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Die Rot-Brigadisten haben es nach Jahrzehnten wieder einmal in die Schlagzeilen geschafft.

Foto: Reuters / Stefano Rellandini

Die Erinnerung an die "bleiernen Jahre", als Linksextremisten in Italien in den 1970er- und 1980er-Jahren Unternehmer und Politiker entführten und umbrachten, kehrt abrupt zurück. Das französische Präsidialamt hat am Mittwoch bekanntgegeben, dass die Polizei sieben in Frankreich wohnhafte Ex-Mitglieder der Roten Brigaden festgenommen habe, um sie auszuliefern. Zwei weitere, die bei den Razzien nicht angetroffen wurden, stellten sich am Donnerstag den Behörden.

Das Élysée betonte, die Festnahmen seien in Absprache mit Italien erfolgt. Von 200 Fällen seien nur jene mit "schwersten Verbrechen" betroffen. Der jüngste Verhaftete ist 64 Jahre alt. Insgesamt fielen dem linken und rechten Terror in Italien 370 Menschen zum Opfer, darunter 59 Polizisten und Carabinieri, acht Richter, sechs Politiker und zwei Journalisten. Über 1.000 Personen wurden verletzt.

Das prominenteste Mordopfer war der christdemokratische Spitzenpolitiker und ehemalige Regierungschef Aldo Moro, der am 16. März 1978 von einem Kommando der Roten Brigaden entführt, 55 Tage in einem "Volksgefängnis" gefangen gehalten und dann von seinen Entführern kaltblütig ermordet wurde. Die Entführung und Ermordung Aldo Moros, der sich für eine politische Einbindung der Kommunisten ausgesprochen hatte, brachte Italien an den Rand einer Staatskrise.

Proteste gegen Chirac

Das Präsidialamt in Paris hebt nun hervor, Frankreich bleibe auf der Linie der sogenannten "Mitterrand-Doktrin". Der sozialistische Staatschef von 1981 bis 1995 gewährte zahlreichen Rotbrigadisten aus Italien Asyl; nur die "crimes de sang" (Blutverbrechen) nahm er davon aus. Als sein Nachfolger Jacques Chirac 2004 Cesare Battisti nach Rom ausliefern wollte, bildete sich in Paris eine breite Protestfront von Intellektuellen wie der Krimiautorin Fred Vargas oder dem Starphilosophen Bernard-Henri Lévy. Battisti floh nach Brasilien, das ihn 2019 nach Italien auslieferte.

In Frankreich wogt die Debatte über die "politischen" Morde in Italien bis heute. Die Rechte wirft den Verteidigern der Roten Brigaden vor, sie verrennten sich ideologisch wie einst Jean-Paul Sartre, der in Deutschland für die Rote-Armee-Fraktion der Baader-Meinhof-Gruppe und für die Olympia-Attentäter von 1972 eintrat.

Eine Anwältin der Verhafteten, Irène Terrel, wirft den Behörden dagegen vor, mit dieser "Mini-Razzia" einen "unsäglichen Verrat" begangen zu haben. "Diese Leute stehen seit den 80er-Jahren unter dem Schutz Frankreichs", fügte sie an.

Neue Verbündete

Das Élysée begründet die Festnahmen mit dem Streben nach einer "europäischen Justiz" und dem Kampf gegen den Terrorismus. Diese Kriterien haben Frankreich aber nicht gehindert, anderen Europäern, die in ihrem Herkunftsland in Abwesenheit verurteilt worden waren, jahrzehntelang Asyl zu gewähren. Plausibler scheint es, dass Macron seinem neuen Verbündeten in der EU, dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi, entgegenkommen will.

Nach dem Abgang der deutschen Kanzlerin Angela Merkel im Herbst wollen Paris und Rom in der EU mit gemeinsamen, vor allem budgetpolitischen Forderungen antreten. Die willkürlich wirkende Zahl von sieben Verhafteten – bei 200 Gesuchten – ist ein Indiz, dass sich Frankreich gegenüber Italien Verhandlungspotenzial bewahren will.

Draghi begrüßte die Festnahmen: "Die Erinnerung an diese barbarischen Taten ist im Bewusstsein der Italiener immer noch lebendig", erklärte er. Gleichzeitig sprach er den Familien der Opfer seine ungebrochene Anteilnahme für ihren Schmerz aus.

Den Festnahmen war am 9. April ein Treffen der italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese mit ihrem französischen Amtskollegen Éric Dupond-Moretti vorausgegangen, in dem Lamorgese eine Liste der zu verhaftenden Personen vorgelegt hatte. Anschließend hatte Draghi in einem Telefongespräch mit Macron die außerordentliche Wichtigkeit bekräftigt, die die Angelegenheit für Rom habe.

Provokation für Rom

Insgesamt ermittelte die italienische Justiz damals gegen mehr als 4.000 mutmaßlich Links- und auch 2.000 Rechtsextremisten. Tausende wanderten hinter Schloss und Riegel, die meisten haben ihre Strafe inzwischen verbüßt. Das französische Asyl für 200 von ihnen war von Rom stets als Provokation empfunden worden, die Begründung ebenso: Die in Italien gesuchten Terroristen könnten in ihrer Heimat nicht mit einem fairen Prozess rechnen, da die italienische Justiz – unter anderem mit einer Kronzeugenregelung – grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletze. Rom konnte diese Einwände nie nachvollziehen. (Stefan Brändle aus Paris, Dominik Straub aus Rom, 28.4.2021)