Eines muss man Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zugutehalten: Er schafft es noch immer, die Menschen zu überraschen. Neuester Beweis dafür ist sein Vorschlag, in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen die Wahrheitspflicht abzuschaffen. Selbst abgehärtete Kenner der Sobotka'schen Vorsitzführung dort dürften ob dieser Aussage staunen. Die hat Sobotka noch dazu mit Falschinformationen garniert: In deutschen U-Ausschüssen kann man – anders als von ihm behauptet – sehr wohl bestraft werden, wenn man lügt.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka schafft es noch immer, die Menschen zu überraschen.
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In knapp einem Jahr als U-Ausschuss-Vorsitzender hat Sobotka fast alle möglichen Kardinalsünden begangen: Er zieh einen Oppositionellen trotz konträrer Aktenlage der Lüge; gab sich alles andere als transparent hinsichtlich seiner eigenen Beziehung zur Novomatic; er ergriff in Befragungen klar Partei für andere ÖVP-Politiker; antwortete selbst auf Fragen an Auskunftspersonen; desavouierte öffentlich den U-Ausschuss und wurde von der Opposition selbst der Falschaussage verdächtigt. Kurzum: Er hat alle anderen Parteien, auch den Koalitionspartner, gegen sich aufgebracht, was dem Bild eines bedächtigen Ausschussvorsitzenden komplett entgegensteht.

Aber – und ja, es gibt ein Aber – einen klitzekleinen Punkt hat Sobotka schon: Dass Beschuldigte vor Gericht lügen dürfen, im U-Ausschuss aber nicht, ist durchaus eine Schieflage. Man könnte die Verfahrensordnung dahingehend ändern, dass jene Auskunftspersonen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, nicht wegen Falschaussage belangt werden können. Das würde tatsächlich verhindern, dass es zu stundenlangen Entschlagungsorgien kommt, wie zuletzt zum Beispiel bei der Befragung von Finanzminister Gernot Blümel.

Punktuelle Reform

Eine generelle Abschaffung der Wahrheitspflicht, also auch für unabhängige Zeugen, würde U-Ausschüsse jedoch ad absurdum führen. Schon jetzt tut sich das Gremium schwer genug damit, alle relevanten Informationen zu sammeln. Blümels Finanzministerium folgte bisher einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) nicht, E-Mails an den Ausschuss zu übermitteln. Kanzler Sebastian Kurz behauptet nun, unterstützt durch 692 Mitarbeiter, man habe keine für den U-Ausschuss "abstrakt relevanten" E-Mails gefunden; auch darüber wird der VfGH beraten. Es mutet zumindest merkwürdig an, dass im Kanzleramt keine Korrespondenz zu den so breiten Themenfeldern des U-Ausschusses gefunden wurde.

Außer Frage steht, dass eine punktuelle Reform des U-Ausschusses keine schlechte Idee wäre. Die generelle Wahrheitspflicht darf nicht angerührt werden. Überlegenswert wären TV-Übertragungen, wie von Sobotka angeregt; oder die Einführung des Delikts der Beweismittelunterdrückung, eine Neos-Idee.

All das sollte man aber in Ruhe nach dem Ende des Ausschusses besprechen. Denn sonst wirkt es so, als würde die ÖVP etwas reformieren wollen, das ihr gefährlich wird – wie zuletzt im Bereich der Justiz. (Fabian Schmid, 27.4.2021)