Das Schnitzel gehört zu Österreich wie der Schanigarten und der Heurige, wo ein wienerisches Idiom gesprochen wird. Gehört dieses nun aber zu einer deutschen oder zu einer österreichischen Standardsprache?

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Warum sprechen die Österreicher nicht ihr eigenes Deutsch? Warum müssen sie, wenn sie "schön sprechen" sollen, eine Hochsprache verwenden, die nicht voll und ganz die ihre ist? Warum wird den Menschen eingeimpft, dass ein deutsches Deutsch besser ist als das österreichische? Warum muss man mit diesem linguistischen Minderwertigkeitskomplex leben?

Das sind Fragen, die den Anglisten und Germanisten Stefan Dollinger umtreiben. In seinem vor kurzem erschienenen Buch "Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich?" erklärt er in einer Vielzahl von Argumentationslinien, warum es eine "österreichische Varietät der Standardsprache", also eine – bewusst großgeschriebene – Österreichische Hochsprache braucht, die sich abgekoppelt von Duden und Co eigenständig entwickeln kann. Dass viele der vermeintlichen österreichischen Standardformen in der Germanistik lediglich als Dialektausdrücke betrachtet werden, findet er von Grund auf falsch.

Forderung des "Schönsprechens"

Viele Menschen in diesem Land können Anklänge an diesen Gedanken in ihrer eigenen Biografie finden: typischerweise in der Schule, wo Dialekt vielleicht verpönt war und wo mit der Forderung des "Schönsprechens" ein deutscher Sprachimport gemeint war.

Dollinger selbst erinnert sich in seinem leicht lesbaren Buch, das neben seinen wissenschaftlichen Perspektiven viele Exkurse und persönliche Anekdoten bereithält, an einen seiner Lehrer, der den Duden für einen Porsche hielt, das Österreichische Wörterbuch aber lediglich für einen VW-Käfer.

Ein zentrales Argument Dollingers ist, dass die Etablierung einer eigenen Standardvarietät nicht nur eine linguistische, sondern vor allem eine soziopolitische Angelegenheit ist. Dafür gebe es viele historische Beispiele – etwa die Abspaltung des Niederländischen oder des Luxemburgischen vom Deutschen oder die Herausbildung der verschiedenen Landesvarietäten, die das Englische in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat, vom Amerikanischen über das Kanadische bis zum Jamaikanischen Englisch – ein Bereich, in dem der Anglist viel geforscht hat.

Machtverhältnisse

Es braucht hier den nationalen Rahmen, sowohl den identitätsstiftenden Charakter als auch die Macht, per Schulbildung und Amtssprache Einfluss zu nehmen. Man müsse Meister im eigenen Haus sein, um das Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich kosmopolitisch gegenüber der Welt zu öffnen, schwingt hier mit.

Auf den Punkt gebracht werden die Zusammenhänge von einem Satz, den der Linguist Max Weinreich verbreitet hat und der Dollinger besonders wichtig ist: "Eine Sprache ist ein Dialekt mit einem Heer und einer Kriegsflotte." Standardsprachen seien immer künstlich geschaffene Sprachen, und sie bilden Machtverhältnisse ab.

Dollingers Argumentation fußt zudem auf der Theorie die Plurizentrik, für die die Herausbildung mehrerer Standards – wie im Englischen – eine ganz natürliche Sache ist. Auch im Deutschen gebe es laut Dollinger also keine monolithische Einheitssprache mit ihren regionalen Dialekten, sondern auch hier mehrere Standards, deren Formen und Dialekte sich zum Teil auch überschneiden.

"Gewand" bis "Topfen"

Die Österreicher sollen ihr "Gewand", ihren "Fleckerlteppich", ihren "Topfen" und ihren "Jänner" also nicht geringschätzen. Sie sollen sogar selbstbewusst "der Virus" sagen dürfen, selbst in wissenschaftlichen Kontexten. Auch ein herzhaftes "Eh!" oder "Das geht sich aus" seien keine minderen Formen, sondern haben durchaus Standardsprachen-Potenzial.

Dass Dollinger in seinem Buch frei von der Leber weg – und auch durchaus konfrontativ gegenüber der österreichischen Germanistik – argumentieren kann, hat wohl auch damit zu tun, dass er nicht in Österreich forscht. Er ist Professor an der University of British Columbia in Vancouver in Kanada.

Geprägt von den Entwicklungen in den englischen Sprachräumen, attestiert er zumindest einem Teil der einschlägigen Forschung in Österreich Konservativismus, Ignoranz – und bundesdeutsche Einflussnahme. Es gehe nicht nur um das Quantifizieren von Unterschieden zwischen verschiedenen Sprachräumen, sondern die österreichische Standardsprache habe mit Identität, kulturellem Selbstverständnis und Emanzipation zu tun. (Alois Pumhösel, 11.5.2021)