Frühjahr 1945. Das Überschreiten der Grenzen des Deutschen Reiches durch die alliierten Armeen leitet die letzte Phase des Zweiten Weltkriegs ein. Zur vermeintlichen Stärkung des Widerstandswillens reagieren die Nationalsozialisten mit einer beispiellosen Welle des Terrors und der Abschreckungen gegenüber ihren Gegnern. Auch für die innerhalb Hitlerdeutschlands internierten alliierten Kriegsgefangenen wird die Lage gefährlich.

Das größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des heutigen Österreichs mit der Bezeichnung Stalag XVII B befand sich nahe der Ortschaft Gneixendorf nördlich von Krems an der Donau. Die Abkürzung Stalag steht für (Mannschafts-)Stammlager. Die Ziffer "B" weist diese Anlage als zweites Lager dieser Art im Wehrkreis XVII (Wien) aus. Zeitweilig sind in dem ausgedehnten Barackenkomplex bis zu 60.000 Männer interniert, darunter zunächst Polen, Belgier und Franzosen, im weiteren Kriegsverlauf dann auch Serben, Sowjetrussen, Italiener und US-Amerikaner.

Insgesamt fallen etwa 2.000 Insassen, darunter besonders viele Russen, im Lager grassierenden Seuchen und Mangelernährung zum Opfer. Die Kriegsgefangenen der anderen Nationen erhalten regelmäßig Versorgungspakete des Roten Kreuzes zugesandt und können so ihre karge Kost aufbessern. Innerhalb der Lagergesellschaft blüht der Schleichhandel, an den sich der ehemalige Wachsoldat Richard Walzer in einem 1946 aufgenommenen Protokoll erinnert:

"Die Amerikaner gaben ihren Zigarettenüberschuss häufig den Russen, die sich wieder gegen diese Zigaretten bei der Bewachungsmannschaft Lebensmittel, insbesondere Brot eintauschten."

Zurückgeblieben im Lager

Ende März 1945 wird der US-amerikanische Flieger-Staff-Sergeant Kenneth J. Kurtenbach in die Lagerkommandantur beordert. Er übt die Funktion des MOC ('man of confidence') aus und vertritt die Interessen seiner Kameraden gegenüber der deutschen Lagerleitung. Kurtenbach erinnert sich:

"The authorities of the prison camp, both the officers of the Luftwaffe and the Wehrmacht, informed me that it appeared necessary that all prisoners capable of walking would be moved westward to 'safety' away from the Russians and the dangers of the frontline fighting."

In Gefangenschaft geratene sowjetische Soldaten, die von Wehrmachtssoldaten befragt werden.
Foto: Sammlung Reder

Als Anfang April die Rote Armee die deutschen Verteidigungslinien südöstlich von Wien durchbricht, wird tatsächlich ein Großteil der Lagerinsassen unter strenger Bewachung in Fußmärschen in Richtung Oberösterreich "evakuiert". Im Lager bleiben etwa 2.000 kranke und nicht marschfähige Kriegsgefangene zurück, darunter auch Kurtenbach selbst. Die Stimmung ist allgemein gedrückt und die Ungewissheit zehrt an den Nerven der Männer.

Auch unter den in Gneixendorf verbliebenen rund 80 Angehörigen der Wachmannschaft wächst die Unruhe. Nicht nur das Risiko, im letzten Augenblick selbst noch an die Front geschickt zu werden, löst zunehmend Besorgnis aus. Die zu erwartende Behandlung durch die Sowjets bei Gefangennahme im eigenen Lager sorgt gleichermaßen für Angst.

Hinterhalt

In dieser angespannten Situation lässt der Lagerführer des "Restkommandos" Hauptmann Franz Schweiger seine Männer am Appellplatz antreten. Er eröffnet ihnen, dass sich jeder freiwillig einem Marschblock anschließen kann, der dem Evakuierungstross in den Raum Pregarten (OÖ) folgen soll. Etwa 40 Männer melden sich dafür, während Schweiger selbst befehlsgemäß zurückbleiben will. Er soll erst bei unmittelbarer Annäherung der Sowjets das Lager dem zuständigen deutschen Frontkommandanten übergeben.

Allerdings hat Schweiger schon früher Misstrauen beim zuständigen Abwehroffizier im Lager erregt. Als sich Gerüchte verdichten, er plane ein Überlaufen zum Feind, wird die Gestapo aktiv. Man bedient sich dabei eines Spitzels, der sich das Vertrauen Schweigers erschleicht.

Die Gelegenheit, dem Offizier eine Falle zu stellen, bietet sich für den "Konfidenten" als am 17. April der Marschblock unter dem Kommando von Oberleutnant Anton Kilian Richtung Westen aufbricht. Der V-Mann tritt dabei unverblümt als "agent provocateur" auf und bietet Kilian an, unterwegs den Kontakt zu einer Partisanengruppe herstellen zu wollen.

Während des Westfeldzugs gefangengenommene Franzosen.
Foto: Sammlung Reder

Als die Marschgruppe zwei Tage später ihr Nachtquartier in Raxendorf beziehen will, einer kleinen Ortschaft etwa 40 Kilometer südwestlich von Krems, werden sie plötzlich vom Volkssturm, Gestapoleuten in SS-Uniformen und Feldpolizisten umstellt. Die überraschten Wehrmachtssoldaten werden entwaffnet und festgenommen. Dann verfrachtet man die Männer in wartende Busse und bringt sie in die Haftanstalt Stein.

Schandurteil von Krems

Kilian und Feldwebel Viktor Zelenka werden dem "Verhörspezialisten" der Wiener Gestapo, Rudolf Hitzler, vorgeführt. Nach schwerer Folter liefern die beiden die gewünschten "Geständnisse". Als Belege für ihre "verräterische" Gesinnung dienen angeblich im Marschgepäck gefundene feindliche Uniformstücke und rote Tücher. Am nächsten Tag verhaften Gestapo-Beamte auch Hauptmann Schweiger, der Kilians Marschbefehl ausgestellt hat. Auch er "gesteht" nach stundenlangen brutalen Misshandlungen.

Als am 21. April in Stein das NS-Standgericht zusammentritt, stehen die Urteile wegen "Drückebergerei" und "Überlaufens zum Feind" gegen Schweiger, Kilian und Zelenka längst fest. Dank der "arbeitsteiligen" Vorbereitung der Gestapo dauert die Prozessfarce nur wenige Minuten und endet mit Todesurteilen für alle drei Delinquenten. Um keine Zeit zu verlieren, hat man bereits zuvor hölzerne Galgen auf dem Kremser Südtirolerplatz gezimmert.

Um etwa drei Uhr am Nachmittag versammelt sich vor dem historischen Stadttor eine große Menschenmenge. Neben zahlreichen Militärangehörigen, die "zur Abschreckung" hierher beordert worden sind, verfolgen auch neugierige Passanten mit Kindern die Hinrichtung. Die drei Verurteilten werden direkt vor dem beliebten Kaffeehaus an der Nordseite des Platzes erhängt. Auf Befehl von Gauleiter Jury belässt man die Leichen drei Tage am Galgen.

Der Südtirolerplatz in Krems.
Foto: Privat

Die letzten Tage

Im Zuge der "Erhebungen" der Gestapo ergeben sich zusätzliche Verdachtsmomente wegen Unterschlagung von Wehrmachtseigentum. Drei weitere Mitglieder der Wachmannschaft werden deshalb vom Standgericht zum Tode verurteilt und am 29. April 1945 erschossen.

Formal übernimmt ein Gestapo-Beamter das Kommando über das Stalag XVII B. Da er nur sporadisch anwesend ist, liegt die Befehlsgewalt de facto bei drei Unteroffizieren der Wehrmacht, die allesamt zum Kreis verlässlicher Nationalsozialisten unter der Wachmannschaft zählen.

Rund um das Lager beziehen Flakbatterien Stellung und liefern sich nächtliche Artillerieduelle mit der bereits südöstlich von Krems aufmarschierten Roten Armee. Der heftige Beschuss zwingt die Kriegsgefangenen stundenlang in Splitterschutzgräben Deckung zu nehmen. Am Lager bewegen sich in langen Kolonnen abgekämpfte Einheiten der Waffen-SS und Wehrmacht vorbei, die aber zum Glück von den hinter Stacheldrahtverhauen festgehaltenen Gefangenen keine Notiz nehmen.

Am 8. Mai 1945 verstummt plötzlich gegen Mittag der Gefechtslärm, Kurtenbach beschreibt die Szenerie:

"Upon emerging from the slit trenches we discovered that not one single German soldier was in sight, […] our single guard at the gate had disappeared. We […] simply stood about, slowly moving about the camp […]. There were no shouts of joy, we simply did not speak to one another."

Erst am Abend des Folgetages betreten Soldaten der Roten Armee das Lager. Die Freude über die Befreiung hält allerdings nur kurz an. Die Lagerinsassen dürfen auf Anordnung der Sowjets zwar tagsüber das Areal verlassen, nachts müssen aber alle "aus Sicherheitsgründen" in den Baracken bleiben.

Keine Erinnerung

Knapp eine Woche nach Kriegsende erreicht schließlich ein Fahrzeugkonvoi der US-Armee Gneixendorf. Sämtliche Amerikaner und einige Franzosen werden unter großer Eile auf Lastwagen und Sanitätsautos verladen und nach Oberösterreich transportiert. Die übrigen westlichen Kriegsgefangenen aus dem Stalag XVII B sammelt die Rote Armee am 29. Mai in Gmünd, wo sie Vertretern der Herkunftsländer übergeben und in weiterer Folge repatriiert werden. Gänzlich andere Erfahrungen machen allerdings die befreiten sowjetischen Kriegsgefangenen, die sich Verhören ihrer eigenen Geheimpolizei unterziehen müssen, da sie Stalin als "Verräter" betrachtet. Einige landen später erneut in Internierungslagern.

Wer in der Gegenwart bei Gneixendorf nach Spuren des ehemaligen Lagerareals sucht, wird lediglich auf ein paar Erinnerungsplaketten alliierter Veteranengruppen stoßen. Wo früher Baracken Reihe an Reihe standen, befinden sich heute landwirtschaftliche Flächen und ein Sportflughafen.

Den Einheimischen und Touristen bleibt am Kremser Südtirolerplatz eine Auseinandersetzung mit der Vollstreckung des Schandurteils an Hauptmann Schweiger und seinen Kameraden an diesem Ort erspart. Die einzige einschlägige Tafel am Platz ehrt ausgerechnet einen bei Stalingrad gefallenen Wehrmachtsgeneral. (Karl Reder, 8.5.2021)