Im Gespräch mit der Austrian Management Review spricht Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Güttel über seine Studie zum Verhalten von Führungskräften in der Finanzkrise, über aktuelle Herausforderungen in der Corona-Krise und darüber, was Entscheidungsträger_innen jetzt tun können.

Krisensituationen stellen nicht nur sehr hohe Ansprüche an Führungskräfte, sondern stellen sie auch vor die ungewöhnliche Situation Handlungen gleichzeitig setzen zu müssen.
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Die Studie fasst Interviews mit ca. 80 Führungskräften zusammen und ist ein Zeugnis, der aus der tiefen Überlebenskrise vieler Organisationen entstandenen, neuen Handlungs- und Problemlösungsmuster. Die Erkenntnisse sind für Führungskräfte in der aktuellen Krise sehr wertvoll und zeigen auf, was sie in der Krisenbewältigung tun können.

Krisensituationen stellen nicht nur sehr hohe Ansprüche an Führungskräfte, sondern stellen sie auch vor die ungewöhnliche Situation Handlungen gleichzeitig setzen zu müssen, die normalerweise zeitlich bzw. organisatorisch entkoppelt stattfinden. So sehen sich Führungskräfte mit paradoxen Herausforderungen konfrontiert: Sie müssen realistisch bleiben, doch gleichzeitig mit Optimismus in die Zukunft blicken, um ihre Teams handlungsfähig zu halten. Sie müssen sowohl schnell autoritär Entscheidungen treffen als auch Themen delegieren. Außerdem müssen sie die Zahlungsfähigkeit im Blick behalten und schon während der Krise proaktiv, durch Innovationen und Veränderungen, die Chancen für die Zukunft verbessern. Sie müssen Regeltreue einfordern, aber gleichzeitig von Regeln abweichen, wo sie nicht adäquat erscheinen.

In diesen Zeiten werden Führungskräfte und ihre getroffenen Entscheidungen von ihrem Umfeld sehr genau beobachtet und auch viele Jahre nach der Krise können Spuren davon in der spezifischen Organisationskultur zurückbleiben.

Was können Führungskräfte in der Krisenbewältigung tun?

Güttel: Schlussfolgerungen der Finanzkrise zeigen: um als Führungskraft auch bei kaum mehr berechenbaren Entwicklungen handlungsfähig zu bleiben und um diese sehr kritischen Entscheidungen treffen zu können, ist es wichtig sich Entscheidungsgrundlagen zu legen. So ist es besonders bedeutend für Führungskräfte sich zurückzuziehen, um aus der Helikopterperspektive zu sehen und zu erkennen welche Themen wichtig sind und welche delegiert werden können sowie eine Szenario-basierte Reflexion zu schaffen und rollierend Pläne zur Absicherung erstellen zu können.

Aus der Studie ergeben sich drei Aspekte, die dabei helfen das Team für die Krise zu rüsten.
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Ebenso ist der Umgang mit dem Team ein entscheidender Faktor für die Krisenbewältigung, denn das Team sollte der größte Rückhalt der Führungskraft in der Krise sein. Aktuell sind Führungskräfte mit sehr viel Unsicherheit ihrer Mitarbeiter_innen konfrontiert und sollten das Bedürfnis nach Orientierung und Information ihrer Mitarbeiter_innen nicht ignorieren. Sie haben berechtigterweise Angst um ihren Job und wissen nicht, wo die Prioritäten liegen. Es stärkt die kollektive Handlungsfähigkeit ungemein ein robustes Kommunikationssystem zu etablieren und die Dichte an Informationsfluss durch unterschiedliche Meetings zu erhöhen. Dadurch können nicht nur Sorgen und Befürchtungen, sondern auch Ideen und Lösungsoptionen erkannt werden.

In der Krise zeigt sich, ob das Team geschlossen hinter der Führungskraft steht und, ob es einen Zusammenhalt zwischen den Teammitgliedern gibt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist natürlich höher, wenn schon in ruhigen Zeiten eine gute Zusammenarbeit sowie ein Bewusstsein über Strategien und Ziele, Rollen und Spielregeln der Zusammenarbeit herrschte.

Aus der Studie ergeben sich drei Aspekte, die dabei helfen das Team für die Krise zu rüsten. Erstens ein gemeinsames Grundverständnis, bestehend aus ‚Simple Rules‘, also nur etwa fünf bis sieben aussagekräftigen Regeln pro Themengebiet, die unbedingt zu beachten sind. Dadurch wird eine klare Richtung vorgegeben, die aber ein hohes Ausmaß an Flexibilität zulässt. Zweitens ist ein großer Zusammenhalt im Team wesentlich, da er vor kleinen internen Konflikten schützt, die in der Krise neben den vielen Turbulenzen und Unsicherheiten zusätzliche Zeit und Energie verbrauchen und daher bei der Krisenbewältigung schwächen. Deshalb dürfen Führungskräfte die soziale Balance im Team nicht vernachlässigen. Drittens braucht es die klare Delegation von Themen und Zuständigkeiten im Team, die nur dann gut funktioniert, wenn die ersten beiden Aspekte gewährleistet sind.

Stabilität oder Wandel

Während der Krise geht es laut Prof. Dr. Güttel sowohl um Stabilität als auch um Wandel. Zum einen müssen stabilitätsfördernde Maßnahmen getroffen werden, um Stakeholder nicht noch mehr zu versunsichern, auf der anderen Seite ist nun auch eine Chance für den Wandel gegeben, denn "[b]esonders in Krisenzeiten lassen sich neue Ideen verwirklichen." Wenn die bestehende Ordnung zusammenbricht und klar wird, dass es so nicht mehr weitergehen kann, ist der Widerstand für Neues gering und so manche innovative Idee bedeutete schon das Überleben der Organisation.

Fazit:

Krisen bergen viele Herausforderungen für Führungskräfte, die sie mithilfe gezielter Techniken und eines starken Teams besser bewältigen können. Gleichzeitig bergen Krisensituationen die Chance, den Grundstein für Neues zu schaffen.

Das Interview erschien zuerst in der Austrian Management Review Vol. 10, 2020.