Schwämme gelten als eine der primitivsten Formen tierischen Lebens, die weder Fortbewegungsorgane noch ein Nervensystem besitzen. Und dennoch hinterließen diese hier offenbar Spuren am am Meeresboden.
Foto: Alfred-Wegener-Institut

Laut genetischen Untersuchung bilden die Schwämme, die vor über 600 Millionen Jahren entstanden, den ältesten aller Tierstämme. Ihre Physiologie und Anatomie ist bis heute vergleichsweise primitiv, denn die Tiere weisen weder Fortbewegungsorgane noch ein Nervensystem auf – zumindest ersteres bräuchte man wohl für aktive Mobilität. Nun aber haben internationale Wissenschafter am Grund der arktischen Tiefsee Spuren entdeckt, die dennoch von Schwämmen zu stammen scheinen. Die Forscher schließen daraus, dass die Tiere sich doch aktiv fortbewegen könnten – wenn auch nur mit wenigen Zentimetern pro Jahr.

Die Überraschung war groß, als das Team um die Tiefseeforscherin Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven hochauflösende Aufnahmen vom Meeresgrund der arktischen Tiefsee detailliert betrachteten: Pfadähnliche Spuren auf dem Meeresboden endeten dort, wo Schwämme saßen. Die Spuren führten in alle Richtungen, sogar bergauf.

Allenfalls passive Fortbewegung

"Wir schließen daraus, dass die Schwämme sich aktiv über den Meeresboden bewegt haben könnten und als Ergebnis Ihrer Bewegung Spuren hinterlassen", berichtet die Schwammforscherin Teresa Morganti vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Das sei deshalb besonders spannend, weil die Wissenschaft bisher davon ausgegangen war, dass Schwämme am Meeresboden festsitzen oder passiv von Meeresströmungen bewegt werden und in der Folge allenfalls Hänge hinab rutschen.

Am Ende jeder Spur sitzt ein Schwamm – ein starker Hinweis darauf, dass diese Tier auch die Verursacher sind.
Fotos: Alfred-Wegener-Institut

"In der arktischen Tiefsee treten keine starken Strömungen auf, die die vorgefundenen Strukturen am Meeresboden erklären könnten," erläutert Expeditionsleiterin Boetius, die mit dem Tiefseebiologen Autun Purser, ebenfalls vom AWI, zusammenarbeitet. Die jetzt im Fachjournal "Current Biology" veröffentlichten Aufnahmen entstanden bei 87°N, am etwa 350 Kilometer vom Nordpol entfernten Karasik Seamount mit dem Forschungseisbrecher Polarstern im Jahr 2016 mit einem geschleppten Kamerasystem OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System).

Spuren aus Schwammnadeln

"Mit dem OFOBS können wir 3D-Modelle aus der Tiefsee erstellen. Der Gipfel des Seamounts war dicht mit Schwämmen besiedelt. 69 Prozent unserer Bilder wiesen Spuren aus Schwammnadeln auf, von denen viele zu lebenden Tieren führten", berichtet Purser.

Aus diesen Beobachtungen erwachsen viele Fragen: Warum bewegen sich die Schwämme? Und wie orientieren sie sich? Mögliche Gründe für die Fortbewegung könnten Nahrungssuche, die Vermeidung ungünstiger Umweltbedingungen oder die Verbreitung der Nachkommen sein. Gerade die Nahrungssuche spielt in nährstoffarmen Ökosystemen wie der arktischen Tiefsee eine große Rolle.

Video: Aufnahmen des OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) vom Karasik Seamount.
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Rätseln über Fortbewegungsart

Dort haben die Schwämme ohnehin eine wichtige Funktion, denn als Filtrierer können sie Partikel und gelöste organische Substanzen verwerten und sind mit Hilfe ihrer bakteriellen Symbionten intensiv am Nährstoffrecycling beteiligt. Außerdem bilden Schwämme mit ihren Strukturen einen Lebensraum für arktische Fische und Garnelen. Der Mechanismen der Fortbewegung stellt für die Wissenschafter jedoch noch ein Rätsel dar. (red, 1.5.2021)