Auch in einem verwüsteten Land lässt es sich entspannen: Andriy Rymaruk in "Atlantis".

Foto: Mubi

Der neue US-Außenminister Antony Blinken befindet sich gerade auf einer symbolisch wichtigen Mission in der Ukraine, mit der er seine Unterstützung für Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Souveränität des Landes demonstriert. Der Zeitpunkt ist kritisch: Moskau hatte mit der Stationierung zehntausender Soldaten an der Grenze des Donbass zuletzt wieder Ängste geschürt, dass der Krieg neu aufflammen könnte.

Grasshopper Film

Filmisch hat der Konflikt bisher vor allem eine Reihe von dokumentarischen Arbeiten hervorgebracht, von Regisseuren wie Vitaly Mansky, Sergei Loznitsa oder Iryna Tsilyk, die in The Earth is Blue as an Orange von einer Familie erzählt, die sich mitten im Krieg eigenen Verwerfungen stellt. Altantis dagegen, ein Spielfilm von 2019, der gerade beim Arthouse-Streamer Mubi gestartet ist, hat einen perspektivischen "Vorteil". Das dystopische Drama, das auf dem Festival von Venedig die Sektion Orrizonti gewann, blickt aus der Zukunft von 2025 in die Gegenwart zurück.

Ein jahrelanger Krieg hat den Donbass darin tatsächlich in ein versunkenes Land verwandelt. Bräunlich trüb präsentiert es sich der Kameralinse, immer noch ziehen Panzer durchs Bild, Minen lauern überall versteckt im Boden. In einer Einstellung kann man sehen, wie die Abfälle einer Stahlfabrik einfach in die nächste Grube gestürzt werden. Das Grundwasser im Land ist ökologisch ohnehin über Jahrzehnte hinaus vergiftet, da scheint das auch nicht weiter zu wurmen.

Mad Max und Tarkowski

Regisseur Valentyn Vasyanovych, der davor auch als Kameramann gearbeitet hat (The Tribe), leistete im Verein mit der Ausstattung ganze Arbeit. Ohne futuristische Mittel verleiht er dem Geschehen eine postapokalyptische Anmutung, die man irgendwo zwischen Mad Max und Andrej Tarkowski verorten könnte. Von Letzterem scheint auch der Erzählduktus beeinflusst, der mehr auf konzentrierte Versenkung anstatt auf Dramatisierung zielt. In unbewegten Tableaus öffnet Atlantis seine Fenster auf eine surreale Trümmerwelt, in der auch die Protagonisten an seelischen Zerrüttungen laborieren.

Der ehemalige Soldat Serhiy (Andriy Rymaruk) ist die Figur, die zum Lotsen durch diesen Landesteil wird, ohne dass sie viel von ihrem Inneren preisgibt. Die Stahlfabrik, Serhiys Arbeitsstätte, schließt für Renovierungen, wie behauptet wird, sein Kompagnon sucht den Freitod. Das ist der Endpunkt, von dem der Film aus Schneisen ins Ungewisse sucht: Als Fahrer, der Wasser über rumpelige Straßen transportiert, findet Serhiy auch Gelegenheiten, seine eigenen traumatischen Erfahrungen im Krieg neu durchzuspielen.

Kein Manierismus

Die szenische Dauer ist in Atlantis kein leerer Manierismus, was im "Slow Cinema"-Feld nicht immer gilt. Die zeitliche Dimension steigert die Intensität. An einer besonders fordernden Stelle kann man sehen, wie eine exhumierte Soldatenleiche akribisch untersucht und beschrieben wird. Manche Körperteile fehlen bereits. Serhiy hat sich Katya (Liudmyla Bileka) angeschlossen, die zu einer Organisation gehört, die nach vermissten Opfern sucht. Seine Position bleibt in dieser Anordnung durchaus ambivalent, denn es ist nicht ganz sicher, ob nicht auch er Schuld aufgeladen hat.

Kann aus den Ruinen neues Leben hervorgehen? Auch auf diese Frage antwortet Atlantis mindestens zweideutig – und dies lässt den Film dann doch weniger hoffnungslos erscheinen, als man zunächst meint. In einer der originellsten Szene fertigt Serhiy wie ein Cowboy aus der Schaufel eines Baggers ein heißes Bad: ein Stück Wellness im Niemandsland. Dass Vasyanovych, der den Film auch geschrieben hat, noch zusätzlich auf ein romantisches Motiv der Menschlichkeit setzt, wirkt indes etwas abgenutzt. (Dominik Kamalzadeh, 7.5.2021)