Vier Menschen ermordete der jihadistische Terrorist Kujtim F. am 2. November 2020 in Wien

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Es ist der 16. Juli 2020, als Ermittler beobachten, wie der spätere Terrorist K. F. mit einem Begleiter zwei Personen vom Wiener Flughafen abholt. Sie begrüßen einander mit "Umarmungen und Bruderküssen", ist im Observationsbericht zu lesen. Danach schauen die Beamten den jungen Männern dabei zu, wie sie Taschen in Wohnungen abladen, in einem Imbisslokal Kebab essen, eine Moschee besuchen.

Es sind Dinge wie diese, die Ermittler noch weitere vier Tage lang beobachten werden: eine Fahrt in der Black Mamba im Wiener Wurstelprater, Fahrten mit Elektroscootern, Trainingseinheiten an Sportgeräten in einem Park. Aber auch ein in einem Tunnel fast verursachter Auffahrunfall. Die österreichischen Behörden waren auf Bitten ihrer deutschen Kollegen tätig geworden. Als "Zielperson" gilt einer der jungen Männer, die am Wiener Flughafen landeten. Hat der Verfassungsschutz ein "internationales Islamistentreffen" beobachtet – oder eine Gruppe junger Muslime, die ein paar Frühlingstage in Wien verbringen?

Fakt ist, dass fast alle Teilnehmer bereits am Radar der Behörden aufgetaucht waren: Der spätere Attentäter hatte zuvor versucht, nach Syrien auszureisen. Es reicht aber auch, sich in "falschen" Kreisen aufzuhalten, den falschen Chatgruppen beizutreten oder einem Gefährder Geld zu borgen und ein paar Euro zu überweisen. Man konnte wegen der Pandemie nicht weit verreisen, also traf man Freunde in Wien. Man könnte das Treffen auch so sehen, als wenn Jugendliche sich zum Sightseeing treffen, heißt es aus dem Umfeld der Verdächtigen. Aber aufgrund der Vor- und Nachgeschichte zum Treffen würde dieses "hochstilisiert" werden.

Abbruch der Observation

Fakt ist auch, dass die Observation abgebrochen wird, als die Deutschen wieder abreisen. Die Behörden werden also nicht mehr beobachten, wie der damals als Kontaktperson eingestufte K. F. kurz danach versuchen wird, Munition in der Slowakei zu besorgen. Die Konsequenz – eine sogenannte Gefährderansprache – wird für November angesetzt. Bevor es dazu kommt, wird K. F. vier Menschen ermorden, 22 verletzen, unzählige traumatisieren und von der Polizei getötet werden. Und sein Begleiter, der damals mit ihm zum Flughafen fuhr, wird von einem am Treffen Beteiligten zum zentralen Verdächtigen werden.

Dass es nicht früher zu einer Intervention seitens der Behörden kam, hat mehrere Gründe. Einen davon betont die Republik besonders nachdrücklich in ihrer Klagebeantwortung an eine hinterbliebene Mutter, die vor Gericht Amtshaftung nachweisen will. Dort heißt es: "Der sofortigen Durchführung der Gefährderansprache und der Konfrontation des K. F. mit dem Besuch eines Waffengeschäftes in der Slowakei standen die unmittelbar vor der Umsetzung stehenden polizeilichen Staatsschutzmaßnahmen für eine geplante Großoperation (...) entgegen."

Gemeint ist die "Operation Luxor", die großangelegte Razzia im Umfeld der Muslimbruderschaft Anfang November. Es habe nicht ausgeschlossen werden können, dass eine "Gefährderansprache" vor der besagten Operation diese hätte gefährden können – und zwar "auf Grund der bekannten intensiven Vernetzung der Personen der Islamistenszene". Festgehalten wird aber auch: "Gleichwohl ein konkreter Kontakt des K. F. zu den Zielpersonen und Gruppierungen, die (...) Ziel der Maßnahmen der Großoperation waren, nicht bekannt war (...)." Auch rückblickend halten die Behörden in Bezug auf die damals vorliegenden Informationen an dieser Entscheidung fest: Die von diesen Gruppierungen ausgehende Gefahr sei "deutlich höher einzuschätzen" gewesen als jene von K. F.

Der Anschlag

Am 2. November wird sich K. F. am frühen Abend vermutlich zu Fuß auf den Weg in die Innenstadt machen. Bereits eineinhalb Stunden bevor er die ersten Schüsse abgibt, trifft er am Schwedenplatz ein, wie Puls 24 jüngst berichtete. Was er in der Zwischenzeit machte, ist unklar. Wenige Stunden davor rief er laut Kurier offenbar im Nobellokal "Salzgries" an. Doch dort ist Montag Ruhetag.

Der Anschlag selbst wird relativ konfus ablaufen; mehrere Male läuft K. F. leere Gassen auf und ab, scheint offenbar nicht wirklich geübt zu sein an der Waffe. Mittlerweile gilt als ziemlich sicher, dass er bei der unmittelbaren Tatausführung alleine war. Doch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit war K. F. in ein radikalislamistisches Netzwerk eingebunden, das in Wien und womöglich auch international agiert. Wie professionell dieses tatsächlich ist, ist Teil der Ermittlungen, die sich mittlerweile gegen 34 Verdächtige richten. Zehn davon sitzen in U-Haft. Schon in den Stunden nach dem Anschlag folgen die ersten Festnahmen; offenbar spielte dabei das Treffen im Juli 2020 eine wichtige Rolle – obwohl kein Zusammenhang zu dem Attentat hergestellt werden kann. Erst in den vergangenen Wochen folgen entscheidende Ermittlungsdurchbrüche. Auf der Waffe werden DNA-Spuren identifiziert – und zwar von Personen, die im Juli 2020 nicht dabei waren.

Das Danach

Kurz nach dem Anschlag wollte die Regierung auch politisch reagieren. Bis zur Ausarbeitung des damals groß angekündigten Antiterrorpakets dauerte es aber sechs Monate. Eine Westbalkanreise von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verhinderte, dass es diese Woche im Ministerrat beschlossen werden konnte. Es wird jedenfalls mehr Mittel für Extremismusprävention und Deradikalisierung geben. Darauf sind die Grünen stolz. Auch ein eigener Straftatbestand "religiös motivierter Extremismus" wird geschaffen, mit dem wiederum Türkis vor allem dem politischen Islam den Kampf ansagen will. Der Juniorpartner hält diese legistische Lücke zwar für klein. Es sei aber nicht verkehrt, gewisse Phänomene zu benennen. Daher gehen die Grünen mit.

Abgesehen davon sollen manche terroristische Straftäter künftig nur mit einer elektronischen Fußfessel bedingt aus der Haft entlassen werden können. Per gerichtliche Weisung möchte man verhindern, dass Gefährder etwa radikale Moscheen besuchen und gewisse Personen treffen. Was nach der Begutachtung präzisiert wurde: Kontrollieren sollen das die Justiz- und nicht die Sicherheitsbehörden. Es soll sich nämlich um keine Überwachung im staatspolizeilichen Sinne handeln. Informationen könne die Exekutive bei laufenden Verfahren auf dem Weg der Amtshilfe abfragen, heißt es.

Die vieldiskutierte Möglichkeit, dass terroristische Straftäter bei fortlaufender Gefährdung für unbestimmte Zeit im Maßnahmenvollzug bleiben sollen, fiel schon vor der Begutachtung vorläufig aus dem Gesetzesentwurf: ÖVP und Grüne verhandeln hier noch.

Alle diese Punkte wurden damals in einem Aufwasch mit einer pikanten Verschärfung des Islamgesetzes genannt. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) will nicht nur jährlich in die Gebarung von Kultus- und Moscheegemeinden zur Kontrolle der Auslandsfinanzierung Einsicht nehmen können, sondern droht auch mit hohen Strafen. Per Gesetz soll es dem Kultusamt auch ermöglicht werden, künftig leichter Moscheegemeinden zum "Schutz der öffentlichen Sicherheit" zu schließen. Es braucht dafür aber auch das "Go" der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Der Religionsrechtler Andreas Kowatsch hielte es für rechtlich bedenklich, sollte die IGGÖ nicht entsprechend eingebunden werden. Kowatsch plädiert auch dafür, dass gelindere Mittel wie ein Betretungsverbot in Betracht gezogen werden.

Ebenfalls angekündigt wurde ein Entschädigungsfonds für die Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags. Doch ob es einen derartigen Fonds oder anderweitige Entschädigungen über jene Leistungen hinaus geben wird, die das Verbrechensopfergesetz garantiert, ist noch unklar. Ziel sei eine "Verbesserung des bestehenden Entschädigungsanspruchs", heißt es dazu aus dem Sozialministerium. Diesbezüglich seien aber einige rechtliche Fragen noch nicht geklärt. Eine Entscheidung soll in den kommenden Wochen fallen. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 2.5.2021)