Der Lärmpegel der U-Bahn-Baustelle führt dazu, dass im Prozess gegen eine äußerst leise sprechende geknickte Buchhalterin die Fenster während der Verhandlung geschlossen werden müssen.

Foto: Robert Newald

Wien – Wladimir Iljitsch Uljanow, der Welt besser bekannt als Lenin, soll einst den weisen Satz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" geprägt haben. Da die der Sozialdemokratie nahestehende Österreichische Mietervereinigung aber keine kommunistische Kaderorganisation ist, begnügte man sich dort offenbar mit der ersten Hälfte des Satzes. Buchhalterin Klaudia B. konnte so in acht Jahren über 700.000 Euro abzweigen, weshalb sie sich nun vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Peter Komenda verantworten muss.

Die unbescholtene 44-Jährige bekennt sich unumwunden schuldig. Auf zwei Arten ist sie zwischen dem 8. Februar 2011 und dem 1. Oktober 2019 illegal zu Geld gekommen. 78-mal hat sie Geld aus der nur ihr zugänglichen Handkassa entnommen und nachträglich Buchungen fingiert. 103-mal nutzte sie von Vorgesetzten genehmigte Sammelüberweisungen via Telebanking, um auch das eigene Konto liquide zu halten oder ihre Gläubiger zu befriedigen.

Von der Sekretärin zur Buchhalterin

Ironischerweise hat erst die Mietervereinigung selbst der zweifachen Mutter die Möglichkeit geboten. 1997 fing sie als Sekretärin an, dann wurde ihr eine Fortbildung gezahlt, im Jahr 2003 wechselte sie in die Buchhaltung. Ein konkretes Motiv für den Beginn der Malversationen acht Jahre später kann B. dem Vorsitzenden nicht nennen. "Es ist so passiert, eine Mitarbeiterin war immer böse, wenn sie das Bargeld zur Bank bringen musste. Also habe ich mir gedacht, ich nehme es ihr ab. Das Geld ist dann tagelang in meiner Tasche herumgekugelt, irgendwann musste ich Rechnungen zahlen und habe es dafür verwendet", sagt sie.

Belege für die Bargeldentnahmen haben jahrelang gefehlt, sagt sie. "Es gab zweimal im Jahr Kontrollsitzungen, aber die fehlenden Unterlagen fielen nie wem auf", erinnert sich die Angeklagte. Die auch verrät: "Ich war mein ganzes Leben lang verschuldet. Ich habe nie einen positiven Kontostand gehabt." Gemeinsam mit ihrem Mann kaufte sie sich dennoch schon vor den nun angeklagten Delikten ein Einfamilienhaus sowie das leere Nachbargrundstück in Niederösterreich auf Hypothekarkredit.

Renovierung, Kleider, Geschenke

Was B. mit dem abgeschöpften Geld gemacht habe, will Komenda wissen. Sie sagt, sie habe es in die Renovierung und Verbesserung des Hauses gesteckt, so wurde eine Solaranlage damit gezahlt. Ein Problem sei aber auch ihre ärztlich diagnostizierte Kaufsucht gewesen: Sie hatte 200 Kleider, manche noch mit dem Preisetikett, daheim. Ihre Verteidigerin Astrid Wagner merkt an, dass B. Familie und Freunden auch viele Geschenke machte: "Sie wollte sich wahrscheinlich Liebe erkaufen."

"Und warum haben Sie dann aufgehört?", fragt der Vorsitzende. "Ich glaub, das habe ich meiner jahrelangen Psychotherapie zu verdanken", mutmaßt die Angeklagte. Seit Sommer 2012 war sie wegen ihrer gestörten Impulskontrolle in Behandlung. Derzeit nimmt sie starke Psychopharmaka, was sich in ihrer leisen Sprache äußert. Tatsächlich stoppte sie ihr illegales Tun, flog kurz darauf aber durch Zufall auf.

Wie, erzählt der Präsident der österreichischen Mietervereinigung, der Wiener SPÖ-Landtagsabgeordnete Georg Niedermühlbichler, als Zeuge. "Sie war im Juli 2019 auf Urlaub, ich habe eine Rechnung gesucht. Dann habe ich einen Einzahlungsbeleg mit einem Rundstempel und der Unterschrift einer Reinigungskraft in Blockbuchstaben entdeckt." Niedermühlbichler erwies sich als fähiger Hobbydetektiv: Durch Überprüfung des Kassabuchs und der Kontobewegungen deckte er das Fehlverhalten der Untergebenen auf.

Unter den dienstältesten Mitarbeiterinnen

Wie es dennoch möglich war, dass die Frau jahrelang unentdeckt blieb? "Grundsätzlich führen wir unser Haus mit Vertrauen", verrät der Politiker. Frau B. habe Aufgaben immer zur vollsten Zufriedenheit erledigt und war am Ende eine der dienstältesten Mitarbeiterinnen. Auf Nachfrage von Privatbeteiligtenvertreter Günther Loibner ergänzt Niedermühlbichler noch, dass die Verschleierungen der Onlineüberweisungen durchaus trickreich gewesen seien und das interne System mittlerweile umgestellt worden sei.

B. und ihre Verteidigerin versprechen, den Schaden wiedergutzumachen. Wagner legt auch die Kaufverträge über das Einfamilienhaus und das leere Grundstück der B.s vor – in einem Sideletter verpflichtet sich der Käufer, die knapp 500.000 Euro, die er zahlt, auf ein Treuhandkonto der Mietervereinigung zu überweisen. Auch B.s Kleider sollen im Internet verwertet werden.

Die Angeklagte sagt in ihrem Schlusswort, sie habe den Überblick verloren. "Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich die Anzeige bekommen habe, dass es sich um so einen langen Zeitraum und so eine hohe Summe handelt", erklärt sie. "Ich habe noch einen langen Weg vor mir, aber ich werde das nie wieder machen!", verspricht sie.

Teilbedingte Haftstrafe

Der Schöffensenat verurteilt sie nach kurzer Beratung zu 30 Monaten Haft, zehn davon sind unbedingt. Die Strafe selbst ist rechtskräftig, gegen den gleichzeitig erfolgten Zuspruch der knapp 700.000 Euro an die Mietervereinigung legt Wagner allerdings Berufung ein. Sie hofft, die Summe auf dem Zivilrechtsweg reduzieren zu können, da sie ein Organisationsverschulden der Vereinigung sieht, wenn es ihrer Mandantin ohne große Anstrengung möglich war, so viel Geld – immerhin rund 7.000 Euro monatlich – zur Seite zu schaffen. (Michael Möseneder, 29.4.2021)