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Kohle ist weltweit noch immer die größte Stromquelle. Vor allem Entwicklungsländer in Asien setzen weiterhin auf den Energieträger.

Foto: Reuters/Kacper Pempel

Schon von oben betrachtet ist das Kraftwerk Bełchatów in Polen gewaltig: Zwei dreihundert Meter hohe Schornsteine blasen rund um die Uhr den sichtbaren Wasserdampf und das unsichtbare Kohlendioxid in die Luft. Rundherum ist die Erde zerfurcht und aufgegraben – der Spielplatz der gigantischen Schaufelradbagger. 45 Millionen Tonnen Braunkohle werden in dem zweitgrößten Kraftwerk der Welt jedes Jahr verbrannt. 30 bis 40 Millionen Tonnen CO2 setzt es dabei frei – mehr als so manche andere Staaten wie Irland oder die Slowakei.

Für Polen war und ist Kohle so etwas wie das Symbol für Wohlstand und Entwicklung, schreibt der polnische Wissenschafter Aleksander Szpor. Immerhin macht sie auch heute noch 70 Prozent der Stromproduktion des Landes aus. Bis 2049 sollen die Kraftwerke nun schrittweise geschlossen werden – für Klimaschützer viel zu spät, um die Emissionen des CO2-intensiven Energieträgers rechtzeitig zu reduzieren.

Global weiter genutzt

Polen ist nicht das einzige Land, das nach wie vor auf Kohle setzt. Zwar ist der globale Verbrauch von Kohle in der Corona-Pandemie etwas zurückgegangen, und auch historische Kohlenationen wie Australien, Deutschland und die USA machen mit dem Kohleausstieg ernst (die USA haben 2020 den historisch niedrigsten Wert an Kohle seit 1965 produziert).

Trotzdem steht Kohle in vielen Ländern noch hoch im Kurs. Japan, China und Indien planen allesamt weitere Kraftwerke. 200 Gigawatt an Leistung befinden sich derzeit weltweit im Bau, 300 weitere Gigawatt sind in Planung. Zum Vergleich: Das Abdrehen von Kraftwerken in Europa und den USA hat bisher zu 268 Gigawatt weniger Strom aus Kohle geführt, weitere 213 Gigawatt sind für die nächsten Jahre geplant. Um noch Chancen zu haben, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, dürfen jedoch bis 2050 mehr als 80 Prozent der Kohlereserven nicht verbrannt werden.

Schwarzes Gold im Reich der Mitte

China ist ein Beispiel für sich. Rund 60 Prozent der gesamten Energie des Landes kommen immer noch aus Kohle, 3,7 Milliarden Tonnen baut das Land davon jedes Jahr ab – die Hälfte der weltweiten Menge. Zwar will China bis 2060 CO2-neutral werden, es setzt aber gerade in Zeiten der Pandemie auf neue Kohlekraftwerke, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

300 Kraftwerke baut oder plant die Regierung derzeit überall auf der Welt, etwa in Vietnam, Indonesien, Bangladesch, Ägypten, der Türkei oder auf den Philippinen. Die Investitionen sind Teil der Belt and Road Initiative der Regierung. Für Peking reduziert der Ausbau der Kohlekraft im Ausland zwar die Smogbelastung im eigenen Land, ändert aber nichts an den globalen CO2-Emissionen.

"Keine andere Wahl"

Man habe "keine andere Wahl, als weiterhin auf Kohle zu setzen", heißt es seitens der chinesischen Staatsregierung. Wirtschaftswachstum habe oberste Priorität, und Kohle sei ein Treiber dieses Wachstums. Zudem sei Kohle eine stabile Energiequelle, die Netzflauten bei Wind- oder Sonnenenergie ausgleichen könne.

Laut Experten ist jedes neue Kohlekraftwerk ein Versprechen, dieses auch noch in den nächsten vierzig bis fünfzig Jahren zu nutzen. Denn andernfalls würden sich Investitionen kaum rechnen. Bis dahin ist es laut vielen Klimaschützern allerdings schon zu spät, wirksam gegen den Klimawandel vorzugehen.

Laut eines Berichts der Klima-Denkfabrik Transition Zero müsste China in den nächsten zehn Jahren 588 seiner 1058 Kohlekraftwerke schließen, um seine Klimaziele noch erreichen zu können. Gleichzeitig könnte das Land in den kommenden zwei Jahrzehnten 1,6 Billionen Dollar sparen, wenn es statt Kohle auf erneuerbare Energien setze, heißt es in dem Bericht – insbesondere da erneuerbare Energien immer günstiger werden.

Greenwashing

Aber auch in Europa gehen Worte und Taten nicht immer zusammen. Kürzlich rief etwa Großbritannien gemeinsam mit Kanada ein Gipfeltreffen der Powering Past Coal Initiative ins Leben, die Regierungen und Unternehmen auf der ganzen Welt zum Ausstieg aus Kohle bewegen soll. Gleichzeitig plant Großbritannien unter Premierminister Boris Johnson die Eröffnung einer neuen Kohlemine, die bis 2049 Kohle vor allem für den Export bereitstellen soll.

Nicht zuletzt deshalb wurde auch die Initiative von vielen Experten und Organisationen als Greenwashing-Kampagne bezeichnet – zumal Großbritannien im November als Gastgeberland die 26. UN-Klimakonferenz begleiten soll und laut Umweltschutzorganisationen dort als gutes Beispiel vorangehen sollte.

Kohle als Verlustgeschäft

Warum also halten so viele Staaten nach wie vor an Kohle fest? Rein ökonomisch lässt sich die Entscheidung in einigen Fällen nur schwer begründen. Laut eines Berichts der Denkfabrik Carbon Tracker Initiative ist die Hälfte aller Kohlekraftwerke ein Verlustgeschäft, da sie ohne staatliche Subventionen nicht überleben könnten.

Laut dem US-Stanford-Wissenschafter Mark Thurber gibt es jedoch einige andere Gründe, weshalb Staaten nach wie vor auf Kohle setzen: Kohle sei an vielen Orten weltweit verfügbar und relativ einfach zu transportieren und zu lagern. Industrieunternehmen, die von Kohle profitieren, hätten oft einen großen politischen Einfluss und würden Veränderungen des Status quo in vielen Fällen verhindern.

Kohleausstieg und Kohleeinstieg seien mehr eine politische als eine ökonomische Entscheidung. Ländern wie China gehe es allem voran um Wachstumsziele, Versorgungssicherheit und darum, Jobs im Kohlesektor aufrechtzuerhalten, so die Carbon Tracker Initiative.

Aussicht auf Wachstum

Zudem könnten die Volkswirtschaften einiger asiatischer Staaten, die schon bisher auf Kohle gesetzt haben, laut Experten und Expertinnen in den nächsten Jahren weiterwachsen, was den Verbrauch von Kohle zumindest vorübergehend nach oben treiben könnte.

Derzeit verbrauchen 2,4 Milliarden Menschen in Indien, Pakistan, Bangladesch und Ländern Südostasiens in etwa so viel Strom pro Jahr wie die lediglich 450 Millionen Einwohner der EU. Den wachsenden Konsum künftig allein oder zu großen Teilen mit erneuerbaren Energien abzudecken könne laut Experten auf jeden Fall eine Herausforderung werden.

Nicht zuletzt hoffen die Kohleindustrievertreter darauf, mithilfe der CO2-Abscheidung und -Speicherung das Kohlegeschäft noch ein wenig länger am Leben zu erhalten. Die Technologie ist allerdings, trotz einiger Fortschritte, bisher hinter vielen Erwartungen zurückgeblieben. Klima- und Umweltschützer warnen zudem davor, die CO2-Abscheidung und -Speicherung als "Freifahrtschein" für den weiteren Emissionsausstoß zu sehen. Das Geld, das für die Umrüstung bestehender Anlagen verwendet werden müsste, sollte demnach lieber in erneuerbare Energien investiert werden.

Eine Frage der Geschwindigkeit

Langfristig scheint der weltweite Einbruch von Kohle wohl unvermeidbar zu sein. Stellt sich nur die Frage, wie schnell und stark dieser Einbruch einsetzen wird. Vieles spricht dafür, dass die Entscheidung nicht von Europa oder den USA, sondern vor allem von Ländern in Asien abhängt.

Laut Wissenschafter Thurber haben reiche Staaten jedoch eine große Verantwortung, Entwicklungsländern bei der Umstellung des Energiesystems zu unterstützen – etwa mithilfe zusätzlicher Expertise, finanziellen Hilfsmitteln oder indem die eigenen Kohlekapazitäten schnell zurückgefahren werden. Bisher sei dies nur in sehr geringem Ausmaß geschehen. Vor allem aber brauche es in Entwicklungsländern schnell Alternativen, die nicht nur wettbewerbsfähig und nachhaltig sind, sondern den Menschen auch ausreichend Jobs bieten. (Jakob Pallinger, 13.5.2021)