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Schottlands Regierungschefin Nicola ist äußerst populär.

Foto: Buchanan/Pool via REUTERS

Die letzte Fernsehdebatte vor der schottischen Parlamentswahl ist beinahe vorbei, da kommt der BBC-Moderator doch noch aufs Wesentliche zu sprechen: die Loslösung vom Londoner Zentralstaat, den sogenannten Scexit. Da gebe es ja viele Menschen im Land, sagt Glen Campbell, "die weiterhin Sie als Ministerpräsidentin möchten, aber mit der Unabhängigkeit nichts zu tun haben wollen. Was sollen sie tun?"

Die Angesprochene zögert keinen Augenblick: "Sie sollten mich wählen", sagt Nicola Sturgeon. Seit sieben Jahren regiert die Chefin der Nationalpartei SNP in Edinburgh, in der Covid-Krise ist ihre Popularität noch gestiegen, an ihrem Wahlsieg an diesem Donnerstag gibt es keinen Zweifel. So vorsichtig wie die Juristin (50) in der Pandemie agiert hat, so lavierend hat sie sich in den vergangenen Jahren auch in der Frage gegeben, die ihr doch nach eigenem Bekenntnis am Herzen liegt: Soll Schottland 314 Jahre nach dem Zusammenschluss mit England zum Vereinigten Königreich dieses verlassen?

"Fundamental andere Situation"

Vor sieben Jahren haben die Schotten diese Frage mit Nein beantwortet. 55:45 Prozent lautete das Ergebnis nach einem monatelangen Referendumskampf, 85 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich daran beteiligt, darunter auch – anders als im Rest Großbritanniens – Ausländer mit Wohnsitzrecht sowie 16- und 17-Jährige. Beide Gruppen gelten als weltoffen und experimentierfreudig, werden deshalb mehrheitlich dem Unabhängigkeitslager zugeordnet.

Dass den Unionisten damals dennoch der Sieg gelang, war nicht zuletzt einem gewichtigen Argument geschuldet: Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU. Hingegen sei die Aufnahme eines abgespaltenen Schottland keineswegs gesichert, gaben damals mächtige Vertreter des Brüsseler Clubs zu verstehen. Das überzeugte viele Proeuropäer. Zwei Jahre später stimmten die Schotten erneut für die EU, mit 62 Prozent. Weil die viel zahlreicheren Engländer aber den Brexit befürworteten, kam es zum EU-Austritt – und damit zu einer "fundamental anderen Situation", die von den Nationalisten als Voraussetzung für eine neuerliche Volksabstimmung genannt worden war.

Angst vor Spaltung

Wird es also bald so weit sein? Vordergründig wählen die Schotten nur ihr Regionalparlament. Aber statt über die durchwachsene SNP-Regierungsbilanz und Sturgeons Pläne für die kommenden fünf Jahre zu streiten, ergingen sich das Wahlvolk und die Medien in endlosen Spekulationen über den Scexit. Dessen Befürworter stellten in vielen Umfragen des vergangenen Jahres die Mehrheit, bis hin zu 58 Prozent. Neuerdings lassen die Befragten wieder größere Skepsis erkennen: Das Land wäre mit 50:50 mehr oder weniger gespalten.

Geschickt hat die Regierungschefin ihre Kampagne darauf abgestellt. War Ende März noch viel von der Unabhängigkeit und einem Referendum "in den ersten zwei Jahren der Legislaturperiode" – wohl im Herbst 2023 – die Rede, so enthielt das SNP-Wahlprogramm kein derartiges Versprechen. Sturgeon konzentrierte sich ganz auf die Erörterung der Frage, wie Schottland am besten aus der Covid-Pandemie kommen und die schlimmen wirtschaftlichen Folgen ausgleichen könne.

Nicht alle wollen einen Scexit

Offenbar hatten die SNP-Marktforscher Ähnliches erlebt wie diese Woche eine von Times Radio beauftragte Firma: Zum Gespräch geladene Wählerinnen bekundeten immer wieder ihre Bewunderung für Sturgeon bei gleichzeitiger Ablehnung der Unabhängigkeit. "Ich wähle SNP, weil ich Schottlands wirtschaftliche Erholung fördern will", sagte eine. "Ich wäre richtig wütend, wenn es nach der Wahl wieder nur um die Unabhängigkeit geht."

Ob die Nationalisten aber solche Einwände berücksichtigen? Letzte Umfragen sprachen von bis zu 52 Prozent für die SNP und einer satten Mandatsmehrheit für die Regierungspartei und die schottischen Grünen, die ebenfalls dem zweiten Referendum das Wort reden. Womöglich gesellt sich auch noch Sturgeons Vorgänger in Staats- und Parteiamt hinzu: Alex Salmond will mit seiner erst kürzlich gegründeten Alba-Partei die einstige Vertraute vor sich her treiben.

Tauziehen droht

Unbequem jedenfalls dürfte der Wahlausgang für den Premierminister des Vereinigten Königreiches ausfallen. Boris Johnsons konservative Partei grundelte in der letzten Umfrage bei 20 Prozent, der weißblonde Engländer selbst ist bei den Schotten herzlich unbeliebt. "Keinesfalls" will er den Nationalisten das Mandat erteilen, das für ein legales Referendum nötig wäre. Weil wiederum Sturgeon eine illegale Volksbefragung à la Katalonien ausgeschlossen hat, dürfte es in den kommenden Monaten und Jahren zu einem heftigen Tauziehen zwischen London und Edinburgh kommen. (Sebastian Borger aus London, 6.5.2021)