Seit Beginn der Pandemie landeten 81 Kinder mit Covid-Infektion auf einer Intensivstation, sagt die Statistik. Doch die Zahlen stoßen auf Zweifel.

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Es handelt sich um keine Massen: Wie DER STANDARD berichtete, gab es seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 bis Ende Februar des heurigen Jahres 899 Spitalsaufenthalte von Kindern und Jugendlichen (unter 20 Jahren) mit der Diagnose Covid-19. 81-mal landeten Minderjährige auf der Intensivstation. Gemessen an allen 58.703 registrierten positiven Fällen in dieser Altersgruppe sind das nur 0,14 Prozent – und dennoch machen die Zahlen stutzig.

Das liegt am Vergleich mit Deutschland. Unlängst hat die deutsche Bundesregierung in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage neue Zahlen präsentiert. Diesen zufolge landeten im rund zehnmal größeren Deutschland im Zuge der Pandemie weniger Kinder und Jugendliche auf der Intensivstation als in Österreich.

Die konkreten Zahlen: In der Altersgruppe null bis vier Jahre zählte die Gesundheit Österreich GmbH (Gög) auf Basis der von den Krankenanstalten gelieferten Daten bis Ende Februar 30 Fälle in intensiver Behandlung, in Deutschland waren es laut offizieller Darstellung mit Ende März/Anfang April 26. Bei den Fünf- bis Neunjährigen steht es acht zu acht, bei den Zehn- bis 14-Jährigen 14 zu 9. Auch bei den 15- bis 19-Jähren liegt die kleine Alpenrepublik mit 29 zu 25 vorn.

Unrealistisches Verhältnis

Da die Pandemie Österreich nicht zehnmal härter getroffen hat als Deutschland und die Infektionszahlen nicht annähernd so weit voneinander abweichen, kann da etwas nicht stimmen. Doch in welchem Land sind die Werte unrealistisch?

Thomas Czypionka tippt auf Österreich. Laut den heimischen Zahlen würden fast zehn Prozent der an Covid-19 erkrankten Kinder, die im Spital aufgenommen werden, auch auf der Intensivstation liegen, gibt der Experte vom Institut für Höhere Studien (IHS) zu bedenken: "Das ist unplausibel." In den deutschen Daten beträgt dieser Anteil nicht einmal 1,5 Prozent.

Eine gesicherte Erklärung dafür haben weder Czypionka noch andere befragte Experten parat. Aber zumindest gibt es begründete Vermutungen, warum die heimischen Zahlen ganz unabhängig vom Ländervergleich zu hoch gegriffen sein dürften.

Intensivpatienten ohne intensive Behandlung

Eine davon betrifft die Zahl bei den Null- bis Vierjährigen, die auch im Vergleich zu den nächstfolgenden Altersgruppen als hoch ins Auge sticht. Ein beispielhafter Blick in die Kinderklinik Graz: Dort habe es bisher vier Neugeborene mit Corona-Befund gegeben, die offiziell auf der Intensivstation gelandet seien, erzählt der Arzt Volker Strenger, Chefinfektiologe der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Doch tatsächlich habe keines davon Intensivbetreuung benötigt.

Strenger erklärt diesen Umstand mit organisatorischen Gründen. In Graz und anderen Spitälern werde die Neugeborenen-Station per se als Intensivstation geführt. Dies sei auch der Ort, wo Isolierungen vorgenommen würden. Folglich lande dort jedes infizierte Neugeborene, das medizinische Überwachung oder Therapie benötigt – egal ob es schwer erkrankt ist oder nicht. In der Statistik fänden sich somit auch "Intensivpatienten" wieder, denen es in Wahrheit gut ging.

Nicht alle nur wegen Corona im Spital

Ein anderer Hinweis kommt aus der Gög. Der Anteil der Spitalspatienten, die Covid nicht als Hauptdiagnose, sondern nur nebenbei zu einem anderen Leiden hatten, sei bei den Minderjährigen deutlich größer als insgesamt. Rechnet man alle Fälle mit Covid als Nebendiagnose heraus, schrumpft die Zahl der Kinder und Jugendlichen in den Intensivstationen von 81 auf etwa 30.

Laut Auskunft des Robert-Koch-Instituts (RKI) werden in Deutschland ebenfalls Menschen mit Covid-19 als Nebendiagnose als Intensivpatienten registriert, allerdings sei der Anteil der gemeldeten Fälle sehr gering. Letztlich ließ sich aber auch in Rücksprache mit dem RKI nicht klären, warum die deutschen und österreichischen Zahlen offensichtlich nicht zusammenpassen.

Der Fall zeigt, wie sehr internationale Vergleiche mitunter mit Vorsicht zu genießen sind. Ungereimtheiten gibt es etwa auch in Bezug auf die Schweiz, die insgesamt nur etwa halb so viele Covid-Spitalsaufenthalte (Normal- und Intensivbetten) wie Österreich ausweist. In diesem Fall hält der Gesundheitsexperte Czypionka die Schweizer Daten für nicht plausibel. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich würden etwa zehn Prozent aller positiv getesteten Menschen hospitalisiert werden – die Schweiz tanzt mit nicht einmal fünf Prozent aus der Reihe. (Gerald John, 8.5.2021)