Qui? Am 5. Mai 1821 starb Napoleon Bonaparte auf der Insel St. Helena: Anlass genug für eine Erinnerung aus Kindheitstagen.

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Mag ein Staatenlenker wie Österreichs amtierender Bundeskanzler in den Augen der Seinen wie geschliffener Türkis glänzen: als gekrönten jungen Kaiser vermag man sich den hochgewachsenen Meidlinger, trotz seines gut gesalbten Haupthaars, kaum vorzustellen. In den ein wenig nachkriegsgrauen Tagen der frühen Ära Kreisky begegnete man Potentaten aufmerksam freundlich, aber doch mit erprobter republikanischer Zurückhaltung. Undenkbar etwa, dass die hinreißend bodenständige Gemahlin von Bundespräsident Franz Jonas (SPÖ) gemeinsam mit Schah Reza Pahlavi eine kesse Sohle auf das stark knarrende Parkett der Wiener Hofburg gelegt hätte.

Auch sonst stillte Nachkriegsösterreich seine monarchischen Gelüste mit Ersatzstoffen: dem Muckefuck königlicher Garderoben. Deren abgegriffener Glanz schmückte Illustrierte, die in den Jahren um 1970 in den Wartezimmern kettenrauchender Allgemeinmediziner zu Tausenden auflagen. Immerhin: Einem Charismatiker wie Bruno Kreisky schien die monarchische Allüre nie fremd. Stach ihn der Hafer, so kanzelte er Zentralsekretäre und begriffsstutzige Politikjournalisten gleichermaßen ab.

Hatte ich das aristokratische Prinzip mit dem republikanischen leichtfertig verwechselt? Ich, ein dicklicher Babyboomer, hatte mich als Achtjähriger unsterblich in Napoleon Bonaparte verliebt. An den vielen volkstümlichen Darstellungen des Korsen gefiel mir ausgerechnet derjenige Wesenszug, der ihn bestimmt am wenigsten ausgezeichnet hat: das Wohlmeinende, Rechtschaffene und Verschmitzte. Dazu kam der bedeutende Umstand, dass Bonaparte, indem er wie ein flammender Komet über Europa hinwegbrauste, trotz aufreibender Feldzüge und schauerlicher Verpflegung immer kugelrunder wurde. Hurra: Eine bedeutende Karriere als beliebter Beleibter schien möglich!

Gestopft wie eine Gans

Ich verschlang sämtlichen Lesestoff zum Thema Bonaparte, den meine Erzeuger vorrätig hielten. Solchermaßen gedopt, mit Geschichtspartikeln wie eine Weihnachtsgans gemästet, legte ich mich eines Winterabends auf den elterlichen Kelim. Ich begann, in einen alten Buchkalender die Biografie des Korsen, wie es sich gehörte, von Anfang an niederzulegen: "Wie bekannt ist, war Napoleon auf Korsika geboren…". Man sieht: Über Fragen der Zeitenfolge setzte ich mich souverän hinweg.

Muss ich betonen, dass mich Heranwachsenden besonders die Schlachten betrafen: dass mich die Abfolge der Metzeleien, die viele Hunderttausende das Leben kostete, wie ein Mahlstrom fortriss? Dass ich den Unfug mit Plastiksoldaten nachstellte? In meinem handschriftlichen Buch brachte ich es auf rund neunzig Seiten; Napoleon hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Spanien erobert und verfing sich mitsamt seinen Rekruten in der Unwegsamkeit der iberischen Halbinsel.

War es der Unanschaulichkeit des Sujets geschuldet oder nicht; meine Aufzeichnungen versandeten nach eineinhalb Jahren, ich verlor die Übersicht (und die Geduld). Bislang war die Bonaparte-Prosa von so namhaften Biografen wie Friedrich Sieburg oder Dmitri Mereschkowski wie Sirup in mich eingesickert. Jetzt, als Zehn-, Elfjährigen, interessierte mich der x-te Aufguss nicht mehr. Mein Vater, ebenso befremdet wie von meinem Gekritzel geschmeichelt, reichte die Abschrift sogar an einen Verlag weiter.

Napoleons Fingerzeig

Das ehrwürdige Haus riet freundlich, "das Augenmerk des gewiss hochbegabten jungen Autors besser auf altersgemäße Themen zu lenken". Was ich später über Napoleon noch alles lernen sollte – Vollender und Liquidator der Französischen Revolution – wich der um so vieles wichtigeren Frage: Wie bekomme ich den Bauch weg?

Ganz allmählich begriff ich: Die Mädchen, denen ich imponieren wollte, verlangten gar nicht von mir, dass ich in Russland einmarschiere. Das hatten mein Vater und seine Kameraden schon für mich erledigt. (Ronald Pohl, 5.5.2021)