US-Autorin Jenny Offill nimmt sich viel Zeit zum Schreiben ihrer Bücher. Diesmal sieben Jahre.

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Von heiter bis bewölkt: In "Wetter" spannt Autorin Jenny Offill den Bogen von der persönlichen Stimmungswetterlage ihrer Hauptfigur bis zur Klimakrise.

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Jenny Offill schreibt wenig und langsam. Aber wenn die in Brooklyn lebende Autorin und Literaturdozentin ein neues Buch herausbringt, wird es hochgelobt. Ihr Erstling Last things schaffte es 1999 unter die "notable books" der New York Times, und ihr zweiter Roman Amt für Mutmaßungen wurde 2014 von derselben Zeitung unter die zehn besten Bücher des Jahres gewählt. Nun ist – mit 53 Jahren – ihr dritter Roman erschienen.

In Wetter erzählt Offill aus dem Leben der New Yorker Bibliotheksangestellten Lizzie. Sie ist geschätzt Mitte vierzig, verheiratet mit dem Programmierer und studierten Philosophen Ben und Mutter von Eli, Schüler. Sie leben mit Hund im schick gewordenen Viertel Flatbush. Lizzies Beziehung zu ihrem früher drogenabhängigen Bruder Henry ist eng. Im Verlauf von rund 200 Seiten wird Henry eine Frau kennenlernen und Vater werden, Lizzie hingegen ihrer Ehe etwas überdrüssig.

Es sind Alltagsszenen, die Offill aneinanderreiht. Dafür zersplittert sie ihren Roman in viele, meist nur wenige Zeilen kurze Textblöcke. Auf diese Weise kann sie schnell zwischen Themen springen und vermeidet Füllmaterial. Im Ton lakonisch, bildet sie Älterwerden, partnerschaftliches Zusammensein und die Mutterschaft ihrer Hauptfigur ab. Beiläufige Ereignisse und zärtliche Beobachtungen wechseln sich mit melancholischen Überlegungen und Selbstzweifeln ab.

Wie die Schnauze der Hündin

Das ist fantastisch und klug zu lesen. Wenn Lizzie denkt, dass sie bei der Erziehung versagt, fragt sie sich, warum sie nicht mehr Kinder bekommen hat, "um mehr Gelegenheiten zu haben", es besser zu machen. Als ihre Knieschmerzen als Alterserscheinung diagnostiziert werden, liest sie aus Bens Blick, dass er bei der Information an den Zeitpunkt denken muss, "als die Schnauze unserer Hündin grau wurde". Als eine Freundin einen neuen Mann kennenlernt und Lizzie Ben im Bett eröffnet, sie könne sich nur vorstellen, wie es sein muss, sich in diesem Alter zu verlieben, schließt die Szene so brillant wie schlicht: "‚Du bist schon verliebt‘, korrigiert er mich."

In seiner kompromisslosen Klarheit erinnert das an autofiktionale Bücher von Maggie Nelson und Rachel Cusk. Wer jene schätzt, wird auch Offills Werk mögen und die Art, wie sie mit sparsamem Einsatz der Mittel Wirkung erzeugt. Diese Dichte ist Ergebnis eines langen Prozesses: Offill sammelt ihr Material, ehe sie Figuren dazu findet. Im nächsten Schritt arrangiert und formuliert sie, um den Text dann zur Seite zu legen und mit Abstand erneut anzupacken. Manchmal wirkt Wetter fast wie ein Ratgeber: "Ungeschehen kann man es nicht machen, aber darüber sprechen."

Politisches und ökologisches Klima

Trotzdem geht es um mehr als nur Selbstwahrnehmung und Privatleben. Der Klimawandel und die beginnende Präsidentschaft Donald Trumps spielen immer wieder hinein. Die gesellschaftlichen Verschiebungen zeigen sich im Kleinsten. War es früher einfach, in der Bibliothek, in der Lizzie mehr als Notlösung denn aus Berufung arbeitet, Flugblätter aufzuhängen, kommen sie nun "in einen Glaskasten. Es gibt einen Schlüssel, und man muss am Schalter darum bitten. Meine Chefin hat das so eingerichtet, nachdem jemand anfing, Hassbotschaften aufzuhängen." Eine frühere Professorin Lizzies betreibt derweil einen Podcast, auf den hin sich zunehmend Verschwörungstheoretiker melden. Und aus Sorge vor der Erderwärmung kaufen die ersten Eltern Grundstücke nahe den Polarregionen, damit es ihre Kinder dort in Zukunft erträglich kühl haben. Offills Witz bringt bittere Zustände auf kurzem Weg auf den Punkt.

Zwei Anekdoten im Buch spielen indes auf Wetterverhältnisse an und sind wohl für dessen Titel verantwortlich. Sie laufen darauf hinaus, dass wenn das Klima zu gnädig ist und den Menschen das Leben zu einfach macht, diese beginnen, sich zu langweilen. Die Hyperboreer, ein mythisches Volk, hätten sich deshalb nach 1000 Jahren mit Girlanden geschmückt und ins Meer gestürzt. Wie das zur Geschichte passt? Recht spät im Buch lernt Lizzie einen Mann kennen. Ben und Eli sind campen, sie ist zu Hause geblieben, um sich um ihren Bruder zu kümmern, dessen Beziehung zerbrochen ist. Immer wieder trifft sie den Fremden, widersteht aber letztlich der Versuchung, für ihn von der Klippe der Gewohnheit zu springen. Doch wie schön beschreibt Offill den Reiz: "Manchmal brennt dein Herz mit jemandem durch und braucht nicht mehr als ein Halstuch an einem Stock." Ein Buch, gemacht aus vielen solchen Sätzen. (Michael Wurmitzer, 28.4.2021)