Die deutsche Autorin und Mutter Mareice Kaiser schreibt von dem Gefühl, weder dem Job noch dem Kind, noch sich selbst gerecht zu werden – also einfach nirgends genug zu sein.

Foto: Leah Kunz

Mutter zu sein ist wundervoll und zugleich verdammt anstrengend. Es bedeutet, nie allein zu sein, ein paar Jahre nicht durchzuschlafen und mit ständigen Sorgen zu leben. Eine permanente Ambivalenz.

An dieser Ambivalenz haben sich schon einige Schriftstellerinnen abgearbeitet. Einige Leserinnen und Leser kennen vielleicht "Lebenswerk" von Rachel Cusk oder "Stillleben" von Antonia Baum. Aktuell schrieb sehr eindrucksvoll die deutsche Journalistin Mareice Kaiser über die Sorgen und Nöte der heutigen Mütter. Kaiser ist Chefredakteurin des feministischen Online-Magazins "Edition F" und Kolumnistin. Ihr kürzlich erschienenes Buch hat sie "Unwohlsein der modernen Mütter" genannt.

Unwohlsein, das ist ein Begriff, den manch einer vielleicht zuerst mit Magenbeschwerden nach einem fettigen Essen in Zusammenhang bringen würde. Für Kaiser ist es aber genau das perfekte Wort, denn: "Im Unwohlsein stecken ganz viele Ausprägungen von dem Gefühl: Etwas stimmt nicht", wie die Autorin im Interview erklärt. Eben, weil der Begriff so uneindeutig ist, sei er gleichzeitig so passend. Entlehnt hat sie den Begriff einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Demnach verschlechtert sich das Leben für 30 Prozent der befragten Mütter in den sieben ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes deutlich.

Die Gründe dafür schildert Kaiser in Kapiteln mit Überschriften wie "Die Arbeit", "Das Geld", "Die Psyche", "Der Sex" und "Die Anderen". Sie schreibt, dass es einerseits der Druck und die vielen Erwartungen sind, die Mütter kaputtmachen. Ein Anspruch an ein Bild, dem niemand gerecht werden könne. Niemand könne gleichzeitig eine fürsorgliche Mutter, eine Arbeitnehmerin, die maximale Leistung bringt, eine heißblütige Geliebte, eine gute Freundin und auch noch ehrenamtlich engagiert. Ist eine Mutter Single, präsentiert sie sich am besten auch noch als "Milf" ("Mother I'd like to fuck). Das Mutterideal sei unerreichbar und teilweise voller Widersprüche.

Immer entspannt lächeln

Wenn es darum geht, wie eine Mutter sein soll, wisse es jeder am besten. Schon wenn sich der Bauch wölbt, bekommt eine Frau ungefragt Lektionen erteilt, nach der Geburt geht es dann erst so richtig los. Kaiser beschreibt, wie plötzlich jeder Experte für gesundheitliche und pädagogische Fragen ist und seine Meinung sagt, ob sie nun gefragt ist oder nicht.

Mit den Erwartungen an die moderne Mutter und ihrem harten Aufprall auf dem Boden der Realität geht es auch nach dem Wochenbett weiter: genug Milch produzieren, nicht mit der Flasche füttern. Besser mit Stress umgehen lernen, den Schlafentzug bitte nicht so nach außen zeigen. Gute Laune haben. Keine Wegwerfwindeln benutzen, später nur selbstgekochten Brei geben, aus Biogemüse natürlich. Bloß keinen Schnuller geben! (...) Auch mal wieder Make-up verwenden. Beckenbodentraining machen. Und dann schnell mit dem Kind zum Babyschwimmen. Und alles immer: ganz entspannt. Lächeln! Eine gestresste Mutter ist keine gute Mutter. (S. 85)

Von Müttern werde erwartet, dass sie gut drauf sind und allen gerecht werden. Das ist harte Arbeit, wie Kaiser in Erinnerung ruft. "Emotional Labour" ist der Fachbegriff für das, was Mütter tagtäglich leisten. Sie trösten, sorgen für Harmonie, kümmern sich. Sie leisten viele Stunden unbezahlte Care-Arbeit oder Sorgearbeit, eine "existenzielle" Arbeit, "die gemacht werden muss, damit wir alle gut leben können". Und bekommen dafür kaum Anerkennung, prangert die Autorin an.

Es sind aber auch die Diskriminierung in der Arbeitswelt, die Kaiser für das Unwohlsein der modernen Mutter verantwortlich macht: Nach der Karenz nicht in den alten Job zurückzukönnen oder nicht mehr ernst genommen zu werden und kaum mehr Aufstiegschancen zu haben.

Mutterschaft ist noch immer ein Stigma, vor allem beruflich. Dahinter steckt ein strukturelles Problem. Eine Schwangerschaft wird noch immer als «Karriereknick» wahrgenommen. Selbst wenn Arbeitnehmerinnen keine Kinder wollen – wenn sie eine Gebärmutter haben, werden sie von Arbeitgeber*innen so behandelt, als würden sie damit auch das tun wollen, was Menschen mit Gebärmutter nun mal tun sollen: gebären. (S. 49/50)

Auf den 130 Seiten teilt Kaiser auch sehr persönliche Erfahrungen. Teilweise sind es Erfahrungen, die wohl jede Frau kennt, wie etwa, ständig mit Schönheitsidealen konfrontiert zu werden, bei Dates, aber auch auf Instagram & Co. Sie beschreibt, wie Frauen in Beziehungen immer noch eher die sind, die putzen und kochen. Sie tragen häufiger die "Mental Load", behalten also den Überblick über den gemeinsamen Haushalt, was Energie kostet. Sie sind es, die sich um die meisten Geburtstagsgeschenke kümmern, den Seifenspender auffüllen und den Fettfleck vom Herd wischen.

Überall nur halb

Aber vor allem schildert die Autorin Erfahrungen, die besonders Mütter kennen – zum Beispiel, wie schwierig es ist, die eigene Berufstätigkeit mit der Familie zu vereinbaren. Wie es ist, wenn ein Text fertig werden soll, und die Tochter sich im Kindergarten den Finger gequetscht hat und nur noch zur Mama will. Sie schreibt von dem Gefühl, weder dem Job noch dem Kind, noch sich selbst gerecht zu werden, also einfach nirgends genug zu sein. Als Mutter sei man "überall immer nur halb, niemals ganz". Sie schreibt auch über die Scham, das Kind als Letzte vom Kindergarten abzuholen, weil sie ihre Arbeit fertig machen musste.

Teile des Buches sind im Stakkato-Stil geschrieben, was wohl zeigen soll, wie getaktet der Alltag von so mancher Frau und Mutter ist. Da ist eine ständige innere To-do-Liste, die stets vor dem geistigen Auge abspult. Kaiser schreibt, als würde ihr Leben manchmal einfach nur vor sich herlaufen, und sie ist nur dabei.

Ich mache Überweisungen, ich mache mir Gedanken. Ich habe Sex, ich habe Hunger, ich will alles verstehen. Ich rede, ich höre zu, ich unterbreche, und ich lasse mich unterbrechen. Ich räume die Spülmaschine ein und die Waschmaschine aus. Ich sollte meine Eltern mal wieder anrufen. Ich mache mir Sorgen, ich mache mir ein Brot. Ich hole mein Kind von der Schule ab, ich bestelle Dinge, ich putze das Klo. (S. 7)

Zugespitzt habe sich die Situation der Mütter in der Corona-Krise, in sie geforderter sind denn je. Von der Politik wurden sie vergessen, kritisiert Kaiser. "Anstatt zu besprechen, was den Familien helfen könnte, wurde diskutiert, wann wieder Fußball gespielt werden kann oder die Autohäuser öffnen." Das liege daran, dass Politik meist von Männern gemacht werde. Sie hätten entweder schon erwachsene Kinder oder mit der Kinderbetreuung nicht viel zu tun.

Was es bräuchte, damit es der modernen Mutter besser geht? Auch dafür hat Kaiser Vorschläge parat. Sie fordert eine Arbeitszeitverkürzung, verlässliche Kinderbetreuung und dass Männer ganz selbstverständlich Fürsorgearbeiten übernehmen.

Die gute (!) Ganztagsbetreuung mit gut (!) bezahlten Fachkräften muss her. Mindestens genauso schnell wie Väter, die selbstverständlich Fürsorgearbeiten übernehmen, und Menschen, die die menschenfeindliche 40-Stunden-Woche hinterfragen. (S. 57)

Politik, so ihr Appell, sollte sich an alleinerziehenden Müttern ausrichten. "Wenn man die Rahmenbedingungen rund um diese Frau bastelt, können auch alle anderen gut leben, auch die Menschen ohne Kinder", sagt Kaiser. "Wichtig wäre, sich zu überlegen, wie viel eine Alleinerziehende arbeiten kann, um trotzdem noch genug Zeit ihre Kinder und sich selbst zu haben."

Es sollte kein Tabu sein, sich als Mutter zu beschweren. "Es muss akzeptiert sein, die eigene Ambivalenz anzusprechen und zu sagen: Ich liebe mein Kind – und gleichzeitig ist alles ganz schön anstrengend und ich nicht immer glücklich. Denn das Unwohlsein resultiert auch daraus, dass gewisse Themen überhaupt nicht besprochen werden", sagt Kaiser. "Wenn man etwas bespricht, wird es leichter." Ihre Forderung: Mütter müssen laut sein, und es muss ihnen auch zugehört werden, damit sich etwas verändert. (Lisa Breit, 9.5.2021)