Ist die Modellregion Vorarlberg ein Flop? Experten sind sich uneins, ob ausreichend evaluiert wird.

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Bregenz/Wien – Seit 15. März ist Vorarlberg Corona-Modellregion, in der erste Öffnungsschritte in Gastronomie, Sport und Kultur versucht werden. Die Infektionszahlen haben sich seitdem verdreifacht. Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob der Versuch misslungen sei und ob er überhaupt adäquat wissenschaftlich evaluiert wird.

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) bestätigte in der ZiB 2 am Montagabend, dass sehr wohl eine wissenschaftliche Begleitung stattfinde, und zwar durch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) sowie die Medizinische Universität Graz. Wallner dementierte, dass man es verabsäumt habe, den Versuch der Modellregion von Beginn an wissenschaftlich zu begleiten.

Cluster-Analysen der Ages

Im Zuge täglicher und vertiefter Clusteranalysen gehe man praktisch allen größeren Corona-Ausbrüchen, die sich seit den Öffnungsschritten bildeten, nach, erklärte dazu auf Nachfrage des STANDARD der Vorarlberger Gesundheitsexperte Armin Fidler, der auch in der Corona-Kommission des Gesundheitsministeriums sitzt. Anhand dieser Cluster-Analysen habe man beispielsweise festgestellt, dass es im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe (KMU) zu vermehrten Ansteckungen gekommen ist. Umgehend habe man seitens des Landes mit einem Testangebot für KMU reagiert.

Genau das sei es, was das Land brauche, ist Fidler überzeugt: "Nicht teure akademische Studien, deren Ergebnisse wir erst in Monaten haben." Er meint damit die Case Control Studie, die ein Team rund um Gerald Gartlehner, Experte für evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems, dem Gesundheitsministerium und dem Land Vorarlberg vorgeschlagen hatte.

Case-Control-Studie zu teuer und irrelevant

Diese deutlich aufwendigere Evaluierung hätte untersucht, wie groß das jeweilige Infektions-Risiko bei den einzelnen Öffnungsschritten tatsächlich ist. Dazu hätten einerseits Infizierte, aber auch eine große Kontrollgruppe Nicht-Infizierter eingehend befragt werden müssen. Für Fidler wäre eine solche Evaluierung, an der mehr als 2.000 Personen teilnehmen müssten, "logistisch nicht durchführbar" gewesen und für die Politik als Entscheidungsgrundlage "irrelevant".

Gartlehner kann der Kritik wenig abgewinnen. Die Kosten von 360.000 Euro seien angesichts der Kosten für Massentestungen vernachlässigbar, da eine solche Studie langfristig wertvolle Daten bringen könne, die im Pandemie-Management helfen würden. Dass eine solche Studie nicht durchführbar sei, verneint Gartlehner: "Ich sitze aktuell an der Peer Review eines solchen Papers, das Kollegen in den Niederlanden erstellt haben."

KAP-Survey in Vorarlberg und Kärnten

Stattdessen haben sich Ministerium und Land auf eine deutlich günstigere sogenannte KAP-Survey (Knowledge, Attitude, Practice, Anm.) geeinigt. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch von der Med-Uni Graz wird diese durchführen. Geplant ist, insgesamt 500 Personen in Vorarlberg und Kärnten zu befragen, um herauszufinden, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass die Menschen sich an die Maßnahmen halten oder eben nicht. Dabei gehe es um prinzipielle Zusammenhänge, die dazu beitragen sollen, die Bevölkerung besser zu verstehen. Mit ersten Ergebnissen wird in etwa vier Wochen gerechnet.

Im Zuge der KAP-Survey werden prinzipielle Zusammenhänge, die dazu beitragen sollen, die Bevölkerung besser zu verstehen, erhoben. Dafür werden etwa Aspekte, wie die wahrgenommenen Vorteile oder Nachteile, die das Befolgen der Maßnahmen mit sich bringt, aber auch die Einschätzung der Gefahr sich zu infizieren untersucht. "Die eigentliche Begleitevaluierung macht tagesaktuell die Ages, wobei ich persönlich finde, sehr gut, denn mit ihrem engmaschigen Austausch aller Daten ist ein rasches Reagieren im Land möglich", erklärt dazu Siebenhofer-Kroitzsch.

Zu wenig Interesse an evidenzbasierter Politik

Dass es in Österreich grundsätzlich an einer Kultur der evidenzbasierten Politik fehle, glaubt Martin Halla, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz. Er hatte dem Land Vorarlberg im Dezember 2020 eine kostenlose Forschungsunterstützung zur Auswertung von Covid-Daten angeboten: "Wir würden unsere Expertise gerne zur Klärung wichtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitisch relevanter Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Krise einsetzen."

Konkret wollten Halla und sein Team Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen Determinanten wie Alter, Geschlecht oder Einkommen und einer Covid-Infektion untersuchen. Oder welche detaillierten Vorerkrankungen zu schweren Verläufen führen, wie sich Pendelverhalten auf das Infektionsgeschehen auswirkt, und vieles mehr. Solche Analysen sind aufwendig und zeitintensiv, aber sie liefern wertvolle Daten für die politischen Entscheidungsträger. In anderen Staaten, etwa in Skandinavien, sei man dahingehend schon viel weiter.

In Vorarlberg lehnte man das – kostenlose – Angebot Hallas ab. Mit der Begründung, dass Ressourcen für die datenschutzrechtliche Prüfung des Vorhabens fehlen. Für den Forscher liegt darin eine Ursache fehlender Erkenntnisse begründet, wie er erklärt: "Oft geht es darum, dass man die Daten nicht richtig verknüpft oder sie der Wissenschaft einfach nicht zur Verfügung stellt." Halla glaubt, dass die Politik oft nicht ergebnisoffen evaluieren wolle. (Steffen Arora, 27.4.2021)