Die in der FPÖ gerne beschworene Gemeinsamkeit (hier beim Wiener Landesparteitag) zieht sich nicht immer durch alle Ebenen der Partei.

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Wien – Wer hinter dem Titel der Reportage eine juristische Auseinandersetzung zwischen FPÖ-Parteichef Norbert Hofer und Klubobmann Herbert Kickl vermutet, liegt völlig falsch. Die beiden sind selbstverständlich die besten Kameraden. Der Prozess gegen Herrn R., dem gefährliche Drohung vorgeworfen wird, spielt sich einige Etagen tiefer in der freiheitlichen Gesinnungs- und Wertegemeinschaft ab. Ein blauer Gemeinderat aus Niederösterreich hat ein einfaches Parteimitglied geklagt, da er dieses für einen Linken hielt.

Richterin Daniela Zwangsleitner lässt sich vom 21-jährigen R., der mittlerweile mit der FPÖ gebrochen hat, die Vorgeschichte erzählen. Der war früher bei der FPÖ als Wahlbeisitzer beschäftigt und lernte dabei Frau S. flüchtig kennen. "Ich habe sie insgesamt zweimal kurz getroffen, einmal bei einem Bierzeltfest der FPÖ", erinnert sich der Unbescholtene. Frau S. ist mittlerweile bedauerlicherweise bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, die Reaktion ihres Bruders auf den Tod erzürnte den Angeklagten.

Pietätlose Bilder nach Tod der Schwester

Der ebenso 21 Jahre alte Gemeinderat S. postete auf seinem öffentlichen Facebook-Account nämlich Bilder des verunglückten Fahrzeuges und seiner schwerverletzen Schwester. "Ich habe mir auch gedacht, dass das zutiefst pietätlos ist", merkt die Richterin an, während sie im Akt blättert. "Aber was geht Sie das an? Sie kannten die beiden ja kaum?" – "Es war einfach blöd von mir", gibt der Angeklagte zu, Herrn S. an einem Tag zwischen 20 und 23 Uhr rund 15 Mal angerufen zu haben.

Nach seiner Darstellung wollte er nur seinen Unmut über die Postings äußern. Warum er so oft, mit unterdrückter Nummer und mit verstellter Stimme anrief, kann er nicht wirklich erklären. "Waren Sie alkoholisiert?", will Zwangsleitner wissen. R. glaubt nicht, obwohl er etwas getrunken hatte. Wider Erwarten nicht drei Bier, sondern "ein oder zwei". Der Angeklagte beteuert aber, S. oder seine Familie nie bedroht zu haben.

Zum Beweis legt R. zwei Videos vor, die S. selbst auf Facebook veröffentlicht hat. Im ersten Film spricht der dynamische Jungpolitiker zunächst zum Publikum und erzählt, dass es 23.06 Uhr sei und er seit drei Stunden telefonisch belästigt werde. Dann kündigt er an, dass der anonyme Anrufer sich gerade wieder melde – und schaltet sein Mobiltelefon auf laut, sodass das Publikum mithören kann.

Keine Drohungen des Angeklagten auf Video

In dem mehrminütigen Telefonat ist zwar keine Drohung des Angeklagten zu hören, dafür aber die Vermutung von S., wer hinter den Anrufen stecke. "Er ist ein Linker. Unglaublich, wie ihr linken Leute drauf seid!", stellt er einmal fest. Er definiert auch, wer für ihn "links" ist: "Es fangt bei Grün an, bei Rot geht es weiter, bis zu den Schwarzen." Und er kündigt dem ihm da noch Unbekannten Konsequenzen an: "Ich fahr morgen zum Bundesverfassungsschutz (gemeint wohl Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Anm.), die werden Deine Nummer herausbekommen, und dann kannst Du dich warm anziehen!", sagt er mehrmals. Was der Richterin auch auffällt: S. wirkt entspannt und lacht mehrmals.

Laut Rufnummernrückerfassung war dieser von S. gefilmte Anruf die letzte fernmündliche Kommunikation mit dem Angeklagten. Eine Stunde später stellte der Gemeinderat allerdings noch ein selbstgemachtes Video ins Internet. Darin ist er auf dem Weg zu einer Polizeiinspektion zu sehen, und hier bringt er angebliche Drohungen ins Spiel. Bei der Exekutive zeigte er an, R. habe sich nach 23.06 Uhr ein weiteres Mal gemeldet und Manipulationen am Fahrzeug des Stiefvaters von S. in den Raum gestellt sowie auch ihn vage bedroht.

"In dem Video habe ich gelogen"

Auch als Zeuge bleibt S. vor Gericht zunächst dabei: "Es hat danach noch einen Anruf gegeben!", behauptet er. "Die Rufdatenrückerfassung zeigt etwas anderes", belehrt ihn die Richterin. "Das kann nicht sein!", bleibt der Gemeinderat bei seiner Überzeugung. Verteidiger Wolfgang Bernt will von ihm wissen, wann die Drohungen gefallen sein sollen. "Da waren mehrere, über mehrere Anrufe verteilt", lautet die Antwort. "Im Video auf dem Weg zur Polizei sagen Sie aber, dass sie im letzten Anruf gefallen sind?" – "In dem Video habe ich gelogen", empfiehlt sich S. für höhere politische Weihen. "Nur zur Aufklärung: Mein Mandant ist ein Parteikollege von Ihnen, kein Linker", teilt der Verteidiger dem Zeugen noch mit.

Zwangsleitner spricht R. schließlich rechtskräftig vom Vorwurf der gefährlichen Drohung frei. "S. wird sich wahnsinnig über die anonymen Anrufe geärgert haben und wollte die Nummer herausbekommen. Da wird er bei der Polizei von Drohungen gesprochen haben, damit das wichtiger klingt", mutmaßt sie in ihrer Begründung. (Michael Möseneder, 4.5.2021)