Im Labor von Ulrich Elling (links) und Luisa Cochella werden die meisten Sars-CoV-2-Proben teilsequenziert. Im Moment prüfen sie gerade nach, wie viele der von Ralf Herwigs Labor gemeldeten Verdachtsfälle der "Fluchtmutante" richtig waren.

APA / Schlager

Vor zwei Wochen herrschte wieder einmal große Aufregung um eine Virusmutation in Tirol. Das Bundesland vermeldete einen dramatischen Anstieg von B.1.1.7+E484K-Fällen im Laufe des Monats April. Konkret sei laut dem Bericht der Corona-Kommission vom 22. April der Anteil der B.1.1.7+E484K-Fälle in Tirol von 0,3 Prozent Anfang März auf 52 Prozent Mitte April angestiegen (594 neue Fälle allein in Kalenderwoche 15).

Bis zu diesem Zeitpunkt waren aus Tirol bereits 1.800 PCR-Verdachtsfälle der Fluchtmutante gemeldet worden – vor allem von der HG Pharma, dem Labor von Ralf Herwig. Zum Vergleich: Einer internationalen Datenbank waren bis dahin nur knapp 300 Fälle weltweit offiziell bekannt.

Die extrem hohen Fallzahlen hatten bei etlichen Experten die Alarmglocken schrillen lassen, da diese unangenehme Virusvariante zumindest im Laborversuch die Schutzwirkung der Covid-19-Impfungen deutlich beeinträchtigt – ähnlich wie die "südafrikanische" Variante B.1.351, von der es in Tirol zuvor ebenfalls zwei größere Cluster gegeben hatte und die ebenfalls die Fluchtmutation E484 aufweist.

Kryptischer Rückgang

Im nächsten Bericht der Corona-Kommission vom 29. April hieß es dann etwas kryptisch und syntaktisch unvollständig: "Das Auftreten der Variante B1.1.7+E484K besteht vordergründig in Tirol und zeigte dort Häufungen, die innerhalb KW 16 deutlich zurückgingen. Die gegenwärtig ausgewiesenen Anteile dieser Variante werden augenblicklich qualitätsgesichert und sich unter Anwendung einer labormethodischen Optimierung weiter reduzieren (sic, Anm.)." (Die zuständige Ages hat im Übrigen ihren Bericht über die Mutationen in Tirol seit 14. April nicht aktualisiert.)

Warum die Zahl der Verdachtsfälle in der Kalenderwoche 16 plötzlich so stark absank, ließ die Kommission offen. Ein Grund dürfte sein, dass die von Herwigs Labor ermittelten Fallzahlen vermutlich von vornherein zu hoch waren. Um wie viel, das versucht nun gerade ein Team um Ulrich Elling vom Imba an der ÖAW in Wien zu ermitteln, das die meisten (Teil-)Sequenzierungen von Virenproben in Österreich durchführt. Elling und sein Team sind gerade dabei, einen repräsentativen Teil der gemeldeten B.1.1.7+E484K-Verdachtsfälle aus Tirol nachzukontrollieren. (Im Normalfall passiert das österreichweit nur bei rund zehn bis 15 Prozent der Verdachtsfälle.)

Ungewisse Abweichungen

Für einen Probensatz aus Tirol vom 23. April haben das die Wiener Forscherinnen und Forscher um Elling schon getan. Dabei zeigten sich nicht ganz unwesentliche Abweichungen: Von den rund 340 gemeldeten PCR-Verdachtsfällen der Fluchtmutante konnten laut Elling nur etwa 140 bestätigt werden. Umgekehrt fanden die Genomexperten in den aus Tirol geschickten Proben aber 64 Fälle von Fluchtmutationen, die nicht als Verdachtsfälle gemeldet worden waren. Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf untersuchte Proben und nicht auf infizierte Personen.

Die Ages gab am späten Mittwochnachmittag bekannt, dass bisher 313 von insgesamt 2.120 PCR-Verdachtsfällen auf B.1.1.7+E484K bestätigt seien. Bei 189 habe es keinen Nachweis auf die Fluchtmutation gegeben. Bei insgesamt 1.618 PCR-Verdachtsfällen liege noch kein Sequenzierungsergebnis vor. Elling geht davon aus, dass die Dunkelziffer der falschen Verdachtsfälle recht hoch sein dürfte. In der "ZIB 2" am Dienstag vermutete er gar, dass sich die mehr als 2.100 B.1.1.7+E484K-Verdachtsfälle auf die Hälfte reduzieren könnten.

Mehr Klarheit am Freitag

Wie viele Fälle der Fluchtmutante es in Tirol tatsächlich gegeben hat (und nach wie vor gibt), wird man laut Elling am Freitag etwas besser wissen, wenn die Nachsequenzierungen von rund 900 Verdachtsfällen abgeschlossen sind. Dann wird man auch besser abschätzen können, wie es mit der Ausbreitung der Fluchtmutation in Tirol und ihrem angeblichen Rückgang tatsächlich aussieht. Das würde in der Folge auch zur Klärung der Frage beitragen, ob etwa die Impfaktion im Bezirk Schwaz die erwünschten Folgen bei B.1.1.7+E484K hatte und ob tatsächlich Entwarnung gegeben werden kann, wie das Land Tirol in den letzten Tagen suggerierte.

Bis dahin ist man – auch dank der unverlässlichen Lotsendienste der HG Pharma – in Sachen B.1.1.7+E484K-Entwicklung eher noch im Blindflug unterwegs. (Klaus Taschwer, 5.5.2021)

Anm. der Red.: Dem Artikel wurde um 18:12 ein Absatz zu den Zwischenergebnissen der Ages (Stand 17:45) hinzugefügt.