Der Gornergletscher in der Schweiz bildete noch vor wenigen Jahren eine der größten zusammenhängenden Gletscherflächen der Alpen. Inzwischen ist er fragmentiert.

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In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Gletscher weltweit 267 Gigatonnen Eis pro Jahr verloren. Demnach war das schmelzende Gletschereis für rund einen Fünftel des Meeresspiegelanstiegs in diesem Zeitraum verantwortlich, wie ein internationales Team im Fachmagazin "Nature" berichtet.

Für ihre Studie analysierten die Wissenschafter um Romain Hugonnet von der ETH Zürich und der französischen Universität Toulouse mithilfe eines Hochleistungscomputers ein riesiges Archiv von bisher weitgehend ungenutzten Satellitenbildern. Auf Grundlage dieser Daten berechneten sie den Massenverlust von weltweit 217.175 Gletschern lückenlos zwischen den Jahren 2000 und 2019.

Eisschwund im Rekordtempo

Das Ergebnis: Die Gletscher verlieren derzeit mehr Masse als die Eisschilde in Grönland oder der Antarktis. Und sie schrumpfen inzwischen im Rekordtempo. Betrug der Massenverlust zwischen 2000 und 2004 noch im Durchschnitt 227 Gigatonnen Eis pro Jahr, lag dieser Wert zwischen 2015 und 2019 bei 298 Gigatonnen pro Jahr. Dies dürfte laut den Autoren denn auch sechs bis 19 Prozent des beschleunigten Meeresspiegelanstiegs erklären.

Nur in sehr wenigen Gegenden verlangsamten sich die Schmelzraten der Gletscher während des untersuchten Zeitraums: in Island, in Skandinavien sowie an der Ostküste Grönlands. Die Forschenden führen dies auf eine Wetteranomalie im Nordatlantik zurück, die von 2010 bis 2019 lokal für höheren Niederschlag und tiefere Temperaturen sorgte.

Drohende Versorgungsnot

Etwa 200 Millionen Menschen leben heute an Regionen, die bis zum Ende des Jahrhunderts unterhalb der Flutlinien des Meeres liegen werden. Gleichzeitig könnten mehr als eine Milliarde Menschen innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte von Wasserknappheit und Ernährungsunsicherheit betroffen sein.

Zwar entschärft der derzeitige Gletscherrückgang vorübergehend den Wassermangel in manchen Regionen, weil das Schmelzwasser beispielsweise die Flüsse Ganges, Brahmaputra und Indus speisen. "Schrumpfen die Himalaja-Gletscher jedoch weiterhin mit steigendem Tempo, könnten bevölkerungsreiche Staaten wie Indien oder Bangladesch in wenigen Jahrzehnten Wassernot oder Nahrungsmittelengpässe drohen", sagte Hugonnet.

Um gezielte Anpassungsstrategien zu entwickeln, die im Zuge der Klimaerwärmung immer wichtiger werden, sei ein tiefes Verständnis der Gletscherwelt von zentraler Bedeutung, schreiben die Wissenschafter und plädieren dafür, die aktuellen Studienergebnisse in den nächsten Zustandsbericht des Weltklimarats (IPCC) einfließen zu lassen. (red, APA, 28.4.2021)