Die Lohnhöhe alleine entscheidet nicht über die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

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Rund um die Schließung des MAN-Werks in Steyr wurde die Debatte über hohe Lohnkosten in Österreich wieder angeheizt. Dabei fällt auf, dass die Forderung, den Faktor Arbeit zu entlasten, quer durch das politische Spektrum vorkommt. Industrievertreter pochen darauf, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, indem die Lohnkosten reduziert werden. Auch seitens der Arbeitnehmervertreter besteht der Wunsch, dass mehr Netto vom Brutto bei Arbeitern und Angestellten ankommt.

Geschehen ist bisher wenig. Schließlich herrscht weniger Einigkeit darüber, wie eine Entlastung der Einkommen gegenfinanziert werden soll. Die Pandemie hat etwas Bewegung in die Sache gebracht. Wie neue Vergleichsdaten zeigen, sank der Anteil von Steuern und Abgaben im ersten Jahr der Corona-Pandemie leicht. Im Ländervergleich rückte Österreich trotzdem auf.

Bei Lohnkosten an der Spitze

Unter den reichen Industriestaaten hat Österreich bei den Lohnkosten im Vorjahr die Schweiz und Belgien übersprungen und lag nur noch hinter Deutschland. Das zeigt der aktuelle Einkommensteuerbericht der Industriestaatenorganisation OECD.

Um die Lohnkosten international vergleichen zu können, rechnen die Experten diese in US-Dollar um und bereinigen sie nach der Kaufkraft. Letzteres geschieht, damit man etwa einen Österreicher und einen Schweizer, der für die gleichen Waren im Supermarkt knapp die Hälfte mehr bezahlt, besser vergleichen kann. Demnach liegen die Lohnkosten hierzulande zwei Drittel über dem Schnitt der Industriestaaten.

Steuerkeil gesunken

Jährlich berechnet die OECD auch den sogenannten Steuerkeil für alle 37 Mitglieder. Das ist der Anteil von Steuern und Abgaben an den Lohnkosten eines kinderlosen Durchschnittsverdieners. Wenn er sinkt, obwohl die Löhne stagnieren, bleibt den Beschäftigten netto mehr übrig. In Österreich machen Steuern und Abgaben gut 47 Prozent des Bruttolohns aus. Nur Belgien und Deutschland lagen knapp über diesem Wert. Im OECD-Schnitt betrug der Steuerkeil rund 35 Prozent, in der Schweiz nur 22 Prozent.

Anders schaut der Ländervergleich aus, wenn der Steuerkeil für einen Alleinverdienerhaushalt mit zwei Kindern berechnet wird. Hier liegt Österreich mit Platz elf auch im obersten Drittel der OECD-Mitglieder, aber nicht im Spitzenfeld. Im Jahresvergleich ist der Anteil der Steuern und Abgaben am Lohn in Österreich sogar leicht gesunken. Dass er nicht anstieg, sei auf die Corona-Maßnahmen zurückzuführen, heißt es in der Studie.

Im Rahmen der Pandemiebekämpfung zog die Regierung den ersten Schritt der geplanten Steuerreform vor und senkte den Eingangssteuersatz von 25 auf 20 Prozent rückwirkend per Jänner 2020. Außerdem erhielten Familien einmalig 360 Euro pro Kind. Beide Maßnahmen flossen in das Steuermodell der Ökonomen ein. Was lässt sich aus alldem ableiten?

Verzerrtes Bild

Insgesamt ist der Steuerkeil in den Industriestaaten auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2000, als die OECD den ersten Vergleich gemacht hatte. Das heißt nicht automatisch, dass den Menschen mehr im Geldbörsel bleibt. Weil im Vorjahr die Arbeitslosigkeit weltweit emporschnellte, wird das Bild verzerrt, warnen die Autoren. Da es eher Beschäftigte im Niedriglohnsektor waren, die sich nicht ins Homeoffice zurückziehen konnten und somit ihre Arbeit verloren, werden die Durchschnittseinkommen der verbleibenden Beschäftigten während der Pandemie sogar nach oben gedrückt, wie die Autoren in vielen Ländern beobachten.

Der Steuerkeil sagt für sich auch nichts darüber aus, was ein Staat mit den Einnahmen macht. Dass die Lohnkosten in der Schweiz trotz geringer Steuern hoch sind, liegt am guten Verdienst der Eidgenossen, die sich entsprechend mehr leisten können, aber auch müssen. Schließlich übernimmt der Staat im Nachbarland einen geringeren Teil der Pensionsvorsorge, Krankenversicherung sowie Kosten für Kinderbetreuung sind großteils privat zu bezahlen. Außerdem gibt es je nach Kanton Vermögenssteuern.

Produktivität wichtig

Hohe Lohnkosten alleine sagen auch nichts über die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft aus, gibt IHS-Ökonom Helmut Hofer zu bedenken. Wichtig sei die Produktivität der Beschäftigten. Zieht man wiederum Berechnungen der OECD heran, wuchs die Wirtschaftsleistung pro gearbeiteter Stunde hierzulande in den vergangenen beiden Jahrzehnten stets über dem Schnitt der Eurozone. Die Österreicher wurden also produktiver. Allerdings stiegen die Löhne im Vergleich der Euroländer auch dynamischer an. Unter dem Strich hat Österreich dadurch leicht an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt.

Wie sich das erste Jahr der Pandemie hier ausgewirkt hat, würde Hofer nicht beurteilen. Dafür fehlen verlässliche Daten, zu viele Effekte spielen eine Rolle. Unabhängig davon wäre es sinnvoll, die Arbeitseinkommen zu entlasten. Ein Commitment zum Sozialstaat hieße, über andere Steuern den Ausfall zu kompensieren, meint Hofer und verweist auf Pläne für Umweltsteuern. Noch wichtiger wäre es, über Investitionen in Bildung und Qualifikation die künftige Produktivität zu erhöhen. (Leopold Stefan, 29.4.2021)