Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil kehrt der Bundespartei den Rücken. Aber was steckt dahinter? Wer sticht wen in der SPÖ?

Foto: Getty Images / iStock, Illustration: STANDARD / Lukas Friesenbichler

Ihr Verhältnis ist seit Wochen, eigentlich seit Monaten, schlecht. "Gemocht hat er sie noch nie", sagt jemand aus der Führungsriege der SPÖ. Aber so richtig eskaliert ist die Situation zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil am 17. April – und das bewusst.

Die SPÖ-Chefin sollte am Abend ein Liveinterview in der ZiB 2 geben und war – so wird es in ihrem Umfeld erzählt – wild entschlossen, ihrem parteiinternen Widersacher einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Sie möge das lieber bleiben lassen, sollen Genossen geraten haben. Dem Kollegen etwas übers Fernsehen auszurichten komme nie gut an. Doch Rendi-Wagner, das weiß man inzwischen, ist eine resolutere und stärkere Parteivorsitzende, als ihr die meisten zugetraut hätten.

Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vergangenes Jahr. Vor allem im Corona-Management wurden die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden deutlich.
Matthias Cremer

Sie setzte sich ins Studio der spätabendlichen Nachrichtensendung und überbrachte ihrem Parteifreund, Burgenlands Landeshauptmann, eine Botschaft, die unmissverständlich war: Die Öffnungsschritte, die Doskozil setzt, seien falsch. Er allein habe die Folgen zu verantworten. Und, eine Spitze, die saß: "Ich hoffe, es ist ihm die Situation auf seinen Intensivstationen bekannt."

Burgenland hat Belehrungen satt

Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Burgenland hatte man die Belehrungen aus Wien schon länger satt. Die Perspektive sei eine Frage des Standpunkts, wird dort argumentiert.

Und während Rendi-Wagners strenger Corona-Kurs vielleicht bei urbanen Akademikerinnen gut ankomme, sei die Stimmung im ländlichen Osten eine andere. "Unser Landeshauptmann muss entscheiden, was für unser Bundesland das Beste ist. Ob es der Parteichefin passt oder nicht", sagt Roland Fürst, Landesgeschäftsführer der SPÖ Burgenland. "Diese Mär, Doskozil würde ständig querschießen, kann ich nicht mehr hören. Wir können nicht alles daran messen, ob es auch gerade Parteilinie ist."

Diese Woche am Montag erfolgte, wie manche im Burgenland sagen, der pannonische "Befreiungsschlag". Die 17 Mitglieder des Bundespräsidiums der SPÖ – eines der höchsten roten Gremien – bekamen als PDF-Datei einen vierseitigen Brief gemailt, der es in sich hat.

Was hat Doskozil wirklich vor?

Pamela Rendi-Wagner steht im Dauerfeuer, seit sie den Vorsitz der SPÖ übernahm. Als Epidemiologin inmitten der Pandemie fand Rendi-Wagner ihre Rolle, konnte Tritt fassen, die Umfragewerte steigen. Aber reicht das? Fragt man tief in der SPÖ nach ihrem Verbleib, ist es, als steche man in ein Wespennest.
Foto: APA / Helmut Fohringer

"Es ist leider nicht das erste Mal, dass wir uns schwertun, eine Balance zwischen der Meinung der Bevölkerung und unseren eigenen politischen Vorstellungen zu finden", urteilt Doskozil darin – und meint damit wohl nichts anderes als: Die Parteiführung weiß nicht mehr, wo die Menschen der Schuh drückt.

Er unterstellt seinen Genossen, sich in Nischenthemen zu verheddern, spricht die uneinheitliche Linie in Migrationsfragen an, fragt sich, ob die SPÖ überhaupt noch eine breite Volkspartei sein wolle. Dann verkündet der am Wahlergebnis gemessen aktuell erfolgreichste Sozialdemokrat des Landes seinen Rückzug aus allen Gremien der Bundespartei.

Und seither wird in der SPÖ gerätselt, was Doskozil vorhat.

Die Parteispitze tut das Schreiben als feige Vorsichtsmaßnahme des Burgenländers ab. Noch unter Christian Kern hatte die SPÖ beschlossen, dass die Anzahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden verkleinert wird. Derzeit sind es 17.

Nach dem kommenden Parteitag am 26. Juni sollen nur noch sechs Sozialdemokraten die Ehre haben. Doskozil, so die Erzählung, habe Angst, nicht in den kleineren Kreis gewählt zu werden – und um sich die Schmach zu ersparen, ziehe er seine Kandidatur lieber jetzt schon zurück.

Kleiner Vertrautenkreis

Andere vermuten, dass ihm seine Gesundheit zunehmend im Wege stehe. Anfang des Jahres wurde der Landeschef zum vierten Mal am Kehlkopf operiert – womit er offen umging. Seine Stimme ist aber weiterhin angeschlagen. Mit Parteifreunden außerhalb des Burgenlandes, mit denen er früher regelmäßig Kontakt hatte, telefoniere er immer seltener, wird erzählt. Er habe sich zurückgezogen.

Auch im Burgenland hört man, dass er sich vor allem mit einem kleinen Kreis an Vertrauten umgebe. Will er sich vielleicht wirklich auf sein Kerngeschäft als Landeshauptmann konzentrieren? Und bloß von der Causa rund um die Commerzialbank Mattersburg ablenken, wo seine Falschaussage im Raum steht?

Die meisten Sozialdemokraten kommen aber zu einem anderen Schluss: Doskozil positioniere sich als Konterpart zu Rendi-Wagner, um irgendwann als ihr Gegner in den Ring zu steigen – im Kampf um den Parteivorsitz.

Keine Diskussionen mehr

Manche, auch solche, die ihn eigentlich schätzen, attestieren Doskozil, dass ihm der Wahlerfolg, die rote Absolute im Burgenland, schon länger zu Kopf gestiegen sei. Mit Rendi-Wagner fehlt die Gesprächsbasis gänzlich. Die Parteichefin habe irgendwann aufgegeben, mit ihm zu diskutieren, es führe zu nichts, hört man aus der Bundespartei.

Insbesondere Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil galt immer als Rendi-Wagners Widersacher – in der Corona-Krise sind ihre restlichen Kritiker jedoch weitgehend verstummt.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Aber auch in den roten Spitzengremien, in denen Doskozil sitzt, hat er sich rargemacht. Sehr rar. Mehrere führende Sozialdemokraten bestätigen im Gespräch mit dem STANDARD: Doskozil hätten sie zuletzt in einer Sitzung gesehen, als Rendi-Wagner das Ergebnis der Basisabstimmung über ihren Verbleib bekanntgab. Das war vergangenes Frühjahr. Rendi-Wagner blieb bekanntlich.

Und sein Verhalten, das ständige Reinrufen von der Seitenlinie, komme auch bei vielen Spitzenfunktionären nicht besonders gut an. In einer Vorstandssitzung im Februar soll ein Roter gegen den Landeshauptmann das Wort ergriffen haben, nachdem Doskozil zuvor einen Zuwanderungsstopp gefordert hatte. So gehe es nicht weiter.

Gerade wenn die Regierung in Bedrängnis gerät, melde sich Doskozil zu Wort und lenke die Aufmerksamkeit auf parteiinterne Debatten der SPÖ. Die roten Vorstandsmitglieder sollen minutenlang geklatscht haben. Aus dem Burgenland war niemand anwesend.

Gendern!? Auto fahren?

Die Geschichte lässt sich aber auch anders erzählen. Denn Doskozil ist im Grunde nur das Gesicht eines Problems, das die SPÖ ohne ihn genauso hätte. Die Frage, wie die Sozialdemokraten nach außen eine Volkspartei verkörpern können, ist legitim. Nach innen ist die SPÖ aber eine alte Volkspartei durch und durch.

Das rote Meinungsspektrum ist so breit, dass es unter einem Dach manchmal kaum vereinbar scheint. Gendern? Refugees welcome? Auto fahren? Bei gewissen Themen zieht sich durch die Sozialdemokratie ein ähnlicher Graben wie durch die türkis-grüne Regierung, wenn auch in anderen Facetten. Wenn im Burgenland gekeppelt wird, dass die SPÖ zu sehr auf urbane Nischenthemen setzt, spricht sie damit einem Teil der Basis aus dem Herzen – und gewissermaßen eine der Kernfragen der Zukunft an: Für wen macht die SPÖ eigentlich Politik?

Zwei Flügel

Da scheiden sich die roten Geister. Auf der einen Seite steht der urbane linke Flügel, der selbstverständlich gendert, solidarisch mit Flüchtlingen ist und den Klimawandel als eines der größten Probleme erkennt. Auf der anderen Seite finden sich jene Funktionäre abseits der Innenstädte, die sich im Wirtshaus etwas anhören können für allzu progressive Politik.

Und dazwischen steht seit vielen Jahren die rote Bundespartei: Will man weiterhin für die Niedrigverdiener, die Schwachen, Geschwächten und Abgehängten da sein, oder doch eher für die linken Wohlstandsgewinner? Und soll man den Abgehängten die Welt erklären oder nutzt man deren Ressentiments besser einfach für sich?

Pamela Rendi-Wagner steht klar auf einer Seite. Sie lebt als Kind einer Alleinerzieherin – aufgewachsen im Gemeindebau – zwar den sozialdemokratischen Aufstiegsgedanken, wird von ihren Gegnern heute jedoch mehr als Vertreterin der großbürgerlichen Schickeria-Linken gesehen. Oder wie es ein Roter formuliert: "Wäre sie ein paar Jahre jünger, hätte sie vielleicht bei den Neos angedockt."

"Gerechte Krisenfinanzierung, Klimawandel, Kampf um jeden Arbeitsplatz – so klar wie jetzt war es noch nie, warum es die Sozialdemokratie braucht." SPÖ-Abgeordnete Julia Herr
Foto: APA / Roland Schlager

Rendi-Wagner im Machtvakuum

Ihre öffentlichen Kritiker sind – abgesehen von Doskozil – in der Corona-Krise ziemlich verstummt. Aber fragt man tief in die Partei hinein nach ihrem Verbleib, ist es, als steche man in ein Wespennest. Rendi-Wagner sei isoliert, hört man aus dem roten Parlamentsklub, deren Chefin sie ist. Sie umgebe und berate sich ausschließlich mit ihrer Pressesprecherin und ihrem Kommunikationschef. "Ich habe ehrlich keine Ahnung, was ihr Plan ist oder wohin sie die Partei führen möchte", sagt ein roter Mandatar.

Rendi-Wagner befindet sich in einer Art Machtvakuum: Niemand will derzeit eine Personaldiskussion anzetteln, starker interparteilichen Rückhalt fehlt ihr dennoch – selbst wenn sie sich mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig gut arrangiert hat.

Bereits kurz nachdem Rendi-Wagner Parteichefin geworden war, stand sie im internen Dauerfeuer. Die Quereinsteigerin, die die Partei von innen kaum kannte, wurde von allen Seiten attackiert, ihr Stuhl mehrfach angesägt. Niemand hätte geglaubt, dass sie das erste Jahr übersteht.

Doch dann kam Corona – und die SPÖ hatte inmitten der Pandemie eine Chefin, die genau in diesem Bereich eine ausgewiesene Expertin ist. Rendi-Wagner fasste Tritt. Sie wurde selbstsicherer, entwickelte eine klare Linie in der Bewältigung der Gesundheitskrise. Sie braucht keine epidemiologischen Berater, sie weiß es selbst. Das wird geschätzt – von der Bevölkerung, wenn man den Umfragen glaubt, aber auch in der SPÖ.

"Wir müssen sie hinaustragen"

Das große Fragezeichen steht hinter dem Danach. Überspitzt könnte man sagen: Mit jeder weiteren Impfung sinkt Rendi-Wagners Daseinsberechtigung aus Sicht ihrer Partei. Denn die entscheidende Frage, wenn die Pandemie gesundheitlich überstanden ist, lautet – und da sind sich eigentlich alle roten Lager einig: Wer zahlt für diese Krise?

Hat Rendi-Wagner auch genug sozial- und arbeitsmarktpolitische Kompetenz, um dann zu bestehen und den USP – das Alleinstellungsmerkmal – der SPÖ herauszuarbeiten? Viele sagen darauf: Eher nicht. Attraktive Alternativen zu Rendi-Wagner fallen den meisten aber auch keine ein.

Aus ihrem Umfeld heißt es, man wolle nun auf ihrer Glaubwürdigkeit als Gesundheitsexpertin aufbauen, sie habe das von der Schließung bedrohte MAN-Werk in Steyr besucht, rote Konzepte gegen die Folgen der Krise lägen ausreichend vor. Interne Umfragedaten zeigten außerdem: Das Konzept gehe inzwischen auf. Die SPÖ sei stabil, lege zu und könne mittlerweile auch immer mehr enttäuschte ÖVP-Wähler ansprechen.

Man muss sagen: Schlussendlich geht es auch nur darum. Eine Partei, egal welche, stützt ihre Chefin, ihren Chef vor allem dann, wenn sie oder er in Umfragen erfolgreich ist. Man hat das bei Sebastian Kurz gesehen, sagen auch Sozialdemokraten gerne: Die ÖVP war quasi totgesagt, niemand wusste, wofür sie noch steht, und dann kam Kurz mit seinen guten Werten – und alle Animositäten und Differenzen in der Partei waren begraben.

"Diese Mär, Doskozil schieße ständig quer, kann ich nicht mehr hören. Wir können nicht alles daran messen, ob es gerade Parteilinie ist." Roland Fürst, SPÖ Burgenland
Foto: Regine Hendrich

Wege in die Regierung

Rendi-Wagner, so sagen viele, die zumindest früher nah an ihr dran waren, habe genau deshalb einen Zug zur Macht entwickelt. Sie wisse genau, würde sie die SPÖ wieder in eine Regierung führen, wäre es ganz schnell ruhig im roten Nest. Ein fliegender Wechsel, also ein Abtausch von Grünen und SPÖ in der Regierung ohne Neuwahlen, wurde von den Roten per Beschluss ausgeschlossen.

Aber, wie es ein SPÖ-Stratege formuliert: "Dafür könnte ich schnell das Playbook schreiben." Er meint damit: So ein Beschluss lässt sich schon umgehen, wenn man die richtige Erzählung parat hat. Und manche gestehen hinter vorgehaltener Hand: Es wäre ja vielleicht auch für die ÖVP gar nicht so unattraktiv, einen Partner zu haben, der es mit der Transparenz und Korruptionsbekämpfung nicht gar so genau nimmt wie die Grünen.

Ist es also schließlich gar nicht so wichtig, wenn eine Partei in manchen Fragen gespalten ist? Wenn man nicht immer weiß, wofür die SPÖ steht? Rendi-Wagner wollte nach dem historisch schlechtesten Wahlergebnis 2019 eine Neuausrichtung der Partei im Rahmen eines großen SPÖ-"Zukunftskongresses" erarbeiten.

Er war für Ende April 2020 angesetzt – und fand schließlich nie statt. Man konzentriere sich auf den kommenden Parteitag im Juni, heißt es heute aus ihrem Büro. Zukunftskonzepte würden laufend ausgearbeitet, progressive Forderungen gestellt – wie beispielsweise die Vier-Tage-Woche oder dass sich der Staat an kriselnden Leitbetrieben wie dem Werk in Steyr beteiligen soll.

Viele Ideen

Fragt man die Jungen in der Partei, gibt es viele Ideen. "Die Themen liegen auf der Hand", sagt die 28-jährige Abgeordnete Julia Herr. Aus ihrer Sicht wären das: gerechte Krisenfinanzierung, der Klimawandel, ein Kampf um jeden Arbeitsplatz an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitern, Vermögenssteuern sowie neue Konzepte, damit auch Krisengewinner wie Amazon oder Netflix in den österreichischen Topf einzahlen. "So klar wie jetzt in der Pandemie war es noch nie, warum es die Sozialdemokratie braucht."

Dass Doskozil Rendi-Wagner nun aus dem Konzept bringt, daran glaubt in der SPÖ jedenfalls keiner. Die Parteichefin hat sich als deutlich robuster erwiesen als gedacht. Oder, wie es ein Funktionär ausdrückt: "Innerparteiliche Signale scheint sie nicht zu hören. Wenn sie einmal wirklich gehen soll, müssen wir sie hinaustragen." (Katharina Mittelstaedt, 1.5.2021)