Der STANDARD beschäftigt sich in einer ressortübergreifenden Serie mit unterschiedlichen Aspekten des Sprachwandels.

Es war einmal, da hatte das Wort "lecker" ethnisches Zerwürfnispotenzial. Herrn und Frau Ösi-Gourmet stiegen die Grausbirnen auf, wenn sie es hörten oder gar lasen! Was für finstere Zeiten waren das damals! Heute wollen und können wir "lecker" gar nicht mehr außen vor lassen, denn wie sollte eine Cola sonst auch schmecken? Und was will ein Kindermilchschnittenkind zu einer Kindermilchschnittenmutti anderes sagen als "Au ja, lecker!".

Nein, jetzt wird nicht der Satz "Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache" verhandelt. Erstens stammt er gar nicht von Karl Kraus, zweitens wäre er hier höchst unzutreffend.

Bei der nicht nur hierzulande grassierenden Leckeritis geht es nicht um das Phänomen national oder auch nur regional verwendeter Begriffe, die neue geografische Gebiete erobern. Es geht um die Ausbreitung einer pickig-invasiven Einheitswerbesprache, deren Ziel eine lexikalische, sogar klangliche Gleichschaltung ist. Damit sich alle, egal wo sie sind, beim beworbenen Produkt zu Hause fühlen und, richtig, es brav kaufen.

Bramburi

Nichts damit zu tun haben auch die unterschiedlichen Bezeichnungen für Lebensmittel oder Speisen in unterschiedlichen Sprachräumen. Wir hoffen inniglich, dass sich noch keiner aus unserer liebsten und größten Gastarbeitergruppe – Achtung Ironie, gönnen wir uns doch eine sprachliche PC-Pause! – von der Wachauer Marille kulturell unterdrückt gefühlt hat.

Bitte, die hat noch jeder derlernt. Wenn er oder sie in Wien zugezogen ist, muss er oder sie sich aber auch nicht zum Paradeiser verpflichten. Die Tiroler und Tirolerinnen sagen ja auch Tomate. Und nur solche kann man auch auf den Augen haben. Umgekehrt wird man allerdings schwerlich in der Aprikose hin sein (Auflösung: "Bist hinig in der Marüün?").

Hinig kann man nur in der Marüün sein, nicht in der Aprikose.
Foto: Lukas Friesenbichler

Zugegeben, man kann schon so seine fundamentalistischen Lebensphasen haben, in denen man partout nur Erdäpfel und keine Kartoffel essen mag. Und, bumsti, führt einem das Leben einen Burgenländer als Gefährten zu, der mit seinen Krumpern alias Grundbirn’ hausieren geht.

Vielleicht sollten wir uns alle auf Bramburi einigen, ein schönes Wort, das darauf hinweist, dass Brandenburg ein frühes Anbaugebiet war (und was vorher geschah, blenden wir hier einmal aus).

Ach, der Minderwertigkeitskomplex

Lieber Freund und Zwetschkenröster, wirklich, wir bürgern gerne auch Leute ein, die Blumenkohl, Quark und Rührei sagen und nicht zu, sondern an Weihnachten Schweinebraten und Gänseleber statt Schweinsbraten statt Ganslleber essen. Alles roger. Multikulti.

Was jedoch nicht in Ordnung ist: dass die österreichischen Sprachvarianten nicht zuletzt deshalb ins Hintertreffen geraten, weil viele Österreicher und Österreicherinnen an einem latenten sprachlichen Minderwertigkeitskomplex leiden, der dazu führt, dass sie ihr Vokabular a priori für dialektal und das importierte für "korrekt" halten. Nein und abermals nein: "Sahne" ist nicht das hochdeutsche Wort für "Obers", und "Hefe" ist auch nicht ein höher stehender Begriff als "Germ".

Weder dem Thema einheitsdeutsche Werbesprachendampfwalze noch dem Karfiol-Schisma kommt man aus, wenn man sich mit Sprache und Kulinarik befasst, wie in diesem RONDO. Wenn man jedoch, logisch heutzutage, in Richtung Corona-Folgen-Forschung abbiegt, beschleichen einen noch ganz andere Befürchtungen.

Geistige Verzwergung

Nämlich jene, dass das Virus das Hoamatl nicht nur insofern schrumpfen lässt, als man es physisch nur noch schwer verlassen kann. Darin, wie – und mit welchem Vokabular – momentan Lebens- und Genussmittel beworben werden, offenbart sich auch eine gewisse geistige Verzwergung.

Unser Österreich! Österreich drauf, Österreich drin, drüber, drunter, jeder noch so fabriksmäßig angelegte Saustall, auf österreichischem Staatsgebiet errichtet, ist die Vorstufe zum kulinarischen Glück. Besser ist nur noch "regional"!

Aus Wut möchte man in einen spanischen Plastikpaprika beißen anstatt in ein österreichisches Gummiradieschen. Interessant wäre ja, wie viel Prozent des von Mjam und Co ausgelieferten Essens der "Unser Österreich"-Prüfung standhält: Pizza, Schweinefleisch süß-sauer und Sushi – und zum Nachtisch, äh Dessert, aus dem Supermarktkühlregal ein Fertig-Tiramisù aus dem Nestlé-Firmenimperium. (Gudrun Harrer, RONDO, 8.5.2021)