Abstandhalten ist Kleinkindern nicht zumutbar: In Kindergärten geht es oft eng zu. Doch die Maßnahmen gegen das Coronavirus sind lockerer als in den Schulen. Flächendeckende Tests gibt es nicht.

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Es sei ein "riesiger Cluster", der sich rundherum ausgebreitet habe: Nicht nur ihn selbst, seine Frau und die beiden Kinder habe das Virus erwischt, berichtet ein Familienvater, auch im Bekanntenkreis seien unzählige Infektionsfälle auf getreten – mit zum Teil ernsten Folgen: "Ich war zwei Wochen platt und leide immer noch unter Atemnot. Andere aber sind im Spital gelandet."

Der Grund, warum sich der Wiener mit seiner Geschichte an den STANDARD wandte, ist eine Gemeinsamkeit: Alle betroffenen Familien haben Sprösslinge in einem Kindergarten im dritten Bezirk untergebracht. Dort wurden Mitte April zwei Mitarbeiterinnen positiv auf Covid getestet, daraufhin trudelten – wie die Leiterin die Eltern informierte – laufend neue Meldungen ein. In Summe gab es im April 25 Corona-Fälle am Standort.

Der Fall wirft eine Frage auf, die viele Eltern schon lange umtreibt. Werden die Kleinsten in Betreuung ausreichend geschützt?

"Grob fahrlässig"

Der Vater aus dem dritten Bezirk antwortet mit einem glatten Nein. "Grob fahrlässig" nennt er den Umgang mit dem Risiko im Kindergarten der Tochter und verweist auf den Ablauf der Geschehnisse, wie sie die städtische Kindergartenabteilung dem Gesundheitsamt in einem Schreiben geschildert hat.

Demnach werden die Mitarbeiterinnen zweimal die Woche getestet, am Dienstag und Donnerstag. Die positiven Tests der beiden betroffenen Frauen fanden an einem Donnerstag statt, doch offenbar sind die Ergebnisse nicht vor Freitag 17 Uhr vorgelegen. Erst danach konnten die Eltern informiert werden. In so einer langen Zeitspanne könnten sich viele anstecken, ärgert sich der Vater: "Wenn es von Test bis zum Ergebnis immer eineinhalb Tage dauert, dann bedeutet das: Bis Mittwochabend sind wir im Kindergarten im Blindflug unterwegs."

Ergebnis lässt auf sich warten

Ob das nicht wirklich sträflich langsam ist? Auf den konkreten Sachverhalt wollte der zuständige Wiener Gesundheitsdienst auf Anfrage des STANDARD nicht eingehen. In der Regel, heißt es nur, würden die Ergebnisse innerhalb von 24 Stunden verfügbar sein.

Dass die Resultate nicht ad hoc vorliegen, liegt am angewandten System: Die Stadt bietet dem Kindergartenpersonal zweimal wöchentlich PCR-Tests an, die anders als die Antigen-Schnelltests zur Auswertung ins Labor geschickt werden müssen. Theoretisch sei dies innerhalb von ein paar Stunden abwickelbar, sagt der Mikrobiologe Michael Wagner, doch dies hänge von den verfügbaren Kapazitäten ab. Jedenfalls wäre es in den Kindergärten aber wünschenswert, die Ergebnisse der morgendlichen Tests bis zum Abend zu bekommen.

Grundsätzlich sei der Einsatz der PCR-Tests sinnvoll, da bei regelmäßiger Anwendung der Vorteil überwiege, dass diese Infektionen viel verlässlicher anzeigen, sagt Wagner. Dennoch schließt er sich der Kritik von Elternseite an: "Die Kindergärten werden in der Pandemie nicht genügend geschützt."

Nasenbohren nur in den Schulen

Der Experte sieht keinen sachlichen Grund, warum nicht auch die Kindergartenkinder regelmäßig durchgetestet werden. Die sogenannten Nasenbohrertests, wie sie an den Volksschulen dreimal die Woche stattfinden, seien für Kleinkinder in der Anwendung zwar zu schwierig, doch mit Spuck-PCR-Tests gebe es gute Alternativen. Bis dato wurden die Jüngsten aber nur in Pilotversuchen, etwa in Wien, gescannt. Ein flächendeckendes Programm gibt es nirgendwo im Land.

"Natürlich wären regelmäßige Tests nötig", schließt sich die Bildungsexpertin und langjährige Standesvertreterin Raphaela Keller an. Doch in der Pandemie setze sich fort, was schon vorher gegolten habe: "Obwohl Kindergärten systemrelevant sind, werden sie vernachlässigt."

Die knapp bemessenen Ressourcen rächten sich in der Corona-Krise nicht nur aus pädagogischer Sicht: Viele Standorte hätten gar nicht das Personal, um Kindergruppen wegen der Ansteckungsgefahr konsequent zu trennen. Auch im dritten Bezirk wurden die Sprösslinge in den Früh- und Spätdiensten aus organisatorischen Gründen vermischt. Allerdings hätte die Betreuerinnen dabei, wie von städtischer Seite versichert wird, durchgängig FFP2-Maske getragen.

Positiv trotz Impfangebots

Bleibt noch eine potenzielle Sicherheitslücke. Eigentlich hatte Kindergartenpersonal in Wien ebenso wie Lehrer bereits im März die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Dass nun doch Betreuerinnen positiv sind, kann daran liegen, dass der erste Stich ohne zweiten Teil nicht stark genug gewirkt hat – oder aber die Frauen haben die Immunisierung verweigert. Keller rechnet nur mit einer eher kleinen Minderheit von Pädagogen und Pädagoginnen, die trotz ihres Jobs die Impfung scheuten. 80 Prozent würden mitmachen, glaubt sie: "Für den Rest habe ich wenig Verständnis."

Wer sich nicht impfen lasse, müsse zumindest die Pflicht haben, im Kindergarten durchgehend Maske zu tragen, fordert der Familienvater aus dem dritten Bezirk und ärgert sich über die offizielle Stellungnahme der Stadt an die Eltern. Die behördlichen Abläufe seien eingehalten worden, heißt es da, leider ließen sich Infektionen auch bei "striktester Einhaltung" der Maßnahmen nicht vermeiden. Tatsächlich seien bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, hält der Kritiker entgegen: "Das Bild ist verheerend." (Gerald John, 7.5.2021)