Die virtuelle Rekonstruktion des kindlichen Skeletts in seinem Grab.
Bild: Jorge González/Elena Santos

Die Höhle Panga ya Saidi in Kenia befindet sich lediglich 15 Kilometer von der ostafrikanischen Küste entfernt. Sie ist nicht nur aufgrund ihrer Lage zwischen Savanne und Wald und der hineinwuchernden Vegetation faszinierend: Seit 2010 finden hier archäologische Grabungen statt, die die kulturelle Entwicklung des steinzeitlichen Menschen in Ostafrika aufzeigen. Nun veröffentlichte ein internationales Forschungsteam im Fachjournal "Nature" einen besonderen Fund, nämlich das teilweise erhaltene Skelett eines zweieinhalb- bis dreijährigen Kindes, das hier vor 78.000 Jahren allem Anschein nach bestattet wurde.

Im Komplex der Höhle Panga ya Saidi stieß man unter einem Felsüberhang in einem Aushub (rechts) auf ein menschliches Skelett.
Foto: Mohammad Javad Shoaee

Damit ist "Mtoto", wie das Skelett nach dem Wort "Kind" in der Sprache Swahili genannt wird, aktuell der älteste nachweislich begrabene Mensch auf dem afrikanischen Kontinent. Bisher wurden in Südafrika und Ägypten Knochen von wahrscheinlich beerdigten Kindern gefunden, die 69.000 bis 74.000 Jahre alt sein dürften. Außerhalb von Afrika gibt es auch ältere Funde, vor allem im Nahen Osten: In den Höhlen von Skhul und Qafzeh wurden vor bis zu 130.000 Jahren Menschen bestattet. Bei noch älteren Funden in Spanien ist hingegen nicht klar, ob es sich um rituelle Beerdigungen, wie wir sie uns vorstellen, handelte. An der Gran-Dolina-Fundstätte etwa, wo Knochen im Alter von bis zu 850.000 Jahren entdeckt wurden, gibt es auch Anzeichen für Kannibalismus.

Bestattung mit Kopfpolster

Obwohl sich in Afrika die ältesten Hinweise auf frühes menschliches Verhalten finden, etwa in Form von Werkzeugen, deuten bisher verhältnismäßig wenige Skelettfunde auf eine Bestattung hin. Warum ist das so? Laut Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, der an der Studie beteiligt war, hat dies mehrere Gründe: "Archäologen haben sich in den vergangenen 150 Jahren vor allem in Europa und im Nahen Osten mit Ausgrabungen beschäftigt. Daher wurden hier viel mehr steinzeitliche Gräber gefunden als in Afrika. Dort müsste also in Sachen archäologischer Feldarbeit noch einiges nachgeholt werden." Daneben könnten auch kulturelle Unterschiede zu verschiedenen Bestattungsriten geführt haben, immerhin unterscheiden sich diese noch heute weltweit.

Dafür, dass es sich beim aktuellen Fund um eine Bestattung handelt, gibt es mehrere Indizien. Darunter fällt die Anordnung der Knochen im Grab, das etwa 40 Zentimeter Durchmesser hat. "Mtoto" befindet sich in Seitenlage mit zur Brust angezogenen Beinen, der Schädel ist derart positioniert, dass er sich bei der Beerdigung wahrscheinlich auf einer Art Polster befand. Mit der Verwitterung der Unterlage kippte auch der Kopf. Außerdem finden sich Hinweise darauf, dass der Oberkörper eng in ein ebenfalls abgebautes Material gehüllt wurde. Dass der Körper kurz nach dem Tod mit Erde bedeckt wurde, ist durch mikroskopische Analysen des Erdmaterials zu erkennen, mit dem das Grab gefüllt wurde.

Durch die virtuelle Rekonstruktion wurde die Lage des Kindes deutlich gemacht. Das Bild unten links zeigt die Ansicht von oben.
Bild: Jorge González/Elena Santos

Bis es zu dieser Interpretation des unvollständigen Skeletts kam, war es ein weiter Weg: "Die gefundenen Knochen waren zu empfindlich, um sie vor Ort zu untersuchen", sagt Emmanuel Ndiema, Archäologe an den Nationalmuseen Kenia. Die Möglichkeit, dass es sich um menschliche Knochen handeln könnte, war allerdings ein Grund zur Vorfreude: "Wir hatten einen Fund, von dem wir ziemlich begeistert waren – aber es dauerte noch eine Weile, bis wir uns über seine Bedeutung im Klaren waren."

Hockergrab im CT-Scan

Für nähere Analysen wurde das Grab in seiner Gesamtheit stabilisiert und erst ins Nationalmuseum in Nairobi, dann ans MPI für Menschheitsgeschichte in Jena und schließlich nach Spanien ans nationale Forschungszentrum für menschliche Evolution (CENIEH) in Burgos gebracht.

Dort übernahm ein auf Konservierung und digitale Rekonstruktion spezialisiertes Team. Das Material wurde im Labor per Mikrocomputertomografie durchleuchtet und anhand der Dichte der Bestandteile virtuell rekonstruiert. Trotz der fragilen Knochen kamen wichtige Erkenntnisse ans Licht: "Die Gelenkszusammenhänge der Wirbelsäule und die Rippen waren beeindruckend erhalten", sagt die Leiterin des CENIEH und Erstautorin der Studie, María Martinón-Torres. "Das deutet darauf hin, dass es sich um eine später nicht gestörte Bestattung handelte und dass die Verwesung des Körpers direkt in der Grube stattfand, in der die Knochen gefunden wurden."

Die aufgefundenen Knochen sind so brüchig, dass sie schwerlich aus der Erde herauspräpariert werden können. Im Block oben ist die Wirbelsäule zu erkennen, das Bild unten zeigt die linke Seite des Schädels.
Foto: Martinón-Torres et al., 2021

Die Bestattung mit angewinkelten Beinen wie in sogenannten Hockergräbern ist nicht außergewöhnlich: Es gibt sie an vielen bisherigen paläontologischen und historischen Ausgrabungsstätten. Gerade bei Kindern scheint sie nicht selten zu sein, auch die – mit etwa 31.000 Jahren deutlich jüngeren – österreichischen Zwillinge vom Wachtberg nehmen eine solche Position ein.

Puzzle des menschlichen Verhaltens

Diese Beerdigungsweise kann pragmatische platztechnische Gründe haben oder aber symbolische, wie Martinón-Torres erläutert: "Bei Mtoto sieht es nach einer Art Schlafposition aus, wie wenn man jemanden auf eine Schlafstätte bettet. Das könnte das menschliche Bestreben verkörpern, auch im kalten Moment des Todes Wärme zu vermitteln." Ob es sich bei den ebenfalls in der Nähe gefundenen Schneckenschalen um Grabbeigaben handelte, ist nicht geklärt.

Die künstlerische Interpretation des Fundes zeigt, wie "Mtoto" zum Zeitpunkt der Bestattung etwa ausgesehen haben könnte.
Illustration: Fernando Fueyo

Der Fund stellt in jedem Fall ein weiteres Puzzleteil dar im Rahmen der komplexen Frage, was wir über das Verhalten unserer Vorfahren wissen. Auf Grundlage der Funde lassen sich viele Vermutungen anstellen, präzise Antworten zu finden ist hingegen schwierig. Bräuche rund um den Tod eines Mitglieds der Gemeinschaft scheint es zu jener Zeit jedenfalls an verschiedenen Orten in Ost- und Südafrika, Europa und Asien gegeben zu haben. Den Indizien zufolge kümmerte man sich um verstorbene Kinder und bestattete sie – teils ähnlich wie in einer Schlafposition – in Gräbern.

Auch die Betrachtung des Ortes ist dabei interessant: "Die Höhle, in der 'Mtoto' bestattet wurde, wurde zum Bewohnen genutzt", sagt Petraglia. "Jäger und Sammler kehrten vermutlich über 80.000 Jahre hinweg immer wieder hierher zurück." Auch bei Fundstätten im Nahen Osten gebe es Beerdigungen an solchen "belebten" Orten, Leben und Tod der Menschen sind dahingehend also eng miteinander verbunden. (Julia Sica, 5.5.2021)

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