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Es haben in Österreich wahrscheinlich noch nie so viele junge Menschen über die Ozeane und das Essen von Fisch geredet wie jetzt gerade. Verantwortlich dafür: "Seaspiracy", ein Film, der heuer wochenlang die Netflix-Charts anführte. Ein junger Mann sammelt, besorgt um den Planeten, Plastik am Strand, bis er merkt: Auf den Weltmeeren läuft eine große Verschwörung. Sein Schluss: Er wird nie wieder Fisch essen. Das greift zu kurz, aber die Doku legt den Finger auf eine große Wunde: Das Meer braucht Hilfe.

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Ein noch intaktes Korallenriff vor Indonesien. Korallenriffe leiden weltweit an Überfischung, aber auch an der Erwärmung der Ozeane.
Foto: imago images/StockTrek Images

Auf den Film jetzt im Detail einzugehen spare ich mir: Das hat der Meeresbiologe Daniel Pauly hier ausführlich getan. Wichtig ist aber: Den Ozeanen geht es sehr schlecht, und alles, was auf die missliche Lage vieler Arten und Ökosysteme dort aufmerksam macht, hilft. Wie auch am Land sorgen Wirtschaft und Politik, die an heute statt an morgen und an sich statt an alle denken, für Probleme. Viele Meere sind überfischt, mit Plastikmüll verschmutzt, übersäuert und voller Dünger, der zu Totzonen ohne Sauerstoff führt, geplagt von Hitzewellen ...

Dabei sind die Lösungen für viele der Probleme relativ klar: Keine davon ist, dass Netflix-Abonnentinnen und Abonnenten auf Fisch verzichten. Das eigene Verhalten zu ändern kann sehr wohl die Politik beeinflussen. Fleisch hat etwa massive Auswirkungen auf die Umwelt. Wenn aber ordentlich gefischt wird, können die Umweltfolgen von Fisch relativ gering sein – in einer Welt mit künftig zehn Milliarden Menschen nicht unbedeutend.

Einbrüche von Fischpopulationen

Wer die Zahlen liest, muss aber erstmal schlucken: Große Raubfische wie Lachs, Thunfisch oder Haie sind in den vergangenen 100 Jahren um 90 Prozent weniger geworden. Ihre Biomasse, also das Gewicht, ist in der Nordsee um etwa 97 bis 99 Prozent gesunken. Im Nordatlantik: minus 89 Prozent. Am Golf von Bohai in China: minus 99 Prozent. Haie im Golf von Mexiko: minus 99 Prozent.

Der Grund hinter diesen erschreckenden Zahlen heißt in der Ökonomie die Tragödie der Allmende: Der Fisch im Meer gehört eigentlich niemandem. Das ist ein bisschen so, als könnte ein Bauer in den Stall anderer Bauern gehen und sich die Schweine mitnehmen. Alle fischen so viel und schnell wie möglich, bevor der Fisch ausgeht. Schon jetzt müssen Schiffe immer weiter hinaus und tiefer hinab, um Geld zu machen – ohne Förderungen wäre etwa die Fischerei in den Niederlanden heute nicht mehr profitabel, sagt Gerhard Herndl, Leiter des Departments für Meeresbiologie an der Universität Wien, der dort zwölf Jahre geforscht hat.

Ein deutscher Fischer bringt Heringe an Land.
Foto: imago/Jens Koehler

Das ist alles ein Problem, weil irgendwann der Fisch ausgeht, Arten aussterben – etwa 25 Prozent der Haiarten gelten als gefährdet– und weil die Ökosysteme des Ozeans gestört werden, die komplex miteinander verwoben sind. Helfen könnten beispielsweise Fangquoten, temporäre Fangstopps und eine massive Ausweitung von Schutzgebieten, in denen gar nicht oder drastisch weniger gefischt wird. Wie das geht, weiß man längst.

Der Hering in der Nordsee – bei Deutschen beliebt als Matjes – wird nachhaltig befischt, das heißt, das nicht mehr entnommen wird, als nachwächst. Für das erste Quartal 2021 dürfen deutsche Fischer 9.851 Tonnen Hering fischen. "Das funktioniert derzeit bei einzelnen Arten, auch beim Thunfisch im westlichen Mittelmeer. Wenn es gute Regularien gibt, erholen sich die Populationen", sagt der Biologe Herndl. So hat sich während der beide Weltkriege die Population der Grundfische in der Nordsee verzwei- bis vervierfacht, weil weniger gefischt wurde. Nicht alle, aber viele Fische erholen sich im Bestand, lässt man sie in Ruhe.

Fortschritte im Meer

Bessere Regeln halfen auch in den USA: Dort waren 2015 nur mehr 16 Prozent der Bestände überfischt, 2000 waren es 38 Prozent. Die Zahl gefährdeter Meeresarten ist global seither ebenfalls gesunken, weil es mehr Schutz gibt, von 18 auf 11,5 Prozent. Der Buckelwal war kurz vor dem Aussterben und ist von ein paar hundert auf über 40.000 gewachsen. Viele Schildkrötenpopulationen gelten noch als gefährdet, sie wachsen aber ebenso. Seit den 1990er Jahren ist der Fischfang in den Weltmeeren sogar etwas gesunken, heute kommt mehr als die Hälfte des weltweiten Fischs aus Aquakulturen.

Statt Wildfang gibt es also quasi immer mehr "Landwirtschaft" in den Meeren. Das nimmt Druck von Beständen, ist aber nicht automatisch nachhaltig. Noch wird oft Fischmehl und -öl verfüttert, das wiederum aus Wildfang besteht. Als nachhaltigeren Ersatz haben Forscher Seetang vorgeschlagen. Das Kot der Fische, die in großen Massen auf einem Fleck sind, sammelt sich am Boden als Faulschlamm. In Österreich gibt es Süßwasser-Aquakulturen, wo sich das Kot im Bach verdünnt, das sei die nachhaltigste Variante, so der Biologe Herndl.

Auch bei den Meeresschutzgebieten gibt es Fortschritte. Derzeit ist 2,7 Prozent der Fläche des Meeres Schutzgebiet, sieben Prozent sind in Summe bereits als solche bestimmt. Das ist relativ neu: Im Jahr 2000 waren es nur 0,003 Prozent. Vor fünf Jahren wurde das Rossmeer vor der Antarktis als größtes Meeresschutzgebiet der Welt geschaffen, knapp die Hälfte davon darf 35 Jahre lang nicht kommerziell befischt werden. Wie am Land hat auch auf den Ozeanen ein Staatenbündnis zum Ziel, 30 Prozent der Fläche bis 2030 zu schützen.

Teil sind etwa Deutschland, Japan und Frankreich. Auch ein UN-Abkommen über den Schutz der marinen Biodiversität wird derzeit verhandelt, "da könnte das 30 Prozent-Ziel eventuell enthalten sein", sagt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot. Die EU würde das Abkommen aktiv vorantreiben, die USA seit Präsident Joe Biden ebenfalls, bremsen würden eher China und Russland. Letzteres wolle im Abkommen nicht einmal den Klimawandel erwähnen.

Die Lösungen für das Überfischungsproblem gibt es also, sie müssen nur stark ausgeweitet werden: etwa Fangquoten, Schutzgebiete, Artenschutz und nachhaltigere Aquakultur.

Die Ozeane werden mit Plastik zugemüllt.
Foto: imago images/Ardea

Neben der Überfischung ist das wohl bekannteste Problem der Ozeane die Verschmutzung mit Plastik. Etwa acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich im Meer. Öffentlich weniger bekannt ist, woher das Plastik großteils kommt: Vor allem Länder des globalen Südens mit mangelnder oder nicht vorhandener Abfallwirtschaft sind dafür verantwortlich. Eine Studie hat das anhand des Mülls, der im Umfeld von 50 Kilometern der Küste anfällt und schlecht gemanagt wird, berechnet: 71 Prozent des Plastikmülls kommen aus Asien, 17 Prozent aus Afrika und dem Nahen Osten.

Plastikstrohhalme in einem Kaffeehaus in Wien sind auch nicht nachhaltig, sie sind aber nicht für das Plastikproblem der Weltmeere verantwortlich. Reiche Länder wie die USA oder Deutschland exportieren aber einen Teil ihres Plastikmülls. Bis China die Einfuhr verbot, haben die USA knapp eine Million Tonnen exportiert. Im Vergleich ist das wenig: Insgesamt fallen etwa 100 Millionen Tonnen Plastikmüll in Küstennähe an, die für das Meer relevant sind. Um das Problem zu lösen, braucht es also bessere Abfallwirtschaft in ärmeren Ländern.

Sauerstoffmangel im Meer

Auch mehr Kläranlagen im globalen Süden, aber auch anderen Staaten, wären dringend notwendig. Denn immer mehr Gebiete im Meer werden zu Totzonen, wo kein Leben mehr existiert: Stickstoff und Phosphor sorgen nicht nur in der Landwirtschaft für mehr Ernte, sie kurbeln auch das Wachstum von Algen im Meer an, wenn sie über Flüsse dorthin gelangen. Die Algen werden von Bakterien zersetzt, die dabei Sauerstoff verbrauchen, der dann fehlt.

Es gab 2008 bereits 405 solcher Totzonen im Meer, in der keine Muscheln, Seesterne oder Fische mehr leben können. In der Ostsee gehen 14 Prozent des Abwassers unbehandelt ins Meer. Im Mittelmeer sind es 53 Prozent und in Südasien 85 Prozent. Diese sogenannte Eutrophierung ist aber auch ein Phänomen in der Nähe reicherer Länder. In Deutschland wurde der Eintrag stark gesenkt, trotzdem befindet sich in der Ostsee die größte Totzone des Weltmeeres mit einer Fläche von 84.000 Quadratkilometern.

Klimawandel setzt Meer zu

Dazu kommt noch der Klimawandel: 90 Prozent der Erwärmung der Erde findet im Meer statt. Korallenriffe halten aber kein Wasser über 30 Grad aus, viele sterben deshalb ab. Fische wandern wegen der steigenden Temperaturen Richtung Norden, wo sie nicht an die Bedingungen angepasst sind. Das Meer ist wegen der hohen CO2-Emissionen außerdem gerade dabei, zu versauern. Das ist für viele Organismen wie Schnecken, Muscheln, teilweise auch Fische schlecht, die Kalkschalen bilden. Weil warmes Wasser weniger Gase halten kann als kaltes, führt die Erwärmung der Ozeane auch dazu, dass weniger Sauerstoff im Meer ist.

Unter dem Strich ist das Meer also gerade dabei, zu einem ziemlich unwirtlichen Ort zu werden. Auch der wichtige Golfstrom schwächt sich stark ab. Darunter versteht man riesige Mengen Wasser, die quasi wie ein Förderband Wärme aus den tropischen Regionen in arktische bringen. Reißt er ab, würden sich die Tropen noch mehr aufheizen und die Polarregionen sehr viel kälter werden, sagt Gerhard Herndl. Die Folgen für das globale Klima wären unabsehbar. Forscher warnen, dass der Kipppunkt bald erreicht sein könnte. Das hieße: es gibt kein zurück.

Noch ist es aber nicht zu spät. Erneuerbare Energien sind für die Klimakrise, was Schutzgebiete für die Weltmeere sind: eine erprobte Lösung. Gegen den Plastikmüll springt derweil eine NGO in die Presche. Weil sich eine ordentliche Abfallwirtschaft nicht so einfach organisieren lässt, reinigt die NGO Ocean Cleanup Meer und Flüsse. Der Müll wird mit Katamaranen aus den Flüssen geholt, die automatisch Container befüllen. Das ist wesentlich effizienter, als erst im Meer oder an der Küste das Plastik zu suchen.

Im nächsten Beitrag geht es darum, wie wir unseren Verbrauch an Boden verringern können, der der Umwelt stark zusetzt. Wenn Sie sich für den Gratis-Newsletter anmelden, schreibe ich Ihnen, sobald er erscheint. (Andreas Sator, 16.5.2021)