Das Wiener Burgtor ist nicht nur politische Projektionsfläche. Mehrfach wurde es schon mit Lichtkunst verziert, hier von Victoria Coeln 2014.

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Das Buch "Gedächtnisort der Republik" ist 2021 im Böhlau-Verlag erschienen.

Böhlau Verlag

Die Metallhülse, die die beiden Schriftstücke enthielt, die 2012 unter der Skulptur des Toten Soldaten entdeckt wurden.

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Das NS-verherrlichende Schriftstück des Bildhauers Wilhelm Frass.

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Die pazifistische Botschaft seines Schülers Alfons Riedel.

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Von den Türken belagert, von Napoleon gesprengt, unter Kaiser Franz I. neu errichtet, im Austrofaschismus ideologisiert, im NS-Faschismus vereinnahmt, in der Zweiten Republik Anziehungspunkt für Kameradschaftsbund und Burschenschafter, dabei lange offizieller Erinnerungsort des Bundesheers und der Staatsspitze. Es gibt wohl kein Bauwerk in Österreich, das politisch aufgeladener ist als das Äußere Burgtor am Heldenplatz. Dabei ist es äußerlich sehr unscheinbar. Die Historikerin Heidemarie Uhl hat nach jahrelanger Forschung ein 460-Seiten-Buch über Geschichte und Debatte zum Burgtor und Heldendenkmal herausgegeben.

STANDARD: Die meisten Österreicher würden das Burgtor am Heldenplatz auf einem Bild wohl nicht wiedererkennen. Findet die Auseinandersetzung um das Tor vielleicht nur in einer akademisch-politischen Blase statt?

Uhl: Es stimmt schon. Dieses Österreichische Heldendenkmal, wie es seit 1934 offiziell heißt, liegt an den meisten Tagen des Jahres im Dornröschenschlaf. Und die Diskrepanz zwischen seiner architektonischen Unauffälligkeit und seiner historischen Bedeutung ist wirklich augenfällig. Erst bei den staatlichen Gedenktagen wird es als zentraler Gedächtnisort der Republik sichtbar. Dann ist hier der Hotspot des staatlich-militärischen Zeremoniells: Bundespräsident und Bundesregierung legen Kränze nieder, die Garde des Bundesheers und ihre Musikkapelle marschieren auf. Es sind aber auch immer wieder Konflikte um die historische Identität Österreichs an dem Ort aufgebrechen.

STANDARD: Politisch wurde das Tor eigentlich erst im Austrofaschismus, als es mitten im ehemals Roten Wien als zentrales Denkmal für die "Helden" der habsburgischen Armee im Ersten Weltkrieg umgestaltet wurde. Rührt daher der lange Konflikt bis weit in die Zweite Republik hinein?

Uhl: 1934 wurde es als Gegendenkmal zum sozialdemokratischen Friedensmahnmal auf dem Wiener Zentralfriedhof umgestaltet. Mit einer Ruhmeshalle für die Heerführer der bei der Sozialdemokratie verhassten Habsburgermonarchie. Anfang der 1950er-Jahre versuchten der VdU, die Vorläuferpartei der FPÖ, und der Kameradschaftsbund, das Heldendenkmal für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Mit Aufmärschen und Kranzniederlegungen wollten sie die Ehrung der Wehrmachtssoldaten als "Helden", die in "treuer Pflichterfüllung" die "Heimat" verteidigt hatten, erreichen. Die SPÖ ist zu den Gedenkfeiern in der Krypta zunächst auf Distanz gegangen, erst nach Errichtung des Weiheraums für den österreichischen Widerstand gegen das NS-Regime 1965 haben SPÖ-Regierungsvertreter an Kranzniederlegungen im Heldendenkmal teilgenommen.

STANDARD: Mit dem Tor verbunden ist auch der 8. Mai. Am Tag der Kapitulation Nazideutschlands marschierten viele Jahre lang Burschenschafter am Burgtor auf. Seit 2013 ist damit Schluss, weil die Wiener Symphoniker an diesem Tag der Befreiung, wie er auch genannt wird, das Konzert "Fest der Freude" geben. Hat es die Rechten gebraucht, damit der Tag in Österreich überhaupt erst erinnerungspolitisch wahrgenommen wird?

Uhl: Wahrgenommen wurde der Tag vor allem seit den Wehrmachtsausstellungen, die 1995 und 2002 in Wien gezeigt wurden. Erst dadurch ist ein Bewusstsein für den verbrecherischen Charakter der NS-Kriegsführung entstanden. Die symbolische Besetzung des Heldendenkmals durch schlagende deutschnationale Burschenschaften und FPÖ-Politiker hat dann zu intensiven Debatten um die Beurteilung des 8. Mai geführt. Das erste Fest der Freude hatte auch den Zweck, den Platz zu besetzen, um den Aufmarsch der Burschenschafter unmöglich zu machen. Und das Bundesheer bekundet dabei durch eine Mahnwache am Heldendenkmal sein historisches Bewusstsein.

STANDARD: 2012 endeten auch die Kranzniederlegungen durch das Bundesheer und die Staatsspitze vor der Skulptur des Toten Soldaten. Darunter hatte der Bildhauer Wilhelm Frass nämlich 1935 eine NS-huldigende Schrift hinterlassen, sein Schüler Alfons Riedel eine pazifistische. Der Sensationsfund wird heute recht lieblos im Heeresgeschichtlichen Museum ausgestellt. Das ginge besser, oder?

Uhl: Die Debatten um das Heldendenkmal haben auch innerhalb des Bundesheers einen Klärungsprozess in der Frage angestoßen, wie man mit dem Nationalsozialismus umgeht. In einem neugestalteten HGM wird der Bedeutung des Ortes sicher stärker Rechnung getragen werden.

STANDARD: Sie sprechen den angestoßenen Reformprozess für das HGM an. Was muss sich dort ändern?

Uhl: Militärhistorische Museen wurden international in den letzten Jahrzehnten völlig neu definiert. Die von Waffen und Uniformen geprägten Traditionsräume haben ausgedient. Für Österreich und Deutschland stellt sich dabei die Frage des Umgangs mit der Verstrickung des Militärs in die NS-Angriffs- und -Vernichtungskriege. Mit der Einberufung einer wissenschaftlichen Kommission und der von Verteidigungsministerin Tanner angekündigten Neugestaltung ist das HGM jetzt aber auf dem Weg zu einem Museum, das internationalen Standards entspricht.

STANDARD: Unter den letzten SPÖ-Kulturministern wäre das Burgtor als Außenstelle des Hauses der Geschichte nebenan vorgesehen gewesen. Warum ist das nicht passiert?

Uhl: Die Kulturwissenschafterin Aleida Assmann hat das Heldendenkmal als "Geschichtsbuch des österreichischen Gedächtnisses" bezeichnet. Dieser Ort eignet sich nämlich wie kein anderer, um den komplexen Umgang der Republik mit ihren Vergangenheiten sichtbar zu machen. Für seine museale Nutzung durch das Haus der Geschichte bedürfte es allerdings der Abstimmung unterschiedlicher Ministerien. Das Burgtor steht in der Verwaltung des Verteidigungsministeriums, die Bundesmuseen fallen in den Bereich der Kultur. Offenkundig fehlte bislang der politische Wille.

STANDARD: Was soll mit dem Haus der Geschichte passieren? Es braucht mehr Platz: ein Neubau, umziehen oder in der Neuen Burg ausweiten?

Uhl: Die Neue Burg ist ja ein Ort von großer symbolischer Aussagekraft: zunächst ein monumentales Bauvorhaben der Habsburgermonarchie, das dann von der Republik fertiggestellt wurde, verbunden mit einem zentralen Moment der österreichischen Zeitgeschichte, Hitlers "Anschluss"-Rede. Allerdings sind 750 Quadratmeter Dauerausstellungsfläche peinlich gering für das zeitgeschichtliche Museum der Republik. Da muss man nicht in die europäischen Hauptstädte schauen, die meisten Landesmuseen sind weitaus größer. Der Standort Neue Burg wäre symbolisch nur durch einen Neubau am Heldenplatz zu toppen. Dass hier durchaus Neugestaltungen denkbar sind, zeigen ja die derzeit dort befindlichen Pavillons des Parlaments.

STANDARD: Was soll das Burgtor in Zukunft sein: Eine Gedenkstätte, ein Museum?

Uhl: Für das Heldendenkmal stellen sich zwei prioritäre Zukunftsaufgaben: Erstens die längst überfällige Neugestaltung des Weiheraums, der ist noch im Zustand von 1965. Hier wird nur des politischen Widerstands gedacht, die Opfer der NS-Verfolgung haben noch keine Aufnahme gefunden. Zweitens die Errichtung eines Denkmals der Republik. Noch heute dominieren die habsburgischen Feldherren-Monumente den Heldenplatz. Der Republik ist es bislang nicht gelungen, sich dort symbolisch einzuschreiben. Die Aufbruchsstimmung nach der hoffentlich bald überstandenen Pandemie wäre ein guter Zeitpunkt, dass man hier mit einem Denkmal der Republik ein Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen könnte.

STANDARD: Dazu müsste gar keines neu gebaut, sondern nur eines verlegt werden, wie sie im Buch schreiben: Das Staatsgründungsdenkmal im Schweizergarten.

Uhl: Ja, dieses Staatsgründungsdenkmal erinnert an die Republikgründung 1918 und ihre Wiederherstellung 1945. Es sollte ursprünglich nahe dem Parlament an der Ringstraße errichtet werden. Wegen seiner abstrakten Gestaltung galt es als zu modern, an seiner Stelle steht das Renner-Denkmal, das Staatsgründungsdenkmal wurde 1966 im Schweizergarten praktisch versteckt. Die Verlegung dieses einzigen Denkmals, das sich auf die Begründung der Ersten und der Zweiten Republik bezieht, von der Peripherie in das symbolische Zentrum würde endlich das Bekenntnis zur Republik auf dem Heldenplatz einschreiben. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 7.5.2021)