jetzt, bei der massiven Belastung von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften, erscheint das "pädagogisch wenig sinnvoll", um eine beliebte Phrase zu zitieren.

Das Ausbildungs- und Bildungsniveau von zu vielen Schülerinnen und Schülern in Österreich ist seit Jahren prekär – siehe die erschreckend hohe Zahl funktionaler Analphabeten. Gibt es Erhebungen, wie viele Schülerinnen und Schüler seit Beginn der Pandemie "verloren" gegangen sind? Was wird für die Kinder aus bildungsfernen oder armen Familien getan, wo Schülerinnen und Schüler keinen eigenen Laptop, kein eigenes Zimmer, vielleicht nicht einmal einen eigenen Arbeitsplatz haben?

Zuletzt bleibt ein wenig schmeichelhaftes Gesamtbild: ein Unterrichtsminister und ein Ministerium, die mit der Situation überfordert zu sein scheinen. Eine Regierungspartei, die offensichtlich nur ein "Herzensanliegen" hat, nämlich den Erhalt des Gymnasiums – alles andere scheint sekundär. Das wäre doch etwas wenig und etwas engstirnig.

Der Schichtbetrieb in der Sekundarstufe soll nun am 17. Mai enden. Hoffentlich bleibt es dabei. (Georg Cavallar, 28.4.2021)