Tief durchatmen: Das tut gut – und belüftet gleichzeitig die Lunge.

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Mit dem ersten Schrei nehmen die Lungen eines Babys ihre Arbeit auf – und sie arbeiten bis zum letzten Atemzug des Menschen. Dazwischen liegen im besten Fall viele gesunde Jahre, in denen man sich über vieles Gedanken macht– nicht aber über die Atmung, die ganz ohne unser Zutun funktioniert. Gut zwölf bis 15 Atemzüge macht ein Mensch pro Minute. Einatmen, ausatmen. Fertig.

Doch Corona nimmt vielen die Luft zum Atmen. Jenen am Virus Erkrankten nämlich, die an Atemnot leiden – und bei einem schweren Verlauf sogar künstlich beatmet werden müssen. Doch die Pandemie nimmt gefühlt auch Menschen die Luft, die seit 14 Monaten zu Hause nicht mehr nur wohnen, sondern oftmals auch arbeiten und ihre Kinder betreuen müssen. Wer im Trubel des Corona-Alltags Entspannung sucht, landet online rasch bei Entspannungs- und Atemübungen, mit denen man, so das Versprechen, den Stress kurz hinter sich lassen kann.

Etwa damit: In entspannter Sitzposition sollte die Zungenspitze oben an den Gaumen gelegt werden. Dann wird erst die alte Luft ganz langsam ausgeatmet und durch die Nase tief bis in den Bauch hinein eingeatmet. Nach einer kurzen Pause beginnt das Ganze von vorne. Aber sind solche Übungen sinnvoll?

Auf die Atmung konzentrieren

Schaden tut es ganz sicher nicht nicht, sich einmal bewusst Zeit für sich und seine Atmung zu nehmen. Wunder darf man sich davon aber auch keine erwarten. "Herzfrequenz und Blutdruck werden autonom reguliert, da kann man nicht eingreifen", sagt Andreas Rössler von der Med-Uni Graz. Die Atmung lässt sich aber sehr wohl kontrollieren – und die wiederum habe Auswirkungen auf die Herzfrequenz, sagt der Physiologe: "Damit ist die Atmung das Tor zum autonomen Nervensystem."

Generell gilt: Wenn man einatmet, geht die Herzfrequenz in die Höhe, weil der Sauerstoff, der eingeatmet wird, vom Herz weggepumpt werden muss. Wenn man ausatmet, geht die Herzfrequenz wieder nach unten. Dieser Mechanismus wird auch bei Entspannungsübungen angewandt. Etwa bei Meditationsformen, bei denen beim "Om" lange ausgeatmet wird – um damit die Herzfrequenz zu senken.

Ein ganz großes Aber führt Rössler jedoch ins Treffen: All das funktioniert nur im Ruhemodus. Wer gestresst ist und dadurch eine erhöhte Herzfrequenz hat, wird diese durch Atemübungen auch nicht mehr regulieren können. Ein paar schnelle Atemübungen vor der wichtigen Besprechung im Büro? Ganz nett, aber relaxt wird man deswegen trotzdem nicht ins Meeting gehen.

Lüften der Lunge

Die auf Atemtherapie spezialisierte Physiotherapeutin Cornelia Rottensteiner nennt einen großen Vorteil der tiefen Atmung: Man aktiviert bei jedem Atemzug nicht nur das Zwerchfell, sondern rund 20 weitere Muskeln sowie Gelenke, die am Atmen beteiligt sind. Außerdem regt man das Lymphsystem an, bewegt die Bauchorgane und belüftet die Lunge, in der sich sonst Sekret bildet. Das Atemzugsvolumen liegt je nach Körpergröße in Ruhe bei etwa 0,5 Liter. Es kann bei tiefer Atmung auf das Achtfache gesteigert werden.

Das funktioniert mit Atemübungen – oder durch Sport, bei dem man sich regelmäßig ein wenig außer Atem bringt. Wirklich falsch machen können Gesunde bei gängigen Atemübungen nicht viel. Wichtig sei dennoch, auf Warnsignale wie Schwindel, Schmerzen oder Atemnot zu achten, sagt Rottensteiner.

Das gezielte Training der Atemmuskulatur sei im Hochleistungssport immer wieder Thema. Vor einigen Jahren – und damit lange vor Corona – gab es auch Diskussionen dazu, ob ein Training mit einer speziellen Maske, die den Atemwiderstand erhöht, sinnvoll ist, DER STANDARD hat berichtet. Das sei bei Ausdauersportlern, die ohnehin eine trainierte Atemmuskulatur haben, schlichtweg nicht nötig, hieß es damals.

Doch es gibt andere, die das Atmen ganz gezielt trainieren müssen: Physiotherapeutin Cornelia Rottensteiner arbeitet unter anderem mit Menschen mit COPD, Asthma und neuromuskulären Erkrankungen. Sie kennt also Menschen, die mit Atemnot und Erstickungsangst leben.

Wie ein Krafttraining

Häufig, erzählt sie, gehe es bei ihren Patientinnen und Patienten darum, Techniken zu erlernen, mit denen man sich in einer Situation mit Atemnot selbst beruhigen kann. COPD-Patienten helfe beispielsweise, mit ihren Lippen einen Atemwiderstand zu erzeugen und dann langsam auszuatmen. "Es geht darum, zu lernen, den Instinkt zum Luftschnappen zu unterdrücken", sagt Rottensteiner.

Auch Menschen, die auf der Intensivstation künstlich beatmet wurden, müssen das Atmen erst wieder trainieren. Der Grund: Das Zwerchfell verliert schnell an Kraft, wenn es nicht mehr genutzt wird. "Nach zwei bis drei Tagen ist schon die Hälfte der Muskulatur des Zwerchfells verschwunden", sagt Rottensteiner, die unter anderem im Intensivbereich tätig ist.

Ein Training der Atemmuskulatur kann man sich ähnlich wie ein Krafttraining mit Gewichten vorstellen. Bei Geräten werden Widerstände gesetzt, um das Atmen kurz schwerer zu machen und die Atemmuskulatur gezielt wieder zu kräftigen.

Aber für das Atmen braucht es mehr als nur das Zwerchfell. Auch Bauch- und Rückenmuskulatur müssen für das richtige Atmen trainiert werden. Das Ziel des Ganzen: im besten Fall wieder so atmen zu können, dass man sich darüber keine Gedanken mehr machen muss. (Franziska Zoidl, 16.5.2021)