Die Affäre um den verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein ist für viele seiner Weggefährten längst noch nicht ausgestanden: Ghislaine Maxwell, die frühere Partnerin des Multimillionärs, der nach seinem Suizid im August 2019 rund eine halbe Milliarde Dollar hinterließ, erwartet im Juli 2021 ihre Gerichtsverhandlung. Dieser Tage wurde Maxwell, die wegen Zuhälterei mit Minderjährigen in einem Gefängnis in Brooklyn inhaftiert ist, erstmals vorgeladen.

Ob die Geschichte für Prince Andrew, Duke of York, schon erledigt ist, wird sich spätestens bei diesem Verfahren weisen. Die Aufgabe, das britische Königshaus zu vertreten, ist er wegen seiner Epstein-Kontakte schon länger los.

Auch in der Wissenschaft hat die Affäre an US-Eliteunis einige Opfer gefordert. Etliche Forscher unterhielten auch nach der Verurteilung Epsteins 2008 enge Kontakte zum wissenschaftsaffinen Mäzen, so auch der renommierte, aus Klosterneuburg stammende Biomathematiker Martin Nowak. Wie DER STANDARD berichtete, wurde der Harvard-Professor Nowak im März von seiner eigenen Uni zu einer relativ harten Strafe verdonnert: zumindest zwei Jahre lang keine Betreuung von Abschlussarbeiten, keine eigenen neuen Forschungsprojekte und Auflösung seines Programms für evolutionäre Dynamik (PED).

Seltsamer Eindruck

Diese Sanktionen erweckten für Außenstehende einen etwas seltsamen Eindruck: Gut begründet waren sie nämlich nicht; schon gar nicht, wenn man in Rechnung stellt, wie viele andere und prominentere Vertreter der Harvard University auch noch nach 2008 Kontakte mit Epstein pflegten. Wurde da mit Nowak ein Wissenschafter, der kein angestammter Repräsentant der US-Bildungselite ist, zum Sündenbock gemacht?

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Jeffrey Epstein in einem Kapuzenpullover mit dem Logo der Harvard University. Dort würde man mit der Verurteilung des aus Österreich stammenden Biomathematikers Martin Nowak vom systemischen Fehlverhalten der ganzen Uni ablenken, argumentiert nun ein Harvard-Professor.
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Genau diese Meinung vertritt der Harvard-Professor und Rechtswissenschafter Lawrence Lessig, der sich in Sachen Epstein und die Wissenschaft schon mehrfach zu Wort meldete. Nun tat er es in einem Gastkommentar für "The Harvard Crimson", eine Tageszeitung, die von Studierenden der Harvard University herausgegeben wird und die regelmäßig auch über Interna der Universität berichtet.

"Wir sind noch nicht fertig"

Unter dem Titel: "Epstein at Harvard: We’re Not Finished Yet" geht der Spezialist für Urheberrechtsfragen mit seiner eigenen Universität hart ins Gericht: Zahlreiche Harvard-Prominenz – Lessing nennt nur den Ex-Harvard-Präsidenten und ehemaligen US-Finanzminister Lawrence "Larry "Summers beim Namen – hätten vor und nach 2008 mit Epstein Kontakt gehabt. (Zu nennen wären etwa noch Rechtsprofessor und Epstein-Verteidiger Alan Dershowitz, der Psychologe Steven Pinker oder der Genetiker George Church.)

Zudem hätten die Harvard-Verantwortlichen beispielsweise ab 2006 gewusst und toleriert, dass Epstein im Institut von Nowak nicht nur ein eigenes Büro, sondern auch ein eigenes Telefon hatte. Angesichts dessen scheinen die "Vergehen" Nowaks lässlich, für die er bestraft wurde: Er habe Epstein nach dem Austausch der elektronischen Schlösser eine neue Schlüsselkarte besorgt; und er habe auf der Homepage seines Programms eine Biografie von Epstein ins Netz gestellt, die ihn als Freund des PED bezeichnete.

Dazu kommen aber noch ein paar eher lächerliche Vorwürfe: So habe Nowak angeblich bei der Templeton Foundation nicht angegeben, dass deren Spenden Matching-Funds zu Geldern sei, die Nowak über Epstein bekam – ein Vorwurf, der nicht einmal stimmen dürfte.

Die Armut der reichsten Uni

Lessigs Kommentar gibt aber auch Einblicke, wie es an der reichsten Universität der Welt (geschätztes Stiftungsvermögen 2019: über 40 Milliarden Dollar) so zugeht: Nowaks PED hatte Räumlichkeiten angemietet, die nicht von der Universität, sondern aus Epsteins Spenden bezahlt wurden. Als man in Harvard 2008 beschloss, keine direkten Gelder von Epstein mehr annehmen zu wollen, musste sich Nowak wegen der Finanzkrise selbst um die Bezahlung der Institutsmiete kümmern. Und noch im Jahr 2017 wurde Nowak anscheinend von einem Vertreter des universitätseigenen "Development Office" aufgefordert, Epstein zu fragen, welchen seiner Freunde man um Geld für die Miete bitten könnte.

Lessigs bitteres Resümee: Harvard sei eine Universität, die sich offen mit einem Kindersexualstraftäter eingelassen hat, und zwar nicht nur bevor er verurteilt wurde, sondern auch lange danach. Darüber müsse die Uni endlich offen, fair und ehrlich Rechenschaft ablegen – und nicht verschleiernd, indem nur einer ihrer Vertreter zum Sündenbock gemacht werde. (Klaus Taschwer, 30.4.2021)