Proteste in Algier.

Foto: AFP/Ryad Kramdi

Wieder einmal hagelt es Einschüchterungen, Verhaftungen und andere polizeiliche und strafrechtliche Repressalien auf Algeriens Protestbewegung. Das Regime setzt im Umgang mit der friedlich und entschlossen auftretenden Bewegung – im Land meist "Hirak" (arabisch für "Bewegung") genannt – abermals auf einen harten Kurs. Der Hirak hatte erst im Februar seine wöchentlichen Protestmärsche in Algier, Oran, der Berberregion Kabylei und zahlreichen anderen Städten nach einer elfmonatigen Corona-Zwangspause wiederaufgenommen. Der Polizeiapparat hatte sich angesichts der starken Mobilisierung auf Algeriens Straßen zunächst mit allzu ausufernden Repressalien zurückgehalten, geht seit April aber wieder spürbar aggressiver gegen Demonstrierende vor.

Erstmals seit Beginn der landesweiten Revolte im Februar 2019 gelang es der Polizei letzte und diese Woche, die jeden Dienstag stattfindenden Studentenproteste in Algier gewaltsam aufzulösen. Ein Ende der Proteste ist jedoch nicht in Sicht. Während Opposition und Hirak weiterhin konsequent einen "zivilen Staat, keinen militärischen", die Freilassung politischer Gefangener und tiefgreifende politische Reformen fordern, sitzt das Regime die Proteste aus und intensiviert erneut die Repressalien.

Laptops konfisziert

Prominente Oppositionelle und Menschenrechtler wie der Linkspolitiker Karim Tabbou und der Gewerkschaftler Kaddour Chouicha rückten ebenfalls zuletzt wieder ins Visier der Behörden und müssen sich derzeit wegen politisch motivierter Anschuldigungen vor Gericht verantworten. Vermehrt werden inzwischen auch Wohnungen inhaftierter oder angeklagter Regierungskritiker durchsucht und deren Smartphones und Laptops konfisziert. Nach Angaben des Aktivistenkollektivs "Algerian Detainees" hat sich die Anzahl der politischen Gefangenen seit März fast verdoppelt. Die Gruppe zählt derzeit landesweit 74 politische Häftlinge.

Auch regierungskritische Journalisten sind erneut zur Zielscheibe des Regimes geworden. Bereits Mitte April ließen die Behörden den Reporter der Tageszeitung Liberté, Rabah Karèche, in Tamanrasset in Südalgerien verhaften. Ihm wird ein "Angriff auf die Sicherheit und nationale Einheit" vorgeworfen. Im westalgerischen Oran wurden die Journalisten Saïd Boudour und Djamila Loukil unter gerichtliche Kontrolle gestellt, befinden sich aber vorläufig auf freiem Fuß. Der seit Beginn der Revolte 2019 schon mehrfach inhaftierte und verurteilte Boudour berichtete derweil in einer in sozialen Netzwerken veröffentlichen Erklärung, in Polizeigewahrsam misshandelt worden zu sein.

"Folter wird alltäglich"

Bei Zivilgesellschaft und Opposition schrillen angesichts solcher Berichte bereits seit Wochen die Alarmglocken, mehrten sich doch zuletzt Fälle von heftiger Gewaltanwendung, Folter und sexuellen Übergriffen auf Inhaftierte. "Die Folter wird wieder alltäglich, die Polizeigewalt breitet sich aus", heißt es daher in einer am 1. Mai veröffentlichen Erklärung, die von dutzenden Oppositionsparteien und NGOs sowie hunderten Aktivisten und Bürgern unterzeichnet wurde.

Die anhaltende Repressionswelle ist dabei mehr als besorgniserregend, will das von Staatspräsident Abdelmajid Tebboune und Generalstabschef Saïd Chengriha geführte Militärregime doch offenbar im Vorfeld der für den 12. Juni geplanten Parlamentswahl um jeden Preis den allwöchentlichen Hirak-Protesten einen Riegel vorschieben. Erst am Mittwoch hatte die Regierung abermals eine Drohgebärde in Richtung Hirak und Opposition abgefeuert und in unmissverständlicher Manier auf das Wahlgesetz verwiesen, das für "Eingriffe in die Durchführung der Abstimmung und Störungen der Abstimmung" bis zu 20 Jahre Haft vorsieht.

Boykott angekündigt

Die Parlamentswahl im Juni ist bereits der dritte Versuch des Regimes seit Ende 2019, mit einem intransparenten Wahlgang das politische System zu reorganisieren und der herrschenden Elite einen Hauch von Legitimität zu verleihen. Angesichts der Weigerung des Regimes, eine transparente und freie Wahl durchzuführen, kündigten mehrere mit dem Hirak assoziierte Parteien bereits an, die Abstimmung boykottieren zu wollen. (Sofian Philip Naceur aus Tunis, 7.5.2021)