Was es im Pflegebereich braucht und was nicht, darüber schreiben die Soziologin Ruth Simsa und der Psychologe Thomas Schweinschwaller in ihrem Gastkommentar.

Beschäftigte in der Pflege zeigen während der Covid-Krise eine hohe Fähigkeit, mit Unsicherheit, Angst und Stress umzugehen – also Resilienz oder anders ausgedrückt: das Sich-Anpassen an Herausforderungen. Resilienz ist populär, sie wird als Schlüsselfähigkeit im Umgang mit der Krise gesehen. Langfristig werden solche persönlichen Fähigkeiten aber nicht ausreichen. Die Pflege muss strukturell abgesichert werden.

Es gab schöne Worte und Applaus für ihre Arbeit während der Corona-Krise: Für die Sicherung der Pflege braucht es aber etwas ganz anderes, nämlich deutlich bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn.
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Es reicht auf Dauer eben nicht, wenn nur die Menschen individuell stärker, anpassungsfähiger oder eben resilienter werden. Viel zu häufig werden strukturelle Probleme wie jahrelange Unterbesetzung als individuelles Thema der einzelnen Pflegekraft umgedeutet. Und das rächt sich in der Krise. Es braucht also Resilienz von Systemen, nicht nur von Personen.

Kurzfristige Vorgaben

Eine empirische Erhebung während des ersten Corona-Jahres in der Pflege zeigt, dass es zunächst eine sehr gute Anpassung an Herausforderungen gab. Es wurden kurzfristige Vorgaben der Politik umgesetzt, Teams neu zusammengesetzt, mit zusätzlichen Krankheitsfällen umgegangen etc. Gemeistert wurde dies durch Flexibilität, Improvisationskunst unter unsicheren Bedingungen und gute Zusammenarbeit. Und durch Mehrarbeit. Im O-Ton einer Pflegekraft: "So eine harte Arbeitszeit habe ich noch nie erlebt … Es war Wahnsinn."

Die emotionale Belastung war besonders hoch. Neben der eigenen Erkrankungsgefahr litten viele unter der Sorge, Patienten anzustecken oder das Virus nach Hause zu tragen. Obwohl man im Pflegeberuf an den Tod gewöhnt ist, gab es im Fall von Clustern ein Zuviel an Sterben – es war nicht mehr zu bewältigen, keine Zeit für Trauerarbeit und für den Abschied von Menschen, die man jahrelang betreut hatte.

Im Herbst kumulierten die Belastungen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Die bereits lange Dauer der Krise, die steigenden Fallzahlen und der besonders hohe Druck durch die Politik und Medien wurden für viele schwer erträglich. Viele kamen in einen Strudel und konnten immer weniger gut für sich sorgen, was zu großer Erschöpfung führte. Angst, Schuldgefühle und das Erleben von Verlusten müssen aufgearbeitet werden, sonst können sie zu Traumatisierungen führen.

Wenig attraktiv

Eine Studie von Pflegekräften in Norditalien weist auf die Gefahr von sekundären Traumatisierungen im Pflegebereich hin. Die bereits bestehende Personalnot verstärkt diese Gefahr. Wir haben schon jetzt zu wenig Personal im Pflege- und Gesundheitsbereich. Eine Berufslaufbahn ist hier aus vielen Gründen zu wenig attraktiv. Neben der Bezahlung geht es dabei um die Arbeitsbedingungen. Spardruck, entfremdende Arbeitsbedingungen, hohe Bürokratie und Dokumentationsaufwand helfen nicht.

Es ist zu befürchten, dass es nach der Pandemie zu zusätzlichen Verlusten von Personal kommen wird. In Norditalien kam es nach der akuten Krise zu Kündigungen. In Interviews wurde uns ebenfalls von diesbezüglichen Plänen berichtet sowie von der Sorge vor Folgen der außergewöhnlichen Belastungssituation: "Es ist dringend notwendig, dass die Leute jetzt aufgefangen werden, weil sonst haben wir dann in einem halben Jahr ungefähr die ganz großen Erschöpfungswellen!"

Deutlich war: In jenen Einrichtungen, die die ruhigere Zeit im Sommer nutzen konnten, um gemeinsam aus den Erfahrungen des Frühjahrs zu lernen und sich auf den Herbst vorzubereiten, ging es den Beschäftigten in der schwierigen Phase im Herbst wesentlich besser. Viele Einrichtungen der Pflege haben dafür aber keine Ressourcen. Sie waren am Beginn der Pandemie schon an ihrem Limit. In Pflegekonzepten und Leistungsverträgen wird an einem überholten Taylorismus festgehalten, die Pflege also als portionier- und steuerbar gesehen und durchrationalisiert. Minutengenaue Taktungen von Pflegearbeit, detailreiche Anforderungen der Dokumentation und eine zu enge Kostenplanung verunmöglichen es, diese notwendigen Ressourcen für Unvorhergesehenes und für Belastungsspitzen vorzuhalten.

Nicht krisenfest

Das Management von Gesundheitseinrichtungen ist damit oft im chronischen Notfallmanagement verstrickt. Dabei ist es betriebswirtschaftliches Basiswissen, dass Organisationen Puffer für Unvorhergesehenes brauchen: "Gesundgesparte" Organisationen sind nicht krisenfest. Die Sicherung von Pflege ist wichtig – wir könnten selbst darauf angewiesen sein, unsere Eltern oder unsere Partner.

Wir alle wünschen uns vermutlich für das Alter oder im Krankheitsfall nicht nur eine gute Basisversorgung, sondern auch eine menschliche Begleitung und Betreuung. Klatschen und schöne Worte sind für deren Sicherung aber zu wenig. Es braucht strukturelle Maßnahmen wie eine Ausbildungsoffensive für die Pflege, deutlich bessere Arbeitsbedingungen und eine ausreichende öffentliche Finanzierung der Pflegeorganisationen. Jeder und jede von uns könnte davon in Zukunft profitieren. (Ruth Simsa, Thomas Schweinschwaller, 7.5.2021)