Am Montag einigte sich die Regierung auf Maßnahmen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigte mehr Mittel für das Frauenministerium von Susanne Raab (beide ÖVP) an.

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Nachdem vergangene Woche bereits die neunte Frau vermutlich durch die Gewalt eines Partners oder Ex-Partners gestorben ist, sieht die türkis-grüne Regierung Handlungsbedarf und hat sich deswegen am Montag auf ein Paket geeinigt, das vor allem die Arbeit der Sicherheitsbehörden betrifft: Präventionsbeamte in jeder Polizeiinspektion, ausführliche Motivforschung nach Gewalttaten und mehr Fallkonferenzen soll es künftig geben. Frauen- und Familienministerin Susanne Raab, Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) berieten dazu mit den neun Landespolizeidirektoren und Landeskriminalamtsleitern.

Kritik aus dem Praxisbereich

Opfer- und Gewaltschutzorganisationen – sie waren nicht zu dem Gipfel eingeladen – kritisieren das Ergebnis der Beratungen. Sie fordern 228 Millionen Euro jährlich – das wäre das 15-Fache des jetzigen Budgets – für die Ausweitung und längerfristige Absicherung ihrer Arbeit. Außerdem müssten zusätzlich 3.000 neue Arbeitsstellen im Opferschutz geschaffen werden.

Auch Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser kritisiert das fehlende Budget. Dass einzelne Punkte aufgegriffen wurden, sei gut, aber der Schutz betroffener Kinder sei beispielsweise vollkommen ausgeklammert worden. Auch dass kein Personenschutz für betroffene Frauen geplant ist, sei schade.

Kurz: "Am Geld wird es nicht scheitern"

Nachdem Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) Dienstagfrüh bereits weitere Gespräche zum Ausbau von Ressourcen angekündigt hatte, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wenige Stunden später am Rande einer Pressekonferenz mehr Mittel zu: "Am Geld wird es nicht scheitern." Wenn es mehr Mittel brauche, werde die Regierung diese einsetzen. "Die finanziellen Fragen werden sich lösen lassen", so Kurz.

Rosa Logar vom Verein Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt rechnet vor, wie sich das fehlende Budget in der täglichen Arbeit auswirkt: Eine Betreuerin in ihrem Verein sei für 310 Opfer zuständig. Mehr als kurzfristige Hilfe sei deswegen nicht möglich.

Wie schwierig die Betreuung unter begrenzten Ressourcen für die Beraterinnen und Berater ist, beschreibt Alexander Ortner, der wegen der begrenzten Zeit seinen Job in einem Gewaltschutzzentrum kündigte: Er habe "jährlich über 150 Gewaltopfer persönlich beraten und zu Einvernahmen, Gerichtsverhandlungen, Täterkonstruktionen, Tatausgleichen und so weiter begleitet. Schätzungsweise noch weitere 200 Gewaltopfer telefonisch beraten." Und hunderte Seiten Einstweilige Verfügungen verfasst. "Gab es (Trauma-)Therapeutischen Bedarf, konnte nur auf nicht vorhandene Kassenplätze verwiesen werden. Bei anderen Themen wie Arbeit, Gesundheit, finanzielle Existenzsicherung ebenso auf andere Einrichtungen, die selbst oft Wartezeiten hatten", schreibt Ortner auf Twitter.

Frauenministerin stellt weitere Maßnahmen in Aussicht

Der Gewaltschutz sei in Österreich breit aufgestellt, "mir ist es wichtig zu betonen, dass keine Frau weggeschickt wird", sagt Ministerin Raab, auf die dünne Personaldecke angesprochen. In der Ressourcenfrage werde man mit den Opferschutzeinrichtungen zusammenarbeiten, es gebe weitere Gespräche über das Budget. "Aber in den vergangenen Jahren ist so viel passiert wie noch nie zuvor, weil das Budget fast verdoppelt wurde", betont Raab. Ein großer Teil des 14,65 Millionen Euro umfassenden Frauenbudgets sei in den Opferschutz geflossen.

Allerdings: Um eine beinahe Verdoppelung handelt es sich nicht. 2019 umfasste das Budget 10,25 Millionen Euro. Auf Twitter erntete die Ministerin nach dem Interview wegen der Budgetangaben Kritik – sie entschuldigte sich am Vormittag für den Versprecher. Das Budget sei um fast 50 Prozent erhöht worden.

Der genauere Blick auf die Zahlen veranlasste außerdem viele zu Vergleichen, wie hoch Ausgaben in anderen Bereichen sind – etwa dass im Jahr 2020 73 Millionen Euro für Inserate und PR ausgegeben wurden.

Geld für Raab nicht das einzige Thema

Raab betont, dass die Ressourcen nicht die einzige Frage seien: "Erreichen wir die Frauen? Nehmen sie die Hilfsangebote in Anspruch?" Jede Frau müsse wissen, dass sie nicht alleine sei und es Zufluchtsorte gebe, deswegen werde an neuen Informationskampagnen gearbeitet.

Die Kritik am Ausbau der Motivforschung – Tötungen von Frauen der vergangenen zehn Jahre sollen evaluiert werden – kann Raab nicht nachvollziehen: "Man muss sich doch ansehen, wie es am Ende des Tages zu solchen Gewalteskalationen kommt. Hat es Wegweisungen gegeben, war die Polizei schon involviert? Gibt es psychische Störungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch und, ja, gibt es patriarchale Ehrkulturen, die wir in Österreich nicht haben wollen, ein Frauenbild, das nicht unseren Werten entspricht?" Wenn es zu Gewalt komme, brauche es die volle Härte des Gesetzes. Deswegen seien Verbesserungen in der Zusammenarbeit von Justiz und Polizei wichtig.

Was Motivforschung bringen kann

Tatsächlich kommt die Regierung mit der Motivforschung einer langjährigen Forderung aus dem Bereich der Kriminalitätsforschung nach. Weder die statistische Erfassung noch die Informationssammlung und -bewertung in den Ermittlungen entsprächen bislang den Vorgaben der Istanbul-Konvention, sagt etwa Isabel Haider, Forscherin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien. Die Istanbul-Konvention ist das "Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" – Österreich hat unterzeichnet.

Die Informationssammlung passiere in Österreich wenig formalisiert, stark einzelfallbezogen und unter zu wenig Beachtung geschlechtsbezogener Aspekte der Gewalt, sagt die Rechtswissenschafterin. Statt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen würden Einschätzungen stärker auf den Erfahrungswerten von Sicherheitsbeamten und -beamtinnen basieren – was letztendlich große Qualitätsunterschiede bei der Beurteilung bedeute.

Motivforschung sei wichtig, um zu klären, ob geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen vorliegt. Laut der Istanbul-Konvention ist das dann der Fall, wenn das Geschlecht das Hauptmotiv für die Tat ist. Gerade bei der häuslichen Gewalt würden vermeintlich interpersonelle Motive aber oft nicht auf ihren Geschlechtsbezug hinterfragt, sagt Haider, andere Motive – etwa eine Lebensversicherung – schon. Motive mit Geschlechtsbezug wären solche, die sich zwar vermeintlich nur auf die individuelle Frau und somit nicht alle Frauen per se beziehen, in Wahrheit jedoch durch geschlechtsbezogene Rollenzuschreibungen bedingt sind.

Lob für Ausbau der Fallkonferenzen

Für den angekündigten Ausbau der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen zu auffällig gewordenen Gewalttätern gibt es von Opferschutzeinrichtungen und Expertinnen und Experten Lob. Die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner betonte in der "Zeit im Bild 2": "Die Prognosen sind immer nur so gut wie die Basis, auf der sie erstellt werden." Trage man nicht alle Informationen zusammen, könne auch eine Risikoeinschätzung nur unzureichend sein. Daher seien die Fallkonferenzen unbedingt erforderlich. "Man müsste wirklich alle Informationen, die zu einem Fall vorhanden sind, sammeln."

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Zu den Taten sagt die Psychiaterin, die etwa den jungen Mann für das Gerichtsverfahren beurteilte, der 2019 in Kitzbühel seine Ex-Freundin, deren Eltern und den Bruder und ihren neuen Freund erschoss: "Es sind Hinrichtungen. Es sind Morde. Es sind keine Beziehungsdramen, wie das manchmal so euphemistisch bezeichnet wird." Die Taten seien eine "unglaubliche Selbstermächtigung" einer Person über eine andere. Man müsse sich fragen, "wieso diese Selbstermächtigung in Österreich noch immer eine durchaus traurige Tradition hat", so Kastner.

Runder Tisch kommt

Welche weiteren Verbesserungen es im Bereich Gewalt gegen Frauen noch gibt, könnte nächste Woche feststehen. Auf Initiative von Zadić und Raab soll dann ein runder Tisch stattfinden – inklusive der Opferschutzeinrichtungen.

In Wien fand unterdessen am Montagabend eine Demonstration gegen Femizide statt. Mehrere hundert Menschen zogen durch die Innenstadt, unter anderem in die Nähe des Geschäftslokals des in Untersuchungshaft sitzenden mutmaßlichen Täters vom Donnerstagabend – der durch den Prozess gegen Sigrid Maurer bekannt gewordene Bierwirt. Die Polizei versperrte allerdings den Zugang zu der Gasse, sodass die Demo-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer nicht unmittelbar vor dem Lokal vorbeigehen konnten. (Lara Hagen, 4.5.2021)