Die Pandemie erschwerte die Schutzsuche Betroffener, weil sie stärker isoliert sind.

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Wien – Expert*innen hatten eine Zunahme an Konflikten und Gewalt im Zusammenhang mit Beziehungen im Zuge der Corona-Krise vorausgesagt. Eine umfassende Erhebung dazu fehle, meinen die Soziologinnen Barbara Rothmüller und Laura Wiesböck. Sie fordern jährliche repräsentative Studien zu körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt von Männern an Frauen. Bisher reiche die Datenlage nicht, "um das Ausmaß dieses lebensgefährlichen gesellschaftlichen Problems einschätzen zu können".

Nicht nur die aktuellen Fälle an Frauenmorden würden auf steigende Gewalt schließen lassen, auch bisherige wissenschaftlichen Erkenntnisse: Hinweise lieferte die Studie "Intimität, Sexualität und Solidarität in der Covid-19-Pandemie" an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Sie zeige "deutliche Indizien für eine Zunahme an Konflikten in Intimbeziehungen in der Pandemie", sagte Studienleiterin Rothmüller laut der Initiative "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz". Als Datenbasis dienten Onlinebefragungen in Österreich und Deutschland in den ersten zwei Lockdowns mit 4.706 Personen im April 2020 und 2.569 Personen im November/Dezember 2020. Die Studie ist nicht repräsentativ, in der Stichprobe sind Frauen und Akademiker*innen über- und Jugendliche sowie Hochaltrige unterrepräsentiert.

Ohne Rückzugsort

Im Herbst erlebte jede vierte Frau in der Umfrage eine Zunahme an Konflikten in ihrer Beziehung. Jede dritte befragte Person, die keinen Rückzugsort im Haushalt hat, beschrieb die Stimmung als schlecht und häufig eskalierend. Die Hälfte der Menschen mit großen Existenzängsten erlebte daheim mehr Streit. Ökonomischer Druck und verstärktes Zusammensein auf begrenztem Raum sind laut Wiesböck die Risikofaktoren in der Corona-Krise.

Die Pandemie erschwerte zudem die Schutzsuche Betroffener, weil sie stärker isoliert und der Kontrolle des gewaltausübenden Partners ausgesetzt seien. Sieben Prozent der befragten Frauen, die psychische Gewalt erlebt haben, hatten demnach keine Vertrauensperson, an die sie sich im Lockdown wenden könnten. Jede Dritte fühlte sich von anderen verlassen. "Zusätzlich zum Ausmaß an Gewalt ist auch die soziale Isolation der befragten gewaltbetroffenen Frauen in der Pandemie alarmierend", so Rothmüller. Bereits im März 2020 gingen bei der Frauenhelpline 50 Prozent mehr Anrufe ein, die Hälfte davon hing mit Gewalt zusammen.

Gefühl der Erleichterung

Jede zehnte befragte Frau in einer Paarbeziehung habe in den zwei Wochen vor der Erhebung von Rothmüller Ende 2020 psychische Gewalt in Form von Kontrolle, Drohungen, Beschimpfungen und ähnlichem erlebt. Kurz vor oder während einer Trennung war im Herbst sogar fast jede zweite Frau betroffen. Im ersten Lockdown erlebten dagegen nur 15 Prozent der Befragten in Trennungen psychische Gewalt.

"Unsere Studie zeigt allerdings auch, dass sich Frauen aus gewalttätigen Beziehungen befreien können. Befragte, die sich über den Sommer getrennt hatten, beschrieben in den offenen Antworten ein Gefühl der Erleichterung. Und von den Befragten, die oft so wütend waren, dass sie die Kontrolle verloren haben, haben 40 Prozent im ersten Halbjahr der Pandemie therapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Die Verantwortung für aggressives und gewalttätiges Verhalten zu übernehmen ist ein wichtiger Schritt. In diesem Prozess gibt es noch großen Bedarf an psychosozialer Unterstützung und Begleitung", sagte Rothmüller.

Psychische und emotionale Misshandlungen

"Die Modernisierung des Eherechts in den 1970er-Jahren hat zwar Partnerschaftlichkeit in der Ehe als Norm festgeschrieben, doch die Veränderungen der Arbeitswelt und Gefahren des Jobverlusts, aber auch die gestiegene ökonomische Selbstständigkeit von Frauen haben das Selbstbild vieler Männer, der Familienernährer zu sein und dadurch Macht ausüben zu können, erschüttert", konstatierte Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Für Präventivmaßnahmen brauche es grundlegende Studien.

Konflikte, Gewaltdynamiken, wie auch psychische und emotionale Misshandlungen seien sozialwissenschaftlich nicht ausreichend erforscht, obwohl bekannt ist, dass sie die Vorstufe zu lebensgefährlichen Formen der Gewalt sind. "Seit 2015 sind in Österreich mehr als 200 Frauen durch ihren (Ex-)Intimpartner ermordet worden. Diese Morde fanden nicht überraschend statt, die Täter waren bereits davor gewalttätig", hielten die Wissenschafterinnen fest. Sie fordern jährlich stattfindende, repräsentative Datenerhebungen und nationale Jahresberichte. Die offiziellen Statistiken von Polizei, Interventionsstellen, Frauenhäusern und Frauenhelplines würden zwar einen Einblick geben, wie viele Personen Hilfe beanspruchen (konnten), nicht aber über das tatsächliche Ausmaß an Gewaltausübung. (APA, 6.5.2021)