Buchautor Ronen Steinke.

Foto: Peter von Felbert

Der Antisemitismus ist in den vergangenen Jahren in Österreich wieder sichtbarer und aggressiver geworden. Dies zeigt der kürzlich veröffentlichte "Antisemitismusbericht 2020" der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Demnach gab es im vergangenen Jahr mindestens 585 judenfeindliche Vorfälle, darunter auch tätliche Angriffe. Der Bericht dokumentiert auch, dass Antisemitismus in allen Bevölkerungsschichten und in allen politischen Lagern zu finden ist. Wie im Alltag antisemitisches Gedankengut transportiert wird, zeigt der Journalist und Buchautor Ronen Steinke in seinem im Duden-Verlag erschienen Buch "Antisemitismus in der Sprache" auf.

Steinke will damit sensibilisieren. Für ihn ist Sprache nämlich auch ein Instrument, um eine "gesellschaftliche Abwertung" zu verstärken. Sie schafft den Boden, der zu "Gewalt und schärferer Ausgrenzung" führt, wie er sagt. Dazu zeigt Steinke in seinem Buch auf, dass die Abwertung von jüdischen Menschen ein Teil des kulturellen Vokabulars ist. So hat schon das Wort "Jude" für vielen Menschen einen negativen Klang. Das liegt auch daran, dass es schon in Grimms Wörterbuch 1877 als "der, welcher gewinnsüchtig und wucherisch verfährt" aufgeführt wird. Und zwar losgelöst von der jüdischen Religion. Damit wurde ein neutrales Wort zu einem Schimpfwort gemacht, das es für viele Menschen noch immer ist. Steinke tritt dafür ein, es zu verwenden. Er sagt gerne, "ich bin Jude". Steinke tritt auch für die Verwendung jiddischer Wörter ein, da "Tacheles", "meschugge", "Chuzpe" oder "Schlamassel" meist charmanter als die deutschen Wörter klingen. Deren Verwendung sei ein schönes Kompliment an das Jiddische.

"Mauscheln" und "Mischpoke"

Schwierig wird es allerdings, wenn jiddische Worte im Deutschen einen Bedeutungswandel erfahren haben und judenfeindlich aufgeladen sind. Wie "Mauscheln" beziehungsweise "Mauschelei". Diese beiden Wörter werden in Deutschland und Österreich gerne verwendet, wenn es um Korruption oder illegitime Absprachen geht. Der Ausdruck entstand im 17. Jahrhundert und wurde von Mauschel, einer jiddischen Form des Vornamens Moses abgeleitet, der damals als Spottname für arme Juden oder jüdische Händler verwendet wurde. So wie heute Türken abwertend als "Ali" bezeichnet werden. Mauscheln bedeutet: reden wie ein Jude. Und sollte daher nicht mehr verwendet werden, sagt Steinke.

Auch das Wort "Mischpoke" wird vielfach abschätzig verwendet, um eine "dubiose Gruppe" zu beschreiben und verbreitet so einen Klang der Anrüchigkeit. Im Jiddischen heißt es einfach Familie.

Ronen Steinke,
Antisemitismus in der Sprache: Warum es auf die Wortwahl ankommt
64 Seiten, Softcover
978-3-411-74375-9
8,90 Euro
Foto: Duden

Der Autor widmet sich auch dem Begriff "Semiten". Auf die Idee, Juden und Jüdinnen als "Semiten" zu bezeichnen, kamen Judenfeinde. Der Ausdruck wurde im 19. Jahrhundert von deutschen Rassenkundlern erfunden, als sich der religiöse Judenhass zunehmend ins Rassistische wendete. Die Propagandisten dieser neuen Ideologie suchten nach neuen Vokabeln, um auch nichtreligiöse Menschen und Konvertiten, etwa den Dichter Heinrich Heine, anzufeinden und zu Fremden machen können.

Pseudowissenschaftler konstruierten eine "Rasse"

Ursprünglich kommt der Begriff aus der Sprachwissenschaft, semitische Sprachen werden von Äthiopien bis Malta gesprochen. Daraus wurde von den Pseudowissenschaftern eine "Rasse" konstruiert. Der bekannte und oft bemühte Satz "Araber können keine Antisemiten sein, weil sie selbst Semiten sind" ist falsch, da Araber nie mitgemeint waren. Die Nationalsozialisten haben sogar ihre Regierungsstelle "Antisemtische Aktion" in "Antijüdische Aktion" umbenannt, damit klar war, dass es ihnen nicht um Araber ging. Auch in den Zeitungen der Nationalsozialisten wurde auf diese Feststellung Wert gelegt.

Steinke verwendet hingegen das Wort "Antisemitismus" als Bezeichnung für treffende Bezeichnung für Judenfeindlichkeit, auch wenn bei diesem Wort mitschwingt, dass Juden eine Rasse, eben "Semiten", seien – "was ein Problem ist", wie Steinke sagt. Aber es habe mittlerweile seine einstige Wirkung verloren. Das Wort wurde ebenfalls von Judenhassern als eine Art Marketingbegriff extra von Judenfeinden designt, erklärt Steinke.

Dem Autor gelingt es in dem 63-Seiten Buch kompakt zu erklären, warum es auf die Wortwahl ankommt. Seine Ausführungen sind auf dem Stand der Wissenschaft und liefern eine wertvolle Grundlage, wenn es darum geht, Antisemitismus zu bekämpfen. (Markus Sulzbacher, 9.5.2021)