Die Gewalt gegen Frauen hat sich laut Maria Rösslhumer während der Corona-Pandemie gesteigert.

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Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins der Autonomen Frauenhäuser.

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Susanne Raab (ÖVP) verweist oft auf ihren Schwerpunkt, den sie als Frauenministerin setzen möchte: Den Gewaltschutz. Aufgrund des jüngsten Frauenmordes erinnerte auch Justizministerin Alma Zadić an einige Maßnahmen, die kürzlich beschlossen wurden. Doch wie wirksam sind diese im Kampf gegen Femizide und Gewalt gegen Frauen? DER STANDARD hat mit Maria Rösslhumer gesprochen. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser. Die Maßnahmen befürwortet Rösslhumer zwar, fordert aber weitere Schritte, um das Leben von Frauen zu schützen.

STANDARD: Frau Rösslhumer, was bringt die Stärkung der juristischen und psychosozialen Prozessbegleitung, wie sie Zadić angekündigt hat?

Rösslhumer: Das ist natürlich sehr, sehr sinnvoll. Gerade jetzt in Corona-Zeiten ist es noch viel schwieriger für Frauen geworden, Anwaltskosten oder Gutachten zu finanzieren. Frauen sind derzeit wirklich finanziell in Notlagen. Je mehr Frauen hier unterstützt werden bei Prozessbegleitung, Verfahrens- und Anwaltskosten, desto besser. Das ist wichtig. Das ist eine gute Maßnahme. Das kann man nur unterstützen. Das finden wir auch unterstützenswert.

STANDARD: Justizministerin Alma Zadić hat auch angekündigt, dass Opferschutzeinrichtungen Opfer vor Gericht vertreten können. Warum ist das überhaupt wichtig?

Rösslhumer: Ich kenne das genaue Konzept nicht, wie das funktionieren soll. Aber es ist natürlich eine gute Sache, wenn Opferschutzeinrichtungen Vertretungsbefugnis bekommen bei Verhandlungen und Prozessen – weil die Frauen sich oft keine Anwält*nnen leisten können. Wenn Opferschutzeinrichtungen, die die Frauen gut kennen und sie schon lange betreut haben, sie dann auch noch direkt bei Gerichtsverhandlungen vertreten können: Das ist natürlich sehr unterstützenswert. Weil die Frauen dann nicht x-mal alles erzählen müssen. Sie haben eine Vertrauensperson bei sich, die schon ihre ganze Geschichte kennt und sie dann auch vertreten kann. Es ist grundsätzlich eine sehr gute und wichtige Maßnahme.

STANDARD: Inwiefern ist die Unterstützung vor Gericht besonders wichtig?

Rösslhumer: Wenn man jetzt an die Frauenhäuser denkt: Die kennen die Frauen schon. Frauen sind dort untergebracht, und die Frauenhäuser kennen die Geschichte und ihre Gewalterfahrungen und alle Prozesse, die die Frauen durchgemacht haben. Ich weiß nicht, ob das bei Pflegschaftsverfahren auch gilt. Hier wäre es auch besonders wichtig, dass die Frauen bei Familiengerichten gute Unterstützung bekommen. Gerade bei den Obsorgeregelungen im Zusammenhang mit Gewalt ist es für die Frauen und Kinder oft sehr schwierig, Gerechtigkeit zu erfahren, weil Väter ihre Rechte bei diesen Verfahren einfordern. Unserer Erfahrung nach agieren Behörden oft als der verlängerte Arm der gewalttätigen Männer. Die Behörden berücksichtigen die Gewalt oft gar nicht. Oder die ganzen Gewalterfahrungen, die die Frauen schon erleben mussten. Das wird einfach ignoriert. Insofern ist das natürlich sehr gut, wenn die Opferschutzeinrichtungen hier noch zusätzlich eine Vertretung bekommen sollen.

STANDARD: Ein neuer Erlass soll Strafverfolgungsbehörden gegenüber besonderen Anforderungen bei Gewalt gegen Frauen sensibilisieren. Was sollten Beamt*innen hier wissen?

Rösslhumer: Das fordern wir schon die längste Zeit. Es braucht unbedingt mehr Sensibilisierung. Es braucht Bewusstseinsbildung in der Justiz. Es ist extrem wichtig, dass alle Justizbeamt*innen endlich wissen, was Gewalt ist, was sich da abspielt in einer Gewaltbeziehung, welche Dynamik und welchen Kreislauf das immer mit sich bringt. Frauen bekommen hier zu wenig Unterstützung durch die Justiz. Viele Frauen fühlen sich wirklich im Stich gelassen bei Verhandlungen und bei Gerichtsprozessen. Weil hier immer wieder Victim-Blaming passiert, also Schuldzuweisungen an die Betroffenen und die Opfer anstatt an die Gewaltausübenden.

STANDARD: Inwiefern hat die mangelnde Sensibilisierung heute Folgen auf Urteile?

Rösslhumer: Frauen werden oft außen vor gelassen. Allein wenn man bedenkt, dass nur zehn Prozent der Anzeigen wirklich verurteilt werden: Das ist so eine minimale Anzahl. Oder dass 60 Prozent der Anzeigen eingestellt werden: Das muss man sich mal vorstellen! Eine Frau macht eine Anzeige wegen Gewalt durch den eigenen Partner oder Ex-Partner – und dann wird das eingestellt, weil es wieder heißt, es gibt zu wenig Beweise. Oder es steht Aussage gegen Aussage, es gibt widersprüchliche Aussagen. Dann wird eingestellt, statt mehr Beweise zu ermitteln und Zeuginnen und Zeugen zu vernehmen.

STANDARD: Wie soll die Sensibilisierung konkret implementiert werden?

Rösslhumer: Es braucht viel mehr Sensibilisierung, und die Sensibilisierung muss verpflichtend sein. Ich habe davon gehört, dass Sensibilisierungsmaßnahmen gesetzt werden sollen. Aber es muss verpflichtend sein. Die Justizbeamten müssen verpflichtende Schulungen in Anspruch nehmen, so wie bei der Polizei auch. Und es muss verpflichtend in der Ausbildung verankert werden. Es reicht nicht als Fort- und Weiterbildung, sondern es braucht auch Verankerungen in die Ausbildung von Richter*innen und auch Staatsanwält*innen. Alle müssen hier sensibilisiert werden, damit Frauen wirklich geschützt und unterstützt werden während des Verfahrens.

STANDARD: Gibt es weitere Maßnahmen, die Ihrer Meinung nach noch implementiert werden müssen?

Rösslhumer: Es braucht auf jeden Fall eine gute Gefährlichkeitseinschätzung oder -prognose. Wir haben immer wieder das Problem, dass Täter auf freiem Fuß angezeigt werden. Sie können dann noch irgendwas planen, sogar einen Mord planen. Die meisten Mörder und schweren Gewalttäter, die wir in Österreich haben, sind oft schon auffällig und polizeibekannt.

STANDARD: Welche Wirkung hätte so eine Prognose?

Rösslhumer: Es wird viel zu wenig eine Gefährlichkeitseinschätzung, eine Prognose gemacht: Wie gefährlich ist der Täter tatsächlich? Und warum kommt er nicht in U-Haft, statt auf freiem Fuß angezeigt zu werden? Da muss man noch besser hinschauen. Es braucht Risiko- und Gefährlichkeitseinschätzungen. Dazu gehört auch, dass man die Opfer mehr unterstützt. Wo hat sich die Betroffene schon überall hingewandt? Wie geht es den Kindern? Was plant der Täter eigentlich? Wie tickt der? Welches Profil hat der Täter? Ist er ein sehr rachsüchtiger Typ? Ist er ein sehr narzisstischer Mann? Oder besonders gefährlich, weil er Waffen besitzt? Man muss viel mehr hinschauen und viel mehr diese Gefährdung einschätzen, damit es zu weniger Morden und Mordversuchen kommt.

STANDARD: Welche Maßnahmen in Richtung der Opfer würden Sie sich wünschen?

Rösslhumer: Es wäre wichtig, dass Frauen und Kinder nach einer Wegweisung, wenn der Täter nicht aufgefunden wird, polizeilichen Personenschutz bekommen. Dass sie in der Zeit, wo der Täter flüchtig ist und keine Wegweisung stattfinden kann, wirklich Personenschutz bekommen. So wie andere Prominente Menschen auch, die Personenschutz bekommen, müssen auch Frauen in dieser Zeit geschützt werden – wo der Täter jederzeit auflauern und sie ermorden kann. Hier muss viel mehr investiert werden. Das kostet natürlich auch Geld.

STANDARD: Wo würden Sie Mittel konkret einsetzen?

Rösslhumer: Es braucht viel mehr Geld. Wir müssen viel mehr investieren in den Opfer- und Gewaltschutz. Es ist einfach unglaublich, was sich da abspielt in Österreich. Durch Corona vermehrt und steigert sich die Gewalt enorm. Es sind so viele Frauen von Gewalt betroffen. Es braucht da viel mehr Investition. Wir fordern in letzter Zeit überhaupt eine Joboffensive. Im Gewaltbereich sollen viel mehr Personen angestellt werden, weil wir so wenig Kapazitäten haben. Alle Frauenhäuser, alle Opferschutzeinrichtungen haben so viele Fälle. Der Bedarf ist enorm. Wir bräuchten viel mehr Geld und Personal, um das alles bewältigen zu können. Es bräuchte mindestens 3.000 Arbeitsstellen mehr in Österreich, um all das bewältigen zu können. (Ana Grujić 28.4.2021)