Die Tat ereignete sich in Wien-Brigittenau.

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Wien – Es ist ruhig am Freitagvormittag im Winarskyhof im 20. Wiener Gemeindebezirk: Der Spielplatz ist leer, es ist fast idyllisch. Wären da nicht das große Medienaufgebot und der graue Lieferwagen vor Stiege 17. Immer wieder tragen Männer, die von Kopf bis Fuß in weißen Schutzanzügen bekleidet sind, Kisten aus dem Haus ins Auto: die Spurensicherung.

Denn wenige Stunden zuvor, am Donnerstagabend gegen 20 Uhr, soll hier eine 35-jährige Frau in ihrer Wohnung von ihrem Partner bzw. Ex-Partner erschossen worden sein. Ein 42-jähriger Mann wurde im Hof vor der Wohnung von der Polizei in schwerem Rauschzustand vorgefunden, er brach zusammen und wurde – wie die 35-Jährige – ins Krankenhaus gebracht. Die Frau erlag dort ihren Schussverletzungen in Kopf und Bein.

Der Tatverdächtige war Freitagnachmittag wieder ansprechbar, wie sein Rechtsanwalt Gregor Klammer erklärte. Er wurde zur polizeilichen Einvernahme als Beschuldigter vorgeführt. Dabei machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und war zu keinen Angaben zum Tatgeschehen bereit, teilte die Landespolizeidirektion mit.

Video vom Eintreffen der Polizei

Um 20 Uhr gingen bei der Polizei am Donnerstagabend zeitgleich mehrere Notrufe ein – neben Bezirkskräften wurden auch die Sondereinheiten von Wega und Cobra zum Einsatzort beordert. Vom Eintreffen der Behörden wenige Minuten später existiert ein Video, das ein Bewohner von seinem Fenster aus aufgenommen hat. Darauf ist zu sehen, wie die Polizei auf einen offensichtlich schwer alkoholisierten Mann – es wurden laut Polizei auch andere Suchtmittel nachgewiesen – auf einer Bank im Hof zustürmt und ihn am Boden fixiert. "Die Waffe liegt da drüben", schreit ein Anrainer den Beamten zu. Ein anderer Bewohner hatte sie dem Tatverdächtigen zuvor aus der Hand geschlagen, als dieser damit in den Hof kam.

Der Anrainer, der auf dem Video zu hören ist, dürfte unmittelbarer Zeuge und in der Wohnung der Frau gewesen sein. Er schreit den Beamten zu, dass er nicht wisse, ob die Frau noch lebe – "ich bin da raus" – und dass die Polizisten sich in die Wohnung begeben sollen. Später sieht man auch Rettungskräfte das Haus betreten.

Verdächtiger soll "Bierwirt" sein

Der im aktuellen Fall mutmaßliche Täter ist der sogenannte "Bierwirt". Das bestätigt sein Rechtsanwalt. Die Polizei gibt diesbezüglich allerdings keine Auskunft.

Der Mann erlangte durch den Prozess gegen die grüne Klubchefin Sigrid Maurer öffentliche Bekanntheit. Maurer äußerte sich am Freitagnachmittag zur Tat. Auf Twitter schreibt sie: "Dass es sich beim Täter offenbar um den Bierwirt handelt, schockiert mich persönlich, ist in der Sache aber unerheblich. Wir kennen die Mechanismen hinter der Gewalt: Frauenverachtung, Unfähigkeit, Konflikte gewaltfrei zu lösen, die Wahrnehmung, Männer wären Frauen übergeordnet. Wir haben die gesellschaftliche & politische Verantwortung, die gefährlichen Männlichkeitsbilder zu brechen. Von Beginn an." Nachsatz: Für den Bierwirt gelte freilich die Unschuldsvermutung, twitterte Maurer auch, bisher bestehe nur ein Tatverdacht.

Betroffenheit im Gemeindebau

Auch im Winarskyhof herrscht am Freitag große Betroffenheit. "Es ist wirklich schrecklich", sagt eine Bewohnerin, die nur ein paar Türen weiter wohnt. "Ich hab das gestern glücklicherweise nicht mitbekommen." Die getötete Frau habe sie vom Sehen gekannt. "Sie war oft im Hof auf dem Spielplatz mit ihrem Kind. Sie war wirklich eine so liebe Frau." Das sagen auch andere Bewohnerinnen über die 35-Jährige. Unangenehm aufgefallen sei das Paar nicht. "Ich hab den Mann auch manchmal mit den Kindern hier am Spielplatz gesehen, der schien richtig freundlich", sagt Maria L., die eine Stiege weiter wohnt.

DER STANDARD

Das Landeskriminalamt übernahm die weiteren Ermittlungen wegen Mordverdachts. Ob der mutmaßliche Täter die Waffe rechtmäßig oder unrechtmäßig besessen hat, ist noch Teil der laufenden Ermittlungen. Laut APA war der Nachbar der 35-Jährigen gerade bei der Frau auf Besuch, als der Verdächtige am Donnerstagabend deren Wohnung betrat. Er soll in Gegenwart dieses Mannes auf die Frau geschossen haben. Die Getötete ist zweifache Mutter.

Klage gegen Maurer zurückgezogen

Der Bierwirt geriet schon vor Jahren in die Schlagzeilen, weil er Maurer wegen übler Nachrede klagte, nachdem sie nach dem Erhalt obszöner Botschaften von seinem Account seine Identität über die sozialen Netzwerke preisgegeben hatte. Der Gastronom bestritt stets, diese Nachrichten selbst verfasst zu haben. In einem ersten Verfahren im Oktober 2018 wurde Maurer wegen übler Nachrede verurteilt, das Oberlandesgericht Wien hob diese Entscheidung aber auf und ordnete eine Neudurchführung des Verfahrens an. Dieses wurde vor einigen Wochen eingestellt, weil der Bierwirt die Klage zurückzog.

Verschobene Verhandlung

Am 6. Mai hätte der Bierwirt erneut vor Gericht erscheinen sollen. Der sieben Mal wegen Gewaltdelikten Vorbestrafte soll einen Bauarbeiter nahe seines Geschäfts in Wien-Josefstadt genötigt und verletzt haben, zusätzlich wurde ein als Taschenlampe getarnter Elektroschocker sichergestellt – ein Verstoß gegen das Waffengesetz.

Die Verhandlung hätte eigentlich schon am 1. April stattfinden sollen. Damals gab sich der Ladenbetreiber vor Gericht recht entspannt, berichtete, dass er derzeit von 400 Euro im Monat lebe und "einige Tausend Euro Schulden" habe – beim Vermieter, dem Finanzamt und der Österreichischen Gesundheitskasse. Sein Verteidiger Gregor Klammer ersuchte allerdings um eine Verlegung – er hätte keinen Akt bekommen und sich auf die Sache nicht vorbereiten können, da es zu einem Missverständnis mit einem anderen Anwalt gekommen sei und der Ladenbetreiber die Ladung angeblich erst drei Tage zuvor bekommen hätte.

Maurers Anwältin Maria Windhager erzählt, dass sie seit dem Vorfall mit dem Elektroschocker im September 2020 in Sorge um ihre Mandantin Maurer gewesen sei, daher habe sie die grüne Klubchefin auch gewarnt: "Denn für mich war klar, dass damit auch Sigrid Maurer gefährdet ist." (lhag, moe, jan, van, nw, 30.4.2021)