Salzburg setzt seit Jahren konsequent auf junge Spieler. Im Bild zu sehen sind (von links nach rechts) die Youngsters Maurits Kjaergaard, Nicolas Seiwald und Brenden Aaronson.

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Können Sie sich an Christoph Kröpfls einzigen Bundesliga-Auftritt im Salzburg-Dress erinnern? Vermutlich nicht. Der damals 19-Jährige stand am 11. Dezember 2009 27 Minuten gegen Austria Kärnten auf dem Spielfeld. Er konnte sich bei den Bullen nicht durchsetzen und spielt heute bei Zweitligist Lafnitz.

Gesamt gesehen sind diese 27 Minuten aber durchaus interessant: Denn Spieler, die zu Saisonbeginn jünger als 22 Jahre waren (fortan kurz: U22-Spieler), hatten einst Seltenheitswert bei Salzburg. 2009/2010 kamen sie auf gesamt nicht einmal 80 Spielminuten. Heute gilt der Klub als Paradebeispiel dafür, wie man junge Spieler einbaut.

Die Ausbildungsliga

Den Anspruch darauf haben einige Klubs. Die Bundesliga positioniert sich als Ausbildungsliga, will also junge Spieler fußballerisch ausbilden und herausbringen. Das liegt an der Größe des Landes: Österreich ist nicht die Spitze der Nahrungskette. Viele Kicker träumen davon, im besten Fußballalter, also Mitte bis Ende 20, in Deutschland, England oder Italien zu spielen.

Kleinere Klubs aus kleineren Ligen müssen also früher zuschlagen, wie bei Aktien: Wenn ein Wertpapier bereits in die Höhe geschossen ist, wird der Einkauf teuer. Aber wenn man diesen Rohdiamanten bereits früher als andere im Portfolio hat, kann man damit ein gutes Geschäft machen.

Auf den Fußball umgelegt bedeutet dies: Heimische Klubs konzentrieren sich zusehends auf die Stars von morgen – zugekauft oder aus dem eigenen Nachwuchs –, die Österreich als Sprungbrett in eine größere Liga sehen.

Junge Welle

In der Bundesliga fand in den letzten 20 Jahren ein Umdenken statt. Die Einsatzzeiten von U22-Spielern haben sich von 2001 bis 2011 verdoppelt und erreichten in den Jahren bis 2015 einen Höhepunkt. Seither stagnieren die Zahlen, liegen aber dennoch über jenen vor 2010.

Martin Scherb sieht diese Entwicklung positiv. Der 51-Jährige ist Chef der Talenteförderung im Österreichischen Fußballbund (ÖFB). Ihm zufolge bauen Bundesligisten junge Spieler besser ein als früher. Das merke man daran, dass mehr Talente den Sprung in die höchste Spielklasse geschafft haben. Aber auch an der Zusammensetzung der Nachwuchs-Nationalteams. "Vor 15 Jahren standen im U21-Kader Spieler der drittklassigen Regionalligen, heutzutage umfasst er Spieler der deutschen Bundesliga."

Auch wenn viele Bundesligisten das Ziel verfolgen, vermehrt junge Spieler einzubauen: Die Herangehensweise unterscheidet sich freilich untereinander. Jeder Klub hat andere Voraussetzungen, Hürden und mitunter Motive. DER STANDARD hat sich umgehört – zunächst in Wals-Siezenheim.

Umdenken in Salzburg

Serienmeister Red Bull Salzburg hat sich in den vergangenen Saisonen den internationalen Ruf erarbeitet, jungen Talenten als Sprungbrett zu dienen. Prominentestes Beispiel: Erling Braut Haaland. Im Jänner 2019 für acht Millionen Euro nach Salzburg gelotst, ein Jahr später für 20 Millionen nach Dortmund verkauft. Gewinn: Eineinhalb Haalands.

Der gute Ruf lässt sich mit Zahlen untermauern. Red Bull übernahm den Klub 2005. In den folgenden sieben Jahren gönnte der Verein U22-Spielern in der Saison 2010/2011 als Bestwert rund 16 Prozent der möglichen Spielzeit. Das wäre in den Jahren 2013 bis 2020 jeweils Negativrekord gewesen. Woher der Sinneswandel?

Sportdirektor Christoph Freund erklärt den Sinnes- mit einem Philosophiewandel – und der Ankunft von Ralf Rangnick im Sommer 2012. "Vor ihm hat sich der Verein mehr an den Trainer angepasst", sagt Freund. "Auf Giovanni Trapattoni folgte 2008/09 Co Adriaanse mit einem ganz anderen, offensiveren Spielstil. Danach kam Huub Stevens, der wieder anders spielen ließ." Seit Rangnick habe der Verein eine klare Idee im Kopf: "Hohe Intensität, viele Sprints und Schnelligkeit." Dies lasse sich am besten mit Jungen umsetzen. "Und dafür suchen wir passende Trainer."

Der junge Weg wurde anfangs kritisch gesehen. Stürmerstar Jonatan Soriano sprach nach dem Aus in der Champions-League-Qualifikation gegen Malmö 2015 von "Kinderfußball" und monierte damit die mangelnde Erfahrung im Team.

Für Freund besteht die Gratwanderung darin, die jährlichen Abgänge zu kompensieren und gleichzeitig den Level zu halten. "Wenn Spieler schon zwei-, dreimal weg wollten, dann ist es durchaus möglich, dass sie nicht mehr hungrig genug sind." Und man müsse auch Platz machen, damit jüngere Spieler wieder nachrücken könnten. The circle of life. Freund ist überzeugt, dass es in der Bundesliga der einzig sinnvolle Weg sei, auf Talente zu setzen.

Finanzielle Vorteile

Salzburg gilt in diesem Bereich als Vorbild, ist der landesweiten Konkurrenz aber finanziell voraus. Geldgeber Red Bull erleichterte Einkaufstouren. Die Finanzen ermöglichten den Bau der Akademie. Der Klub profitierte vom Red-Bull-Scouting-Netzwerk und kam so zu regelmäßigem Nachschub an jungen Talenten. Seither rennt das Werkl.

Daran änderte sich nichts, als Red Bull 2015 vom Eigentümer zum Sponsor wurde. Sportliche Erfolge und florierende Ablösesummen erhöhen den finanziellen Polster. Wer Haaland um 20 Millionen Euro verkauft, kann sich im gleichen Sommer Talente wie Maurits Kjaergaard (damals 16/2,7 Millionen) und den aktuellen Liefering-Goalgetter Benjamin Sesko (16/2,5 Millionen) leisten.

Ein Indikator für Salzburgs Strukturwandel ist auch die Entwicklung des Bundesliga-Transferrekords: Über Jahrzehnte hinweg reichten einstellige Millionenbeträge für einen Rekord, etwa die sieben Millionen Euro für Mark Janko (die Twente Enschede an Salzburg überwies). Im Vergleich zu späteren Transfers Peanuts: Sadio Mané wechselte 2014 für 23 Millionen Euro zu Southampton, Naby Keita 2016 für 29,75 Millionen Euro zu RB Leipzig.

Langfristige Planung

"Der Red-Bull-Weg ist nicht kopierbar", sagt Scherb. Er glaubt aber, dass Salzburgs Ausrichtung die Konkurrenz motiviert habe, mehr auf die eigene Jugend zu vertrauen und mehr in deren Infrastruktur zu investieren.

Was man von RB Salzburg abschauen kann, ist deren Konsequenz, die eigene Philosophie langfristig zu verfolgen. Scherb: "Es gibt nach wie vor Vereine, die mit jedem Trainer ihre Spielanlage ändern." Das wirke sich negativ auf Talente aus. Angenommen, ein Klub setze auf schnelles Umschaltspiel und deshalb auf einen jungen, dynamischen Stürmer. Stellt ein neuer Trainer ein paar Monate später auf hohe Bälle nach vorne um und bevorzugt deshalb einen Zwei-Meter-Stürmer gegenüber dem Talent, "ist das nicht die Schuld vom Spieler oder Trainer, sondern vom Verein". Man müsse eben langfristig planen.

Die Corona-Pandemie hat dies erleichtert – oder erzwungen. Denn laut Scherb sei jetzt weniger Geld da, um den 23. Kaderplatz mit gekauften durchschnittlichen Legionären zu besetzen, da fülle man den Kader eher mit Akademiespielern auf. Das spricht auch Freund an: "Es gibt Vereine, die erst in finanziellen Schwierigkeiten auf junge Spieler setzen."

Zum jungen Weg gezwungen

Finanzielle Probleme – da sind wir schon bei der Wiener Austria. Zur Erinnerung: Der gebeutelte Klub erhielt erst in der zweiten Instanz die Bundesliga-Lizenz für kommende Saison. In den letzten fünf Jahren kamen am Verteilerkreis U22-Spieler im Schnitt häufiger zum Einsatz als in der ersten Hälfte des Jahrzehnts. Wirft man der Austria vor, erst verstärkt auf junge Spieler zu bauen, wenn man finanziell dazu gezwungen ist, findet Ralf Muhr das berechtigt.

Der 50-Jährige ist Leiter der Profi-Lizenzabteilung und war zuvor 20 Jahre lang Akademie-Chef. Der Einbau junger Spieler liegt ihm am Herzen, er gibt aber zu, dass der Austria in den letzten 20 Jahren zu oft das "Commitment" gefehlt habe. Auch in finanziell rosigeren Zeiten, etwa in den 2000ern, als Frank Stronach Geldgeber war.

"Wir hatten die beste Akademie, aber haben die Absolventen nicht zeitgemäß eingebaut", sagt Muhr. Oft seien ihnen teure Spieler vor die Nase gesetzt worden, war die Kaderplanung nicht ideal. In späteren Jahren habe es Trainer gegeben, "die lieber mit Älteren gearbeitet haben". Das ist per se nicht verwerflich, aber für einen Ausbildungsklub eher ungeschickt.

Geld, Identifikation, Gerüst

Warum sollte die Austria junge Spieler einbauen? "Wenn man in eine Akademie Geld investiert, möchte man den Output in der Kampfmannschaft sehen", sagt Muhr. Zudem genießen Spieler, die in der Jugend Violett trugen, bei Fans eine höhere Wertschätzung und erhöhen den Identifikationswert, Motto: "Das ist einer von uns." So einem wird ein Fehlpass leichter verziehen als dem Neuzugang für X Millionen.

Muhr findet den aktuellen jungen Stock rund um Patrick Wimmer (19) und Dominik Fitz (21) "geil". Aber unerfahrene Spieler neigen zu schwankenden Leistungen und bräuchten ein Gerüst zum Anhalten. Salzburgs Zlatko Junuzović (33) sei ein Musterbeispiel dafür, eine "belastbare Führungskraft".

Hier sieht Muhr Aufholbedarf bei seinem Klub. Eine Europacup-Qualifikation würde den Jungen nicht nur eine Bühne bieten, sondern sei auch finanziell wichtig – ebenso der Österreicher-Topf: Daraus werden jährlich 5,5 Millionen Euro an die Klubs verteilt, je nachdem, wie viele Einsatzminuten in einer Saison auf Österreicher entfielen, wobei österreichische U22-Spieler vierfach gewertet werden.

Ralf Muhr leitete die Austria-Akademie jahrelang. Für ihn hat dem Verein in den letzten 20 Jahren zu oft das "Commitment" gefehlt, junge Spieler einzubauen.
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Rapid hofft auf Nachschub

Ortswechsel zur Wiener Westeinfahrt. Wie geht Rapid die Kaderplanung mit jungen Spielern an? Sportdirektor Zoran Barišić nennt drei Stufen. "Erstens: Welche Talente haben wir selbst in der Jugend? Zweitens: Was sind interessante Österreicher bei anderen Vereinen? Drittens: Welche entwicklungsfähigen Ausländer helfen uns weiter?"

Mit dieser Marschroute sei man zuletzt gut gefahren. Der Aufstieg von Rapid II in die zweite Liga habe den Einbau junger Spieler erleichtert, weil diese früher auf hohem Niveau Einsatzzeit sammeln können. Aufholbedarf sieht Barišić bei der Infrastruktur. Doch auch hier gebe es mit dem neuen Trainingszentrum im Prater, in dem schon umgebaut wird, eine positive Entwicklung. In den nächsten Monaten sollen weitere Projektfortschritte folgen.

Laut Barišić habe der Klub bereits zu seinen eigenen Trainerzeiten (2013–2016) eine einheitliche Spielphilosophie gehabt. Danach wurde dies wohl etwas aus den Augen verloren, was auch mit der starken Fluktuation in der sportlichen Leitung (drei Cheftrainer allein in der Saison 2016/17) zu tun haben dürfte.

Für Rapid sei der Einbau junger Spieler nunmehr Teil des Geschäftsmodells. Barišić verweist auf die zuletzt zahlreichen Einberufungen in Jugendnationalteams. "Es kann gut sein, dass der Prozentsatz selbst ausgebildeter Spieler in den nächsten Jahren nach oben geht", sagt und hofft er. "Aber das geht nicht auf einmal, sondern wird sukzessive aufgebaut." Am wichtigsten sei, dass der Klub seriös wirtschafte und tabellarisch gut dastehe.

Trend zu jungen Legionären

Insgesamt lässt sich in der höchsten Spielklasse in den letzten zehn Jahren ein Trend zu jungen Legionären ablesen. Mitte der 2000er-Jahre bestritten Legionäre fast jede zweite Einsatzminute in der Bundesliga, doch so gut wie keiner von ihnen war jünger als 22 Jahre. Der Legionärsanteil sank in der Folge konstant und liegt seit Mitte der 2010er-Jahre nur mehr bei rund einem Viertel. Gleichzeitig stieg in diesem Segment die Jungspielerquote: Jede dritte Spielminute von Nichtösterreichern entfiel auf unter 22-Jährige.

Woran liegt das? Laut Scherb sehen junge Legionäre Österreich zusehends als Sprungbrett für größere Ligen. Das liegt daran, dass die Bundesliga endgültig in die zweite Riege der europäischen Spielklassen aufgerückt ist. In der Uefa-Fünfjahreswertung liegt Österreich auf Rang zehn, nur noch Belgien, Russland, die Niederlande und Portugal stehen zwischen Österreich und den Big Five (England, Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich).

Scherb verweist auf die WSG Tirol, die sich heuer Nikolai Baden Frederiksen von Juventus Turin ausgeliehen hat. Der 21-jährige Däne dankte es mit 18 Saisontoren. Für Scherb haben "die Vereine eingesehen, dass man mit einem 30-jährigen Legionär, der keine Meter machen, dafür seine Karriere in Österreich ausklingen lassen will, nicht mehr weiterkommt".

Nikolai Baden Frederiksen bereitete der WSG Tirol in der vergangenen Saison viel Freude. Er ist von Juventus Turin verliehen.
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Dieser Trend ist auch in Salzburg zu beobachten: Das Fußballportal "90minuten" berichtete im September 2020 darüber, dass sich bei den Bullen in der jüngeren Vergangenheit eher zugekaufte Talente als jene aus dem Eigenbau durchgesetzt haben. Sportdirektor Freund gibt zu, dass die Auslese hart sei. Er ist aber überzeugt, dass sich auch künftig "die besten eigenen Talente durchsetzen werden".

So sei Mërgim Berisha heuer Stammspieler gewesen. Auch Nicolas Seiwald, Luka Sučić und David Affengruber hätten gute Chancen. Man schaue darauf, dass man nicht zu viele Youngsters zukaufe. Freund verweist darauf, dass zahlreiche österreichische Nationalspieler in der Salzburger Akademie ausgebildet wurden.

Vergleich mit anderen Ausbildungsligen

Insgesamt braucht die Bundesliga den Vergleich mit anderen Ausbildungsligen nicht zu scheuen. Im Schnitt der Saisonen 2013 bis 2020 lag der Anteil der Jungspieler bei 21,6 Prozent. In Belgien lag dieser Wert bei 19,5 Prozent, in der Schweiz bei 17,2 Prozent. Einzig die Niederlande setzte mit 28,7 Prozent noch stärker auf die Jugend. Blickt man nur auf die Altersgruppe 16 bis 19, kann die Bundesliga auch mit der Eredivisie mithalten.

Letztlich muss jeder Verein selbst abwägen, wie sehr er mit jungen Spieler operiert. Und, auch da sind sich die Beteiligten einig, letztlich entscheidet das Leistungsprinzip darüber, wer spielt oder nicht. Egal ob alt oder jung. Denn klar ist: Jugend garantiert keinen Erfolg. Oder andersrum: Salzburg wurde 2010 Meister mit dem ligaweit höchsten Altersschnitt pro Spiel von 27,5 Jahren – inklusive der 27 Minuten des Christoph Kröpfl. (Andreas Gstaltmeyr, Michael Matzenberger, 27.5.2021)

Zum Abschluss ein Überblick über Einsatzzeiten der U22-Spieler bei allen Bundesliga-Klubs seit 2000/2001: