Marianne Faithfull hat sich für ihr berührendes Spätwerk Warren Ellis, den musikalischen Direktor von Nick Cave, ausgeborgt.

Foto: Rosie Matheson

Aus den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren ist überliefert, dass verzweifelte Menschen ihre Niedergeschlagenheiten damals nicht nur zu den Klängen von Joy Division und The Cure pflegten. Ausgehend von diesbezüglichen Vorarbeiten der Beat-Generation in den USA wollte man trotz Postpunk und New Wave damals auch in den Studentenbuden von Hamburg, Heidelberg oder Wien noch immer "Jazz & Lyrik" in einen intertextuellen Dialog treten lassen.

Räucherstäbchen, Kerzenschimmer, Gedichte von Heinrich Heine, Querflötenalarm, ach, zieht doch bitte die Schuhe aus, wenn ihr reinkommt. Manchmal hatte das mehr mit Esoterik-Workshop als mit rattenscharfer Musik zu tun. Kurz: Wer Lyrik vertont, muss bis heute damit rechnen, dass er ein wenig schief angeschaut wird.

Auch Marianne Faithfull ist auf ihrem neuen Album She walks in beauty nicht immer davor gefeit, in die Kitschkiste zu greifen. Als musikalischer Begleiter stand ihr dabei Warren Ellis zur Seite. Der künstlerische Direktor von Nick Cave ist spätestens seit dessen Yoga-Album Ghosteen nicht ganz unbescholten, wenn es darum geht, im Alter gebrechende Gesangsstimmen mit New-Age-Gesäusel zu versülzen.

Marianne Faithfull

Da zirpen schon einmal die Grillen an einem Bächlein helle, wenn die Forellen im Frühtau zu Berge hüpfen und scheue Zauberwesen Feenstaub über den blauen Blumen der Romantik versprühen. Für eilige Leser: In einem Day Spa werden solche Sounds gern während der Ayurveda-Ölmassage zugespielt.

Allerdings weist die 74-jährige Marianne Faithfull eine dank Lebenserfahrung rau und brüchig gewordene Stimme auf, vor der selbst die erwartbarsten Gedichte altvorderer britischer Romantiker in die Knie gehen müssen: "I met a traveller from an antique land …"

Beinahe wäre Marianne Faithfull während der Aufnahmen zu diesem Album gestorben. Sie erkrankte 2020 an Covid-19. Die Ärzte hatten sie nach Wochen auf der Intensivstation schon abgeschrieben. Wer aber gemeinsam mit Mick Jagger und Keith Richards die Sechzigerjahre überlebt hat …

Faithfull hat auch jetzt überlebt. Ihre Stimme als Folge der Krankheit leider nicht. Sie wird nie wieder singen können. Vielleicht macht das den Reiz dieses Albums aus, wenn sie nun, hörbar gezeichnet, romantische Gedichte von Lord Byron, Percy Shelley oder John Keats rezitiert. Schwelgerische Poesie von Männern, die sie abseits des mitunter doch recht banalen Klaviergeklimpers von Gast Nick Cave zu ihrer eigenen macht, etwa Prelude von William Wordsworth: "Oh there is blessing in this gentle breeze …" Die Sonne kann jetzt gern auch untergehen. Aber langsam. (Christian Schachinger, 7.5.2021)