Ungarische Lehrende und Studierende besetzten im Herbst ein Uni-Gebäude, um gegen die neue, nationalistische Ausrichtung der Theateruni zu protestieren. Mittlerweile wird auch im privaten Verein unterrichtet.

Foto: AFP/ Attila Kisbenedek

Bálint Antal hat seiner Universität den Rücken gekehrt. Der 28-Jährige studierte bis September Theaterregie an der Budapester Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE), nun möchte er den Master am Mozarteum in Salzburg abschließen. Der Grund für seine Entscheidung: Im September hat eine staatliche Stiftung die Verwaltung der Uni übernommen, nachdem die Führung aus Protest zurückgetreten war. Seitdem steht ein regierungsnahes Kuratorium an der Spitze. Dessen Präsident, Attila Vidnyánszky, ist Intendant des Nationaltheaters und leitet mehrere Kunstinstitutionen. Er gilt als Berater von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Kulturfragen.

Internationale Solidarität

Die ungarische Regierung argumentiert die Übernahme der SZFE damit, dass ein "Modellwechsel" nötig gewesen sei. Doch Kritiker sehen darin eine politische Einflussnahme, die sich seit Jahren an den Unis und Kultureinrichtungen breitmacht. Auch Antal befürchtet, dass das Kuratorium die Lehrpläne "nationalistisch und christlich" ausrichten will. Als Antwort auf die neue Führung protestierte er mit anderen Studierenden und Lehrenden im Herbst wochenlang unter dem Motto "Freiheit für die SZFE", ein Unigebäude wurde besetzt.

Die aufgemalten roten Kreuze signalisierten das Ende der wochenlangen Budapester Uni-Besetzung im Herbst
Foto: AFP/ Attila Kisbenedek

Online solidarisierten sich unter dem Hashtag #FreeSZFE internationale Kunstunis und Kulturschaffende. Anfang des Jahres kündigten 25 widerständige Lehrende ihre Verträge.

Aufnahmeverfahren nötig

Daraus gründete sich im Februar der Verein Free SZFE, der mittlerweile 140 Mitglieder zählt. Mit dem "Emergency-Exit-Programm" will er 150 SZFE-Studierenden wie Antal einen Notausgang ermöglichen. Neben Unis in der Schweiz und in Polen kooperiert er unter anderem mit dem Mozarteum in Salzburg, das auch an der Entwicklung des Programms mitgearbeitet hat.

Die Idee: Der Verein lehrt online in Budapest, die Partnerunis rechnen die Studienleistungen an. Dazu müssen die Free-SZFE-Studierenden ein Zutrittsverfahren an den Partnerunis absolvieren. Am Mozarteum sind das ein Aufnahmegespräch und eine Regiearbeit.

Derzeit unterrichten die Free-SZFE-Lehrenden ehrenamtlich, der Verein ist auf Spenden angewiesen. Sobald sich die Pandemielage bessert, möchte man Präsenzlehre in angemieteten Räumen in Budapest anbieten. Eine staatlich anerkannte Bildungseinrichtung ist der Verein nicht. Man überlege aber, ob daraus eine Privatuni werden könne, sagt Kata Csató, eine der drei Vereinsvorsitzenden. Sie ist auch eine der Lehrenden, die gekündigt haben – zuvor hatte sie zehn Jahre Puppenspielerei an der SZFE unterrichtet.

Christoph Lepschy, Dramaturgieprofessor am Mozarteum, sagt: "Künstlerische Leistungen, die an Kunstinstitutionen erbracht werden, können für ein Theaterstudium angerechnet werden." Ziel der Kooperation sei ein transnationales Theaterstudium.

Gegenwind aus Ungarn

Aus Ungarn kommt indes Gegenwind: Gábor Szarka, Kanzler des SZFE-Kuratoriums und ehemaliger Stabschef im Verteidigungsministerium, empörte sichdarüber, dass diese Abschlüsse "nicht legal sind", und kündigte eine Beschwerde bei den Partnerunis an. Das Emergency-Exit-Programm verstoße gegen die Interessen der SZFE und ungarische Gesetze. Für Dramaturgieprofessor Lepschy ist das "Quatsch". Dass die Studierenden ihr Zeugnis vom Mozarteum erhalten, sei rechtlich gedeckt. Grundlage für eine Anerkennung sei, ob die künstlerische Leistung den Qualitätskriterien des Mozarteums entspricht – egal ob sie bei einem Verein oder Theater erbracht wurde.

Bei einem Zoom-Meeting im Dezember lernte Student Antal Lehrende des Mozarteums kennen. Ihre Hilfsbereitschaft begeisterte ihn: "Diese Solidarität ist für mich europäisch. Das gibt es in Ungarn nicht." Er steht gerade in den Startlöchern seiner Masterarbeit, für den Abschluss muss er zudem die Regie eines Theaterstücks übernehmen. Antal möchte Der Volksfeind von Henrik Ibsen inszenieren. Beide Leistungen soll das Mozarteum anrechnen. Das bringt Mehraufwand: Die Arbeit muss übersetzt und die Performance aufgezeichnet werden. Ein Abschlusszeugnis vom Mozarteum bedeute ihm viel: "Der Ruf der SZFE ist heute nicht mehr derselbe", sagt Antal, der dort vier Jahre studiert hat. Heute würde er sich nicht mehr an der SZFE bewerben.

Berufliche Nachteile in Ungarn

Es breche ihm das Herz, dass sich die SZFE weiterhin mit demselben Namen schmücke, aber künftig eine nationalistische Ideologie fördern werde. Antals Regiekommilitonen schließen ihr Studium ebenfalls am Mozarteum ab, jene aus der Dramaturgie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg.

Dennoch stellt es viele Studierende vor Schwierigkeiten. Wenden sie sich von der SZFE ab, könnte das Folgen für ihre berufliche Zukunft in Ungarn haben. Auch Antal sorgt sich: "Ich weiß, dass ich keinen Job in einem Theater kriege, das Vidnyánszky leitet. Aber der Verein und seine internationalen Beziehungen geben mir Hoffnung." (Allegra Mercedes Pirker, 2.5. 2021)