In Manchester entlud sich am Sonntag die Wut auf die US-Besitzer.

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Fans des deutschen Absteigers Schalke 04 vor verschlossenen Türen. Ihrem Ärger machen sie außerhalb des Stadions Luft.

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Nikola Staritz von der Initiative Fairplay: "Es prasselt dauernd auf die Spieler ein. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze zwischen Sport und Privatleben."

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Fußball steht für Leidenschaft, Fußball steht für Emotionen. Freude, Liebe, Stolz – und Wut. Letztere kam am Sonntagnachmittag in Manchester zum Vorschein. Da hatten vor dem geplanten Spiel von Manchester United gegen Liverpool knapp 10.000 Fans vor dem Station ihrem Unmut gegen die US-amerikanische Besitzerfamilie um Klubboss Joel Glazer und deren Super-League-Pläne Luft gemacht.

Doch dabei blieb es nicht. 200 bis 300 Anhänger drangen bis ins Old Trafford vor und skandierten dort immer wieder "Glazers raus!" Sie zündeten Rauchtöpfe, bewarfen ein Kamerateam mit Dosen, schwenkten Eckfahnen und spielten sogar Fußball auf dem Platz. Die Szenen gingen um die Welt.

Nach Gesprächen zwischen der Polizei, der Stadt, der Liga und Vertretern beider Klubs wurde die Partie, die dem United-Stadtrivalen Manchester City vorzeitig den Titel hätte bringen können, abgesagt. Die Behörden konnten die Sicherheit nicht gewährleisten. Bei den Protesten sind nach Polizeiangaben zwei Polizisten verletzt worden. Einer der beiden wurde mit einer Flasche attackiert und musste mit einer Gesichtsverletzung im Krankenhaus behandelt werden.

Ein Sprecher der Greater Manchester Police bezeichnete das Verhalten der Anhänger als "rücksichtslos und gefährlich". Vor allem am Stadion seien diese "besonders aggressiv" aufgetreten. Dort hätten die Fans Flaschen und Absperrgitter auf Polizisten und deren Pferde geworfen.

Wo die Wut mancher Fans noch hinführen wird, diese Frage stellt man sich in England – und nicht nur dort – schon seit längerem. Zumeist sind nicht die Klubbesitzer sondern die Spieler betroffen. So hatten, um ein Zeichen gegen die zunehmenden Anfeindungen in den sozialen Medien zu setzen, alle englischen Profiklubs in den vergangenen drei Tagen die üblichen Verdächtigen boykottiert, also Facebook, Instagram und Twitter.

Die Europäische Fußball-Union (Uefa) schloss sich der digitalen Abstinenz der Briten an. Es sei, sagt Präsident Aleksander Ceferin, "gefährlich, eine Kultur des Hasses ungestraft wachsen zu lassen". Man habe genug von diesen "Feiglingen".

Schläge für Spieler

Der Fußballplatz ist nicht unbedingt für feine Umgangsformen bekannt. Also warum der plötzliche Aufschrei? Hat sich die Situation verschärft? "Der Ton ist rauer geworden", sagt Nikola Staritz von der Initiative Fairplay dem STANDARD. Man dürfe die Gefahr einer Eskalation nicht unterschätzen. Staritz verweist auf die Vorkommnisse beim deutschen Bundesligisten Schalke 04. Rund 500 Fans hatten nach dem Abstieg der Königsblauen auf dem Klubgelände auf die Mannschaft gewartet, es setzte Schläge. Profis sprinteten davon, die Polizei musste einschreiten.

Die zunehmende Aggression ist nicht nur eine gefühlte Wahrheit. Laut einer eben veröffentlichten Beobachtung Manchester Uniteds seien die Untergriffe im Netz gegen die Spieler der Red Devils seit 2019 um 350 Prozent angestiegen. Der Topklub dröselt die Natur der Bösartigkeiten auf: 86 Prozent seien rassistisch geprägt, acht Prozent homo- oder transphob.

Bereits im Februar hatten zahlreiche Profis rund um den deutschen Nationalspieler Toni Kroos Hassnachrichten aus sozialen Netzwerken verlesen. Sie reichen von Beschimpfungen und Mordfantasien bis hin zur Gewaltandrohung gegen die Kinder der Spieler. Am Ende des 104 Sekunden langen Videos vermitteln die Kicker ihre Botschaft: "Wir schätzen deine Meinung. Aber Hass ist keine Meinung." Mit einem Appell an die Besonnenheit der Fans ist es allerdings nicht getan. Die Kritik von Klubs und Profis richtet sich gegen die Plattformen und deren mangelhafte Bekämpfung von Hass im Netz.

"Früher fanden Anfeindungen und Beschimpfungen während der 90 Minuten im Stadion statt", sagt Staritz. Nun würde sich der Spießrutenlauf in der Freizeit fortsetzen, in den sozialen Medien seien Profis immer ansprechbar. "Es prasselt dauernd auf die Spieler ein. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze zwischen Sport und Privatleben." Gerade jüngere Spieler könne der Umgang mit der Öffentlichkeit mental belasten. "Sie stehen sportlich ohnehin unter Druck – dann kommen auch noch Anfeindungen hinzu."

Und selbst wenn man im Fußball alles erlebt hat, muss man nicht alles schlucken. Frankreichs Ex-Teamspieler Thierry Henry beklagte zuletzt eine Menge an Rassismus und Mobbing, die nicht mehr zu ignorieren sei. Im März hat sich der Welt- und Europameister von knapp 15 Millionen Followern verabschiedet. Eine Rückkehr in die sozialen Medien sei für ihn erst denkbar, sagte Henry, wenn die Verantwortlichen mit Entschlossenheit gegen die Anfeindungen vorgehen würden, und zwar "so entschlossen wie gegen Copyright-Verletzungen".

Burgstallers Bogen

Wer sich das ganze Theater ersparen will, hat derzeit nur eine echte Option: Enthaltsamkeit. Ex-ÖFB-Teamspieler Guido Burgstaller hat sich zu einem Bogen um Facebook, Instagram und Foren entschlossen. "Wenn es nicht läuft, wird man attackiert", sagte er kürzlich dem STANDARD. "Ich möchte mich dem nicht aussetzen. Tausende wissen es besser. Wenn man als Typ nicht gefestigt ist, kann das schwierig werden." Sein Verein, der FC St. Pauli, hat sich dem Boykott der englischen Klubs angeschlossen: "Hass und Hetze werden zum Alltag. Das Problem muss angegangen werden."

Aber kann ein Boykott über wenige Tage tatsächlich Wirkung zeigen? Er geht zumindest über die reine Symbolik hinaus. Wenden sich Fußballklubs von den sozialen Medien ab, unterbrechen sie auch ihre Ausgaben für den Vertrieb von Fanartikeln. Dadurch verlieren die Plattformen Umsätze. Facebook und Co stellen sogenannte Account-Manager ein, die sich um ein Portfolio an Klienten kümmern, um deren Werbebudgets auf der Plattform zu maximieren. Dieses Geschäftsmodell kommt für einige Tage zum Erliegen – das wird die Global Player des Internets nicht ruinieren, aber eventuell zum Nachdenken anregen.

Protest mit Puppe

In Österreichs Fußball ist zurzeit Austria-Vorstand Markus Kraetschmer das unangefochtene Hassobjekt Nummer eins. Er wird von vielen Fans für den finanziellen Niedergang des Traditionsvereins verantwortlich gemacht. Kraetschmer wird nicht nur im Internet beleidigt, der Hass gegen seine Person wird auch offline ausgelebt. Zuletzt wurde eine ihn darstellende Puppe auf einer Brücke über der Südosttangente gehängt. Der Verein sprach von einem aggressiven und geschmacklosen Protest, der jede Grenze überschritten hätte.

Nikola Staritz spricht sich indes für eine differenzierte Sichtweise aus. Hassbotschaft sei nicht gleich Hassbotschaft: "Es macht einen Unterschied, ob jemand aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert oder ob jemand dafür kritisiert wird, dass er einen Verein schlecht führt. Zweiteres kann man als legitim erachten." Fadenkreuze und Ähnliches seien schon lange Teil des Repertoires von Symbolen der Fankultur gewesen. Man wolle sich mit Provokationen Gehör verschaffen. "Allerdings", so Staritz, "muss man etwas nicht gutheißen, nur weil es schon immer so war. Der Fußball kann auch ohne kriegerisches Gehabe gut leben." (Philip Bauer, Lukas Zahrer, 3.5.2021)