Autor und Übersetzer Ondřej Cikán schreibt in seinem Gastkommentar über den Konflikt der tschechischen Regierung mit Russland. Er sieht vor allem auch die EU gefordert.

Der kürzlich aufgedeckte, russischen Agenten zugeschriebene Anschlag auf zwei Munitionslager im tschechischen Vrbětice war nicht einfach "eine Spionageaffäre aus dem Jahr 2014", wie es am 20. 4. 2021 im Ö1-Abendjournal hieß, sondern laut der tschechischen Regierung ein beinharter Fall von Staatsterrorismus. Mindestens sechs Agenten des Militärgeheimdiensts GRU sollen (teilweise über Wien) angereist sein und auf tschechischem Staatsgebiet Bomben gelegt haben, bei deren Explosionen zwei tschechische Staatsbürger ums Leben gekommen sind. Die Aufräumarbeiten dauerten sechs Jahre.

Protest mit der EU-Fahne vor der russischen Botschaft in Prag: Am Mittwoch wurde vermeldet, dass Russland sieben EU-Diplomaten ausweist, weil sich diese solidarisch mit Tschechien zeigten.
Foto: EPA / Martin Divisek

Das Motiv ist klar: Die Munition gehörte dem bulgarischen Waffenhändler Emilian Gebrew, der die Ukraine belieferte. Gebrew überlebte dann auch knapp zwei Giftanschläge: Bulgarien fahndet in diesem Zusammenhang nach drei russischen Agenten und wird voraussichtlich die Ermittlungen zu sechs Explosionen mit 17 Todesopfern in dortigen Waffenlagern wiederaufnehmen. Vorweg: Es ist egal, ob der Kreml Waffenlager oder Zuckerraffinerien in die Luft jagt. Wenn ein Land in einem anderen mit Waffengewalt vorgeht, ist das ein feindlicher Akt, Punkt.

Desinformationskampagne

Auch die russische Desinformationskampagne, die sofort nach der Enthüllung losgetreten wurde, ist widerlich. Sie läuft ähnlich ab wie nach der versuchten Ermordung des Doppelagenten Sergej Skripal (2018) und gleicht den Lügen, die Russland immerwährend über die Besetzung der Tschechoslowakei (1968) streut: Die Sache wird verharmlost und relativiert, ja zu einem Friedensprojekt erhoben, man müsse dankbar sein, weil es nun weniger Waffen gebe, die Tschechische Republik sei eine willenlose Marionette, habe eine Affäre losgetreten, um von einem angeblichen Putschversuch in Belarus abzulenken, das ganze Land sei psychotisch und auf Drogen, und die eigentliche Gefahr gehe natürlich von den USA aus.

Bestens geeignet, um Tschechien zu diskreditieren, war die Meldung der APA und der DPA, dass sich im Munitionslager von Vrbětice "hunderte Antipersonenminen" befunden hätten. Das stimmt nicht. Besagte Minen (eigentlich Minenhüllen) wurden in einem anderen Lager einer anderen Firma auf demselben Areal entdeckt. Gegen die Firma wurde Anklage erhoben.

Am bedrohlichsten ist jedenfalls, dass in europäischen Ländern hohe politische Ämter mitunter von Personen bekleidet werden, die im Interesse Russlands agieren – gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung. Prominent zu nennen der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman: In den letzten Jahren nutzte er jede Gelegenheit, um den tschechischen Geheimdienst BIS und dessen Direktor Michal Koudelka zu diffamieren, der vor russischen Aktivitäten auf tschechischem Staatsgebiet warnt. Auch spielte Zeman der russischen Desinformation immer gern in die Hände, am auffälligsten, als er nach der Vergiftung Sergej Skripals damit aufhorchen ließ, dass auch Tschechien mit Nowitschok experimentiert habe!

Arbeit behindert

Zeman und andere setzten sich mit Verve dafür ein, den Bauauftrag des geplanten Kernreaktors in Dukovany an den russischen Staatskonzern Rosatom zu vergeben (das ist jetzt vom Tisch). Auch vor diesem Hintergrund haben Zeman und Co die Arbeit der eigenen Nachrichtendienste nach Kräften behindert. In diesem Geiste war auch Zemans Rede am Sonntag gehalten. Es ist kein Geheimnis, dass Russland gute Beziehungen zu antieuropäischen Akteuren (auch in Österreich) unterhält.

Am 17. April hat Tschechien 18 als Spione enttarnte russische Botschaftsmitarbeiter ausgewiesen. Russland antwortete mit der Ausweisung von 20 Tschechen innerhalb einer Frist von nur 24 Stunden, darunter des Botschafterstellvertreters. Da die tschechische Vertretung in Russland viel kleiner ist, war das keine symmetrische Reaktion. Tschechiens Antwort darauf war richtig – und eigentlich deeskalierend: Russland hat nun Zeit bis Ende Mai, um seine seit Sowjetzeiten aufgeblähte Vertretung in Prag auf den Personenstand der tschechischen Vertretung in Moskau zu reduzieren.

Russland mag sich selbst als Sieger darstellen, das ändert aber nichts daran, dass nach der Ausweisung von insgesamt 81 Botschaftsangehörigen aus Tschechien das Treiben der russischen Geheimdienste in Mitteleuropa eingeschränkt sein wird. Für Tschechien ist die Sache natürlich auch schmerzhaft. Als nunmehr "feindseliger Staat" und "Tabaqui" darf es für seine Einrichtungen in Moskau (z. B. das Kulturzentrum) keine russischen Bürger mehr anstellen.

Nicht kleinzureden

Russlands Präsident Wladimir Putin hat an der Grenze zur Ukraine mit den Waffen gerasselt, niemand weiß, wie viele der über 100.000 Soldaten er tatsächlich wieder abziehen lässt. In seiner Rede an die Nation nannte er weder Alexej Nawalny noch Tschechien noch die Ukraine beim Namen, er wusste aber, wer sich mit der Androhung "asymmetrischer, harter und schneller Reaktionen" angesprochen fühlen wird. "Asymmetrisch" bedeutet nicht "Auge um Auge".

Der Anschlag von Vrbětice ist nicht kleinzureden. Die Mitgliedstaaten der EU müssen, wie vom EU-Parlament gefordert, echte Zeichen der Solidarität mit Tschechien setzen. Die baltischen Länder, die Slowakei und Rumänien haben bereits russische Diplomaten ausgewiesen. Jedes Land mit einem funktionierenden Nachrichtendienst weiß, welche Diplomaten ihre Befugnisse überschreiten. Mangelnde Solidarität würde nicht nur Russland nützen, sondern auch die antieuropäischen Kräfte in Tschechien wieder stärken, denen endlich die Sessel wackeln. Dialog ist wichtig, keine Frage, aber auf Augenhöhe. Miloš Zeman müssen die Tschechen freilich selbst von der Prager Burg jagen. Auf deren Mauern haben Oppositionelle in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2021 den Schriftzug "Hochverrat" projiziert. (Ondřej Cikán, 29.4.2021)